Donnerstag, 5. Juni 2025

Stan Libuda: Geschichte eines sympathischen Verlierers


(KM) Heute greifen wir wieder mal zu einem der etwas älteren Bücher. Thilo Thielke, langjähriger "Spiegel"-Redakteur und leider viel zu früh verstorben, hat bereits 1997 im Verlag Die Werkstatt eine Biographie des legendären Schalker Dribbelkünstlers Reinhard "Stan" Libuda vorgelegt. Dass sich der Verlag 2002 zu einer Neuauflage entschied, sagt bereits einiges über den Erfolg dieses Werks.

Mich hatte an "'An Gott kommt keiner vorbei...' - Das Leben des 'Stan' Libuda" zweierlei gereizt. Da war zum einen das bisher nirgendwo näher beleuchtete Auslandsjahr Libudas bei Racing Straßburg. Nach dem Bundesliga-Bestechungsskandal 1971 - Libuda war darin in ähnlicher Weise verwickelt wie der Blinde zu einer Ohrfeige kommt - flüchteten etliche der beteiligten Spieler ins Ausland, nach Holland, nach Belgien, nach Südafrika oder - wie der Schalker - eben nach Frankreich. Zum zweiten hatte mich bereits eine kurze Leseprobe überzeugt, dass Thielke zu schreiben verstand und die sportliche und private Achterbahnfahrt des begnadeten Flügelläufers interessant präsentieren würde.

Man fragt sich, wie es der zwar durch und durch sympathische, aber eben hypersensible Libuda jemals in den bezahlten Fußball - schon damals ein ziemlich rauhes Geschäft - schaffte, dort immerhin auf 264 Bundesligaspiele und 26 Einsätze in der Nationalelf kam und Vizemeister, Europapokalsieger und 1970 in Mexiko mit dem DFB-Team WM-Dritter wurde. Denn Libuda erinnerte nicht  nur äußerlich mit seinen stets traurigen Augen an Buster Keaton, er war auch ein unfassbar scheuer und stets unsicherer Mensch, einer, den ein Gegenspieler bereits mit der Frage, ob seine (bildschöne) Ehefrau mal wieder fremdgehe, völlig aus dem Konzept bringen konnte. Immerzu von Selbstzweifeln und Minderwertigkeitskomplexen geplagt, starken Formschwankungen unterworfen, nie mit sich im Reinen - so schlängelte sich Libuda durch die Jahre in der Bundesliga, erst bei Schalken (oft unglücklich), dann bei Dortmund (öfter unglücklich), dann wieder bei Schalker (erneut unglücklich), ging anschließend nach Straßburg, ohne es wirklich zu wollen (wofür er aber immerhin 130.000 DM Handgeld kassierte), und versackte anschließend, nach dem Ende seiner Laufbahn, in einem 16 Quadratmeter großen Tabakladen am Gelsenkirchener Markt, einem "stinkenden Käfig", wie Ex-Trainer Rudi Gutendorf notierte. 

Libuda starb mit 52 Jahren an Kehlkopfkrebs, völlig verarmt, verbittert, im Leben gescheitert. Und der angeblich an eine Gelsenkirchener Hauswand gemalte Satz, den man bis heute mit ihm verbindet, demzufolge an Gott zwar grundsätzlich keiner, Libuda aber schon vorbeikomme, der war, wie Thielke enthüllt, nur die Erfindung eines Boulevardblatts. Thielkes Buch  ist eine zwar über weite Strecken deprimierende, aber dennoch hochinteressante Lektüre über einen, der fußballerisch an seinen besten Tagen zu den Größten des Spiels gehörte, aber eben nie so richtig in diese Welt passte. Lohnt sich!

Thilo Thielke: "'An Gott kommt keiner vorbei...' - Das Leben des 'Stan' Libuda", Verlag Die Werkstatt