Freitag, 22. Dezember 2023

Kein "Pallmann", aber eine überaus vergnügliche Satire

Bei näherem Hinsehen ist die Liste der deutschen Fußball-Romane gar nicht so kurz: Von dem 1982 erschienenen Meisterstück "Pallmann" von Hans Blickensdörfer über die Reiner-Calmund-Hommage "Gefährlicher Strafraum" von Jürgen vom Einem und Sven Böttchers "Der Aufsteiger" bis hin zu Jens Kirschnecks "Schweine befreien" und "Alles", dem literarischen Debüt des Ehepaares Illgner, findet man Werke verschiedenster Art und Güte. Dieser Liste hat Dominik Bardow, einst Sportredakteur beim "Tagesspiegel", nun mit "Trainingslager", einer als Krimi getarnten Hertha-BSC-Satire, einen weiteren gelungenen Eintrag hinzugefügt. 

Der immerzu betrunkene, noch aus der Vor-Internet-Zeit stammende Sportreporter-Dinosaurier "Holle" Schneise begleitet seinen Verein Bertha HSC ins österreichische Trainingslager. Noch während sich Schneise zu sortieren versucht - er hat den Chef im Nacken, der klickträchtige Stories verlangt (und mit Schneises Degradierung in den Newsroom droht), diverse Reporterkollegen an der Seite, die alle einen Tick ausgeschlafener wirken, und den bräsig-unwilligen Bertha-Mediendirektor vor sich - wird er Zeuge einer Einführung: Der süßigkeitenverliebte brasilianische Star José Iago Marcelo de Máximo Ingênuo, kurz Jimmi, wird vor seinen Augen in einen SUV gezerrt.

Bardow startet mit viel Schwung und skizziert mit sichtlicher Freude die Protagonisten auf Seiten des Vereins und der Presse sowie den Plot, soweit er für die satirische Schelte des Fußball- und des Mediengeschäfts benötigt wird. Dann, so um die Halbzeit herum, scheint ihm allerdings ein wenig die Luft auszugehen und es häufen sich allzu lange geträumte Szenen u.ä., ehe ein überaus rasantes Schlussdrittel folgt, das für den zwischenzeitlichen Leerlauf mehr als entschädigt. Bardow kennt die Szene und kann schreiben - nicht die schlechtesten Vorausetzungen für einen Fußballroman. Wenn ein Buch auf dem sehr schmalen Grad zwischen Satire und Slapstick wandelt, mag es hier und da auch mal einen Fehltritt geben, aber das lässt sich kaum vermeiden und ist auch nicht schlimm - das einzige, was ich Bardow ein klein wenig übelnehme, ist die bitterböse Passage über Schneises One-Night-Stand und die hier erzeugten Bilder, die man erst mal wieder loswerden muss.

Ähnlich wie bei "Pallmann" begegnet man auch bei Bardow diversen alten Bekannten, wobei ich nicht so ganz verstanden habe, wieso er sie nicht 1:1 abbildet, sondern verwässert: Dass der in Nordamerika zum Sunnyboy mutierte Ex-Spieler und Dauergrinse-Trainer Jocken Greensman als Jürgen-Klinsmann-Verschnitt noch ein paar Daumsche Motivationstricks mitbringt - geschenkt. Aber warum muss er obendrein ein Sachse sein? Michael Preetz taucht im Buch als Manager Martin Laake auf, dem Bardow aber noch eine gehörige Prise Dieter Hoeneß mitgegeben hat. Und Stürmerbulle Kevin-Jerome Czerwinski ist ebenfalls eine Kunstfigur, wenngleich mit stark vorherrschenden Kevin-Prince-Boateng-Anteilen. Leider kenne ich die Szene der Hertha-BSC-Journalisten nicht gut genug, so dass mir vermutlich der eine oder andere Bezug entgangen ist. Ich habe mich kurz gefragt, ob sich hinter dem aus der DDR stammenden Reporterveteran Jakobi der frühere Junge-Welt-Reporter Klaus Feuerherm verbirgt, aber so ganz passen die Zeitschienen da nicht.

Kurz und gut: "Trainingslager" erreicht sicher nicht die Schärfe, Genauigkeit und Brillanz eines "Pallmann" (und Hans Blickensdörfer selbst hat die in späteren Büchern übrigens auch nicht mehr erreicht), ist aber ein kurzweiliges, gelungenes Satirestück über den "Big-City-Klub", das sich wunderbar lesen lässt.

 Dominik Bardow: "Trainingslager", Carpathia Verlag