Montag, 27. Mai 2024

Sympathische, aber etwas zu steril geratene Danksagung

An sich mag ich es, wenn Autoren die Audio-Versionen ihrer Bücher selbst sprechen. Niemand ist vertrauter mit dem Werk (oder sollte es zumindest sein) und kann der Hörbuchfassung eine größere Intensität verleihen als der Autor selbst. Wobei das möglicherweise mehr für Fiction als für Nonfiction gilt. Barry Eisler beispielsweise hat seine John-Rain-Reihe, als er sie irgendwann selbst als Audiobooks eingelesen hat, qualitativ nochmal auf eine neue Stufe gehoben (bis er gegen Ende der Reihe zu berauscht von seinen eigenen Protagonisten war, aber das ist wieder eine andere Geschichte). Nils Petersen ist, das muss man leider sagen, kein begnadeter Vorleser - allzu bemüht und dadurch sperrig sowie übertrieben oder sogar falsch betont kommt die Hörbuchfassung seiner Biographie "Bankgeheimnis" daher. Vielleicht wäre es besser gewesen, hier einen professionellen Hörbuchsprecher ranzulassen. 

Allerdings war ich auch inhaltlich letztlich nicht gänzlich glücklich. Immerhin hat Nils Petersen, wie er selbst sagt, die Bundesrepublik fußballerisch einmal komplett vermessen - von Ost (Cottbus) über Süd (München) und Nord (Bremen) nach Freiburg (Südwest), hat in der Olympia- und der Nationalmannschaft gespielt, unter großen Trainern wie Jupp Heynckes, Christian Streich und Horst Hrubesch und mit großen Kollegen wie Thomas Müller und Toni Kroos gearbeitet. Da sollte es ja einiges zu erzählen geben. Tatsächlich aber ist "Bankgeheimnis" weniger eine Biographie als mehr eine persönliche Danksagung (u.a. an "ausnahmslos alle Gegenspieler") und eine Art Ratgeber für alle, die einen ähnlichen Weg einschlagen wollen. Petersen, der schon zu seiner aktiven Zeit stets als ein bodenständig-sympathischer Zeitgenosse erschien, ist vermutlich auch nicht der Typ für ein "Jetzt sage ich, wie es wirklich war"-Buch. "Bankgeheimnis" soll und will ersichtlich keine schmutzige Wäsche waschen und niemandem weh tun, bleibt aber letztlich leider etwas steril und konturenlos. Beim Lesen entstehen nur selten Bilder, nur selten so etwas wie Atmosphäre und das Gefühl einer Innenbetrachtung. Es gibt solche Momente durchaus, etwa wenn Petersen vom Olympia-Turnier 2016 in Rio berichtet, als er beim 10:0 gegen die Fidschi-Inseln fünf Tore schoß und sich später im Fahrstuhl von Trainer Horst Hrubesch sagen lassen muss: "Gegen die hätte ich auch fünf Buden gemacht."

Leider bleiben solche Szenen die Ausnahme. Ansonsten werden die Karriere-Stationen Petersens abgehandelt, die Zeit beim FC Bayern gefühlt auf ein einigen wenigen Zeilen (und ohne, dass ich jemals das Gefühl erhalte, "dabei" zu sein), und irgendwie klingt mir an zu vielen Stellen auch durch, dass Petersen auch nicht gänzlich unglücklich war, bei jenem Spiel nur auf der Bank gesessen und bei dieser Partie doch nicht eingewechselt worden zu sein. Vielleicht fehlt ihm auch der letzte Biss, das letzte Quentchen Ehrgeiz, das am Ende den Unterschied gemacht hätte, mit dem er dann aber vielleicht auch nicht der sympathische Typ wäre, der er ist, wer weiß. Was mich auch hier und da etwas irritiert hat, war die stellenweise seltsam betagte und gleichzeitig gedrechselte Sprache. So heißt es an einer Stelle: "Wer Bundesliga spielt, Autogramm- statt Visitenkarten verteilt und somit im Fokus einer sportbegeisterten Öffentlichkeit steht, sollte gefälligst auch moralisch einwandfrei unterwegs sein? Ziemlich viel verlangt von jungen Bengeln, denen die Welt gefühlt zu Füßen liegt und die mit dem Trubel um ihre Person erst einmal zurechtkommen müssen, ohne abzuheben. Das ist einfacher gesagt als getan." Welcher Mittdreißiger spricht, wenn er sich und seine Altersgenossen als Fußballspieler Anfang zwanzig in den Blick nimmt, heute von "jungen Bengeln"? Oder an anderer Stelle: "Allerdings fehlten mir persönlich im Kreis all der rundum hofierten Elitekicker im Starensemble mit den vier Sternen auf dem Trikot stets die Geborgenheit, das Wir-Gefühl und das Vertrauen, um auch dort mit deutlich weniger Talent als die Mehrzahl der Mitbewerber meine Stärken zum Vorschein bringen zu können." Ist das wirklich Nils Petersen, der da spricht?

All das macht aus "Bankgeheimnis" beileibe kein schlechtes Buch. Die Anfangszeit bei Carl-Zeiss Jena und der Durchbruch in Cottbus unter Pele Wollitz werden durchaus informativ dargestellt, die immerhin zwei Jahre beim FC Bayern für meinen Geschmack deutlich zu knapp, besser schon wieder die anschließenden Jahre in Bremen und Freiburg, aber mir jedenfalls fehlt letztlich etwas, was dieses Buch und den Blick auf die Bundesliga-Zeit von Nils Petersen unverwechselbar und wirklich atmosphärisch macht. 

Da war meines Erachtens mehr drin. 

Nils Petersen: "Bankgeheimnis", Herder Verlag