Mittwoch, 20. September 2023

Genau das, was ich von einer Biographie erwarte

Die Horst-Hrubesch-Biographie von Andreas Schier ist nicht mehr taufrisch, aber ich habe sie hier dennoch in meine Liste aufgenommen, weil sie sich bestens als eine Art Template eignet: Wer auch immer plant, einen der prägenden Köpfe des deutschen Fußballs (vorzugsweise einen aus den 80er/90er Jahren) zum Sujet eines Buches zu machen, sollte sich Schiers Werk als Vorbild nehmen. Schier kommt dem Menschen, dem Spieler, dem Trainer Hrubesch unglaublich nahe, ohne - und das ist wesentlich einfacher gesagt als getan - jemals die kritische Distanz zu verlieren. 
 
Deutlich wird dies immer dann, wenn der Autor Irrtümer, Niederlagen und Schwächen Hrubeschs beschreibt. So schildert er, wie der bullige frühere Mittelstürmer etwa seinem zweiten Sohn sagte: "Tu mir einen Gefallen und mach irgendwas, aber spiele nie wieder Fußball!" - und dafür nach eigener Aussage von seiner Frau "einen ordentlichen Einlauf" erhielt. Aufschlussreich war auch die Szene, als er als Co-Trainer von Erich Ribbeck bei der missratenen EM 2000 überaus dünnhäutig ("Das musst Du das Arschloch fragen!") reagierte, als einer der Spieler arrogant und vor dem gesamten Team seine Autorität in Frage stellte. Eher zum Schmunzeln ist, wie Hrubesch als Nachwuchstrainer des DFB bei einer Dienstreise in Portugal irrigerweise glaubte (und das lauthals und besserwisserisch kundtat), mit seinem Mietwagen sämtliche Mautstellen einfach so ohne Bezahlung passieren zu können, und höchst uneinsichtig reagierte, als dafür später eine gesalzene Strafzahlung kam: "Wenn ich einen Mietwagen buche, ist immer alles inklusive." Klar doch! Und die manchmal holzschnittartigen, aber offenbar doch wirksamen Erziehungsmethoden des Nachwuchscoaches werden anhand folgender Szene sehr schön illustriert: Ein Speisesaal in einem Hotel, irgendwo. Ein Nachwuchsspieler will seinen Coach Horst Hrubesch freudig begrüßen. Der guckt ihn jedoch nur finster an. Der Spieler wundert sich, fragt sich verzweifelt, was los ist und was er falsch gemacht hat. Da fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: Er hat seine Kappe noch auf. Schnell nimmt er sie ab. Jetzt erst fällt ihm Hrubesch überschwänglich um den Hals: "Grüß Dich, mein Guter!" Hm, okay.

Ob man das nun gut findet oder nicht, ist nicht entscheidend. Fakt ist: Man lernt Horst Hrubesch mit all seinen Ecken und Kanten, Stärken und Schwächen, seiner Sensibilität (Nichts verletzte ihn mehr als der Hohn und der Spott, den seine legendären Äußerungen "Ich sage nur ein Wort: Vielen Dank!" und "Wir müssen das Spiel noch einmal Paroli laufen lassen." ernteten) und seinem rauhen Charme kennen - und das ist einfach ein enormes Lesevergnügen. Wir begleiten den Essener auf seinen Stationen als Fußballer - in Hamburg natürlich, bei Standard Lüttich, die letzten Monate in Dortmund, dann als Trainer an der Seite Ernst Happels in Innsbruch, aber auch als Chef in Dresden und Rostock, zuvor in Wolfsburg und während eines allzu kurzen Türkei-Abenteuers, ehe Hrubesch als Nachwuchscoach des DFB seine wahre Berufung entdeckt.

Am liebsten würde ich Schier sagen: Nimm Dir doch Berti Vogts und mach' nochmal exakt das Gleiche - und danach Karl-Heinz Feldkamp oder Horst Köppel oder Manfred Kaltz oder Dieter Hoeneß oder Erich Ribbeck oder Winfried Schäfer oder... An dieser Stelle könnte ich ewig weitermachen.

Andreas Schier: "Horst Hrubesch", Gütersloher Verlagshaus