Mittwoch, 8. Januar 2025

Ein kleines Stück vom EM-Kuchen

"Giganten: Die größten EM-Spiele aller Zeiten" heißt das im Vorfeld der letzten Europameisterschaft erschienene Buch von Altmeister Dietrich Schulze-Marmeling. Allerdings hätte man es genauso gut "Von diesem leckeren EM-Kuchen will ich auch ein Stück" nennen können. Landesweit und quer durch alle Branchen war im Vorjahr ja versucht worden, ein zweites Sommermärchen herbeizuschreiben und herbeizureden - wobei die meisten dabei wohl das Märchen von der Gans, die goldene Eier legt, vor Augen hatten. Oder das vom Goldesel Bricklebrit. "Giganten" ist da keine Ausnahme. Das Buch, so heißt es im Klappentext subtil, "ist das ideale Geschenk für alle Fußballfans, die dem Turnier heute schon entgegenfiebern!"

Nun ist es natürlich nicht verboten, Geld verdienen zu wollen, und es ist auch nicht verwerflich, Leuchttürme wie eine EM im eigenen Land in besonderer Weise nutzen zu wollen. So rosig geht es der Buchbranche nicht, als dass sie sich ihre Feste aussuchen könnte. Vermutlich bin ich nur etwas gallig, weil mir die EM 2024 von Anfang an ein Dorn im Auge war, was nicht zuletzt an ihrem Direktor lag. Philipp Lahm gehört mit Sicherheit zu den besten, beständigsten und erfolgreichsten deutschen Spielern aller Zeiten. Aber er ist in meinen Augen gleichzeitig einer der unangenehmsten Opportunisten, die der deutsche Fußball je hervorgebracht hat. Ein Meister des wohlkalkulierten und deshalb wohlfeilen Tabubruchs (SZ-Interview), ein König des Brown-Nosings, der für seinen jeweils gerade aktuellen Trainer stets schwärmerische Verehrung hegte und dem zu früheren allerlei Kritisches einfiel ("Der feine Unterschied"), einer, der erst dann mutig auf Teamkapitän Michael Ballack eintrat, als der - im Wortsinne - verletzt am Boden lag. Und weil dieser Mann, dessen Funktionärskarriere beim FC Bayern der ausgewiesene Menschenkenner Uli Hoeneß mit aller Kraft verhinderte,  die EM organisierte, mochte ich dieses Turnier nicht - und vermutlich habe ich deshalb auch "Giganten", das so unverhohlen von dieser EM profitieren wollte, erst einmal links liegengelassen.

Allerdings ist Dietrich Schulze-Marmeling nicht irgendwer, und es war klar, dass ich mir das Buch früher oder später mal ansehen würde. Jedoch ging es mir damit so wie mit der EM: Richtig warm sind wir miteinander nicht geworden. Dabei kann ich nicht einmal ganz genau auf den Punkt bringen, woran das liegt. Vielleicht an der Unmenge Zahlen, mit der Schulze-Marmeling gerade am Anfang hantiert - Qualifikationsbewerber, Stadien, Spiele, Tore, Zuschauer, Statistiken noch und nöcher. Vielleicht daran, dass das Buch - eher ungewöhnlich für Schulze-Marmeling - mitunter etwas reissbrettartig-sperrig geschrieben wirkt, insbesondere, wenn es darum geht, Synonyme für die jeweiligen Nationalteams zu wählen und immer und immer wieder stereotyp von der "Elftal" und der "Selección" und der "Squadra Azzurra" die Rede ist. Auch sonst ertappe ich mich immer mal wieder bei einem etwas gequälten Ausatmen, etwa wenn Netzer - natürlich - aus "der Tiefe des Raumes" kommt, wenn in der Halbzeit "Pausentee" getrunken wird und Uli Hoeneß 1976 den Ball "in den Himmel von Belgrad drischt". Hier und da hatte ich beim Lesen Rembrandt vor Augen, der missmutig einen fetten Geschäftsmann porträtiert, weil er das Geld braucht.

Interessantes, Reizvolles wird - aber das dürfte in einem Buch dieser Art nicht anders gehen - leider nur angedeutet. Meist sind das Passagen zum Innenleben der deutschen Nationalelf,  etwa zur EM 1992, bei der sich Andreas Brehme laut Schulze-Marmeling als Kapitän im Turnierverlauf zunehmend überfordert gezeigt habe, oder 1996, als der Rücktritt Bodo Illgners dem Team gut getan und auch den verletzten Mario Basler niemand vermisst habe. Hier hätte ich gern mehr Details erfahren.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Auch wenn in dem Buch unter dem Strich nicht allzu viel Neues stehen mag, ist die Idee, die Geschichte der Europameisterschaft anhand ausgewählter Spiele zu erzählen und dies mit teilweise wirklich schönen Fotos zu garnieren, nicht schlecht und hier auch handwerklich solide umgesetzt. Und vermutlich stimmt der Klappentext, am ehesten ist das Buch als Geschenk geeignet. Aber, und da gleicht es der EM, ein Sommermärchen ist es für mich nicht.

Dietrich Schulze-Marmeling: "Giganten: Die größten EM-Spiele aller Zeiten", Verlag Die Werkstatt