Freitag, 22. August 2025

Daniel Hechter: Lückenhafte Erinnerungen eines Präsidenten

(KM) Ein wenig plagte mich das schlechte Gewissen, als ich Daniel Hechters Autobiographie "Mode, politique, PSG et autres coups de gueule" (zu deutsch etwa: "Mode, Politik, PSG und andere Kontroversen") in die Hand nahm. Denn es war von vornherein klar, dass mich an dem fast 500 Seiten dicken Buch ganze zwei Kapitel interessieren würden. Ich wollte nichts über Daniel Hechter, den Modezaren, lesen, nichts über den millionenschweren Jetsetter und Playboy mit protziger Villa in Saint Tropez, nichts über den Teilzeitpolitiker, der für irgendein südfranzösisches Regionalparlament kandidiert. Nein, mich interessierte ausschließlich der Fußballfunktionär Daniel Hechter, der gleich zweimal als Vereinspräsident agierte - einmal, in den siebziger Jahren, bei Paris Saint-Germain (1974 - 1978) und dann ab Mitte der 1980er Jahre bei Racing Straßburg (1986 - 1990). Hierzu sollte es im Buch zwei eigene Kapitel geben, und nur die wollte ich haben.

Hechters Ära bei Paris Saint-Germain ist, obwohl noch länger zurückliegend, im Gedächtnis der Fußballwelt weitaus präsenter. Das dürfte nicht zuletzt an den unrühmlichen Umständen liegen, unter denen seine Präsidentschaft seinerzeit zu Ende ging, Umstände, die noch heute als die "Schwarze-Kasse-Affäre" bekannt sind. Zur Finanzierung von "inoffiziellen" Spielerprämien - damals galten im französischen Fußball für Ausländer strenge Gehaltsobergrenzen (laut Hechter 12.000 Francs pro Monat), die die Verpflichtung von Klassespielern praktisch unmöglich machten (die Hechter zufolge wiederum eher 40.000 Francs verdienten) - wurden Tickets schwarz verkauft. So kam es, dass ein Spiel im "Prinzenpark" offiziell von (nur) 38.000 Fans besucht wurde, obwohl das Stadion mit einer Kapazität von über 50.000 für alle ersichtlich rappelvoll war. Laut Hechter, der damals sogar ein Buch nur über seine Pariser Zeit veröffentlichte ("Le football business", 1979) war diese Art der Finanzierung in der gesamten französischen Liga Usus. Aber wie das so ist im Leben: Erwischt wurde nur er, und die Sache schaukelte sich im Laufe der folgenden Monate immer weiter hoch, bis Hechter 1978 schließlich vom französischen Fußballverband lebenslang (!) gesperrt wurde. Interessanterweise schildert der Modezar diese wilde Zeit in seiner 2013 veröffentlichten Biographie weitaus anschaulicher und lebendiger als in dem unmittelbar nach seinem Rücktritt erschienen o.g. Buch "Le football business". Auch für den deutschen Leser gibt es den einen oder anderen interessanten Funfact: So will Hechter 1977 mit Franz Beckenbauer in München über einen Wechsel nach Paris verhandelt und sogar bereits die Zusage des "Kaisers" erhalten haben. Doch der Wechsel scheiterte am Veto des französischen Radiosenders RTL, seinerzeit einflussreicher Hauptsponsor des Klubs. Diese und andere Anekdoten machen das Pariser Kapitel zu einer durchaus lohnenden Lektüre.

Mich allerdings interessierte die zweite Ära Hechters im französischen Fußball viel mehr. Mitte der 80er Jahre, die lebenslange Sperre war inzwischen vom Tisch, ließ er sich überreden, erst als Unterstützer und Mäzen und später dann in verantwortlicher Position als Präsident beim elsäsisschen Traditionsklub Racing Straßburg einzusteigen. Und hier gab es noch deutlich engere Verbindungen zum deutschen Fußball. Denn Hechter verpflichtete 1989 mit Wolfgang Rolff und Thomas Allofs zwei Ex-Nationalspieler nahezu im Zenit ihrer Karriere. Allofs war gerade mit 17 Treffern Torschützenkönig der Bundesliga und Vizemeister mit dem 1. FC Köln geworden, Rolff hatte im Jahr zuvor mit Bayer Leverkusen sensationell den Uefa-Pokal gegen Espanyol Barelona gewonnen. Als die Verträge mit den deutschen Stars verhandelt und geschlossen wurden, spielte Straßburg noch in der ersten Liga - und alle Beteiligten gingen davon aus, dass der Verein zumindest über die Relegation die Klasse halten würde. Doch das misslang gegen Stade Brest (2:2, 0:1) - und Allofs und Rolff fanden sich bei Dienstantritt im Juli 1989 unvermittelt in den Niederungen der zweiten französischen Liga wieder. Und, mehr noch, der Allofs-Transfer wurde zu einem der größten Missverständnisse der deutsch-französischen Fußball-Geschichte. Der Torjäger, beraten vom ebenso umtriebigen wie geschäftstüchtigen Spielervermittler Holger Klemme, hatte eine Klausel in seinem Vertrag mit dem 1. FC Köln, wonach bei einem Wechsel zu einem anderen Verein die Ablösesumme 1,6 Millionen DM betrage und ein "eventueller Mehrerlös" zwischen Verein und Spieler geteilt werde. In der Folgezeit kam es zu einem heftigen Streit zwischen altem und neuem Klub sowie Allofs. Denn während die einen aus der Vereinbarung eine fest vereinbarte Ablöse herauslasen (und Hechter wollte keinen Pfennig mehr zahlen als diese 1,6 Millionen DM), gingen die Kölner von einem Mindestbetrag aus, der es ihnen unbenommen ließ, deutlich mehr zu fordern. Was sie auch taten. Nun gehören derartige Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von Vertragsklauseln an sich zum normalen juristischen Geschäft. Nie verstanden habe ich indes, wieso Allofs gleichwohl bereits elf Spiele (zwei Tore) im Trikot der Elsässer absolviert hatte, eine Spielgenehmigung also offenbar vorlag, ehe der Streit eskalierte, der Klub Allofs suspendierte und dieser nach etlichen Irrungen und Wirrungen im Winter 1990 nach Deutschland zurückkehrte und bei Fortuna Düsseldorf anheuerte.

Über genau diesen Transfer, die Missverständnisse zwischen Hechter und Köln und die Rolle Rolffs als Anführer des in der zweiten Liga um den sofortigen Wiederaufstieg kämpfenden Racing-Teams wollte ich etwas aus erster Hand erfahren - und vor allem deshalb hatte ich zu ""Mode, politique, PSG et autres coups de gueule" gegriffen. Und wurde bitter enttäuscht. Zwar erwähnt Hechter die Verpflichtung der beiden Deutschen - bei ihm sind es noch aktuelle Nationalspieler, geschenkt -, doch er verlegt sie kurzerhand ins Jahr 1988 und verliert kein einziges weiteres Wort (!) über all das, was dann folgte. Das ist jammerschade, denn gerade seine Sichtweise wäre für mich von riesigem Interesse gewesen. So verliert er sich in vagen Erinnerungen und arger Larmoyanz über die Elsässer, die "wollen, was sie nicht haben, aber wenn sie es haben, wollen sie es nicht mehr". Denn die Zeit des  schillernden Modezaren fand auch in Straßburg unter Krächen und Skandalen und finanziellen Turbulenzen ein jähes Ende, die Parallelen zur Pariser Zeit sind unübersehbar. 

Zweifellos ein interessantes Stück französische Fußballgeschichte, aber die Erinnerungen sind doch arg lückenhaft, und meine Erwartungen aus deutscher Sicht waren leider deutlich höher.

Daniel Hechter: "Mode, politique, PSG et autres coups de gueule", Pygmalion