Montag, 19. August 2024

Fußball & Social Media: Schöne neue Gruselwelt

Auch dieses Buch ist nicht mehr taufrisch, stand aber einige Zeit auf meiner Liste - und hatte es jetzt als Schnäppchenkauf in meine 2024er Sommer-Collection geschafft. Mario Leo, Social-Media-Experte und Spezialist für die Präsentation von Fußballklubs in den sozialen Netzwerken, beschreibt die rasant gestiegene Bedeutung dieser Netzwerke für den Fußball und benennt die hieraus zu ziehenden Schlußfolgerungen für die Vermarktung von Vereinen und Spielern.

Dies geschieht recht anschaulich anhand konkreter Beispiele wie der titelgebenden Verpflichtung Ronaldos durch Juventus Turin 2018, der asiatischen Follower-Riege Mesut Özils und der Vermarktung des seit 2014 heimatlosen ukrainischen Klubs Schachtar Donezk als virtuellem Klub. Soweit gar nicht uninteressant, selbst wenn man mit den sozialen Medien und dem Gedöns um Likes und Follower nicht viel am Hut hat. Stellenweise sind Leos Ausführungen sogar recht informativ, wenn es beispielsweise darum geht, wie mit Hilfe der Netzwerke geographische Barrieren überwunden werden können.

Aber leider wird allzu schnell deutlich, dass es bei all den Likes und Followerzahlen eben gar nicht darum geht, Barrieren zu überwinden und echte Bindungen aufzubauen, sondern sie vielmehr ein reiner Selbstzweck sind. So beschreibt Leo ein vermeintliches Dilemma des FC Basel, der 2012 den ägyptischen Nationalspieler Mohamed Salah verpflichtete. Der brachte dem Verein über eine Million Follower aus seiner Heimat, die der FC Basel laut Leo "gern behalten" wollte, als Salah 2014 nach England weiterzog. Ob nun aufgrund des schnellen Kaufes von zwei weiteren - allerdings erfolglosen - ägyptischen Spielern oder dank Leos geschickter Social-Media-Beratung des Klubs, der größte Teil der ägyptischen Follower, so der Autor stolz, sei "noch da". 

Nur: Wen kümmert das? Wer genau schert sich um diese digitalen Karteileichen? Wem nützen sie etwas? Diejenigen, die dem FC Basel gefolgt sind, weil ihr Idol dort spielte, werden ihm nach dem Wechsel Salahs eben emotional nicht mehr folgen. Und es ist völlig egal, ob sie nur zu faul waren, dem FC Basel mittels eines Klicks zu "entfolgen", oder mit einem halben Auge die Ergebnisse noch mitlesen - diese Million "Follower" sind nichts, aber auch gar nichts, was dem FC Basel nach Salahs Abgang noch irgendetwas bringt. Sie kaufen keine Trikots und keine Eintrittskarten, sie fühlen sich auch nicht mit dem Klub verbunden und sie wären auch keine Grundlage für eine "Ägyptengastspielreise" der Schweizer. Sie sind nichts als ein virtueller Rechnungsposten, den Social-Media-Experten stolz als Grafik in die Höhe halten, um die eigene Existenz zu rechtfertigen, der aber eben tatsächlich rein gar nichts wert ist.

Mario Leo entführt uns in eine schöne neue Gruselwelt, in der jedenfalls ich nicht zu Hause sein möchte. Aber das macht das Buch zu keinem schlechten Buch - man muss nur über die enorme Begeisterung des Autors ob dieser ganzen sinnlosen digitalen Nullsummenspiele hinwegsehen.

Mario Leo & Alex von Kuczkowski: "Kaufen Sie Ronaldo!", Verlag Die Werkstatt