Samstag, 19. August 2023

Schmerzhaftes (und zugleich exzellentes) Zeitdokument

Es lag für mich in mehrerlei Hinsicht nahe, mich nach der Biographie von Andreas Buck dem Buch des ehemaligen Nationatorwarts Eike Immel zu widmen. Zum einen spielten beide zusammen beim VfB Stuttgart, so dass man ihre Erinnerungen an entscheidende Momente dieser Jahre - man denke an Christoph Daums legendären Wechselfehler in Leeds - gut nebeneinanderlegen kann. Zum anderen ist Eike Immel im Vergleich zu Andreas Buck in jeder Hinsicht ein, zwei Nummern größer: Deutlich länger im Geschäft, deutlich erfolgreicher (Europameister und Vizeweltmeister mit der Nationalelf, wenngleich als Ersatztorwart), aber eben auch deutlich schlimmer abgestürzt.

Genau letzteres ist es leider auch, was dieses Buch zu einer schmerzhaften Lektüre macht, viel schmerzhafter noch als das Buch von Buck. War bei dem irgendwie noch nachvollziehbar, wie er an einen falschen Freund geriet, diesem bei einem gemeinsamen Projekt vertraute und sich so um einen beträchtlichen Teil seines Vermögens brachte, kann man bei Eike Immel irgendwann nur noch den Kopf schütteln. Wie der talentierte Torwart sein Vermögen über Jahre und Jahrzehnte hinweg im wahrsten Sinne des Wortes vertrottelt hat, macht einen irgendwann nur noch wütend. Und da rede ich gar nicht über die Bauherrenmodelle - auf die sind auch Nachweih und Bum Kun Cha und Lienen und weiß Gott wer reingefallen, und außer ihnen auch jede Menge hochintelligenter Zahnärzte und Rechtsanwälte, wie Michael Frontzeck in Immels Buch zutreffend anmerkt Nein, was wirklich nervt, sind Sachen wie "Ich leihe mir, obwohl ich schon hochverschuldet bin, bei irgendeiner Unterweltgröße 50.000 Euro mit der Maßgabe, ihm einen Monat später 100.000 zurückzuzahlen - er wollte ja auch was daran verdienen." Oder "Ich habe Rückzahlungen auf meine Schulden in bar erbracht, aber leider vergessen, mir das quittieren zu lassen." Oder "Ich hab der Toilettenfrau gleich 100 Mark gegeben, weil ich nicht jedes Mal, wenn ich zum Klo wollte, eine Mark zahlen wollte." Oder "Mit 15.000 Mark pro Monat kam ich nicht aus." Oder die geschrotteten Luxusautos, die teuren Uhren, die protzige Villa für den Junggesellen, das "Ich bin zwar pleite, fahre aber mit dem Taxi zu Edeka, um dort ein belegtes Brötchen zu kaufen." u.v.m. Man möchte Immel irgendwann am Hemd packen, durchschütteln und ihn anschreien, dass doch niemand so strunzdumm sein kann. Aber man kann ganz offensichtlich - und Immel hatte eben den Umgang mit Geld nie gelernt, hatte ständige Minderwertigkeitskomplexe wegen seines leicht schielenden Auges und war offensichtlich der Meinung, dass er sich Anerkennung erkaufen kann oder muss.

Neben diesen ganzen "Ich habe mein ganzes Geld sinnlos vertrottelt"-Passagen gibt es noch einen weiteren Grund, weshalb das Buch schmerzt. Autor Gregor Schnittker erzählt nicht einfach Immels Leben und Karriere, sondern streut immer wieder Kapitel ein, in denen er über seine Gespräche mit dem Ex-Torwart und die zähe Anbahnung des gemeinsamen Buchprojektes berichtet. Und das wären auch ohne Schnittkers stereotype Auftaktfrage ("Und, Eike, bis Du heute glücklich?"), die nicht nur den Ex-Torwart, sondern irgendwann auch mich ziemlich nervte, mühsame, zähe Unterhaltungen gewesen. Das Unstete, das Flackernde und Sprunghafte, das Immels ganzes Leben durchzieht, prägt auch diese Begegnungen. Das Schlimme daran ist: Ich glaube Schnittker jedes Wort. Ich habe selbst genügend Gespräche mit Ex-Profis geführt - der eine will nach drei Sätzen, dass man seine Biographie schreibt, der nächste lässt sich drei-, viermal betteln, um dann doch kein Interview führen zu wollen, der dritte will Geld und der vierte versucht, Dich für irgendein komisches Geschäft zu begeistern. Immel tut und macht all das - und man muss Schnittker ein großes Kompliment dafür zollen, dass er aus diesem gebrochenen, desillusionierten Dschungelcamp-Teilnehmer ein derart exzellentes Zeitdokument herausgeholt hat. 

Denn - und damit kommen wir zum eigentlichen Buch - Immel hat ja wirklich viel zu berichten. Er war bei den EM's 1980 und 1988 und der WM 1982 dabei, er war in Dortmund zu einer Zeit, als Dortmund noch klein war und ums Überleben kämpfte, er war Teil der großen Stuttgarter Mannschaften unter Arie Haan und Christoph Daum, er sammelte Erfahrungen in England und arbeitete als Torwarttrainer in der Türkei und in Österreich. Wenn er über Derwall und Beckenbauer spricht, über das Verhältnis zu Schumacher und später zu Illgner, über Mayer-Vorfelder oder seine Trainertätigkeit unter Daum, hat das Buch seine stärksten Momente. Denn Immel ist authentisch, er verklausuliert zwar mitunter, aber nicht zu oft und er gewährt hochatmosphärische Einblicke in die Welt der Bundesliga und der Nationalmannschaft in den 80er und 90er Jahren. Zudem - das fand ich besonders spannend - spricht er offen über seine Gehälter. Zum ersten Mal bekomme ich eine Größenordnung, was man beispielsweise als Torwarttrainer bei Austria Wien (15.000 Euro brutto pro Monat, zuvor war diese Summe allerdings netto zugesagt worden) oder bei Fenerbahce Istanbul (bis zu 50.000 Euro pro Monat) oder als Torwart bei Manchester City Mitte der 90er Jahre, also einige Jahre vor dem großen Boom (trotzdem 10.000 Pfund pro Woche) verdienen konnte. Die Vertragsverhandlungen mit Manchester, das Leben in der Türkei, die schwierigen Gespräche mit Robert Enke während dessen kurzen Istanbul-Gastspiels (vgl. dazu auch die Besprechung von "Ein allzu kurzes Leben") - hier taucht man ein in Immels Alltag als Spieler und Trainer. Diese Passagen machen das Buch zu einem exzellenten Buch, zu einem Gewinn, der die oben genannten Schmerzen aufwiegt.

Danke, Gregor Schnittker!