Donnerstag, 10. August 2023

Ein wunderbares Buch!

Der Spieler Rainer Zobel war leider etwas zu früh aktiv (ab 1968 in der Bundesliga - zunächst bei Hannover 96, dann beim FC Bayern München), um mich schon zu interessieren, der Trainer Rainer Zobel (nach kleineren Stationen und einer Tätigkeit als Co-Trainer in Braunschweig ab 1990 bei den Stuttgarter Kickers und in Kaiserslautern) hingegen passt haargenau in mein zeitliches Beuteschema - und zusätzlich zudem durch seine zahlreichen Auslandsstationen (u.a. in Ägypten, dem Iran und Georgien). Grund genug, um mir die Ende 2020 im Arete Verlag erschienene Biographie von Albrecht Breitschuh einmal anzusehen.

Gemessen daran, dass Rainer Zobel weder als Spieler noch als Trainer jemals zu den ganz großen Stars gehörte (und die Zahl derer, die sich 2020 noch gut genug an ihn erinnern, um eine Biographie zu kaufen, vermutlich überschbaubar sein wird), kann ich  Autor und Verlag nur ein riesiges Kompliment dafür zollen, dass Buchprojekte wie dieses heutzutage noch realisiert werden. So, wirklich genauso (kleinere Mäkeleien siehe unten) stelle ich mir ein Buch über einen Spieler/Trainer vor, der vielleicht nicht zu den ganz Großen seiner Branche gehörte, aber ein eminent wichtiger Zeitzeuge ist und uns mitnehmen kann in den Alltag der Bundesliga Anfang der 70er Jahre oder beim ägyptischen Serienmeister al-Ahly Kairo. Mehr noch, ich könnte aus dem Stand zehn, fünfzehn, zwanzig Namen von Spielern und Trainern aufzählen, über die ich gern gleichartige Bücher lesen würde. Leider sind die ersten von ihnen bereits tot - ich denke da an Udo Lattek oder Wolfram Wuttke oder Jürgen Sundermann - oder haben wie z.B. Otto Rehhagel oder Kalli Feldkamp ein Alter erreicht, in dem man für ein derartiges Buchprojekt möglicherweise nicht mehr zur Verfügung stehen mag. Und ohne die persönlichen Eindrücke und Einblicke des jeweiligen Sujets dürfte eine Biographie in diese Qualität nur sehr schwer zu schreiben sein - nicht unmöglich, aber eben schwer.

Aber zurück zu Rainer Zobel. Es blieb wieder einmal Altmeister Udo Lattek vorbehalten, die Sache mit dem Spieler Zobel auf den Punkt zu bringen: "Es fällt nur selten auf, wenn er spielt - aber man merkt es immer, wenn er nicht spielt." Obwohl durchaus ein auch technisch hervorragender Kicker, merkte Zobel spätestens, welche Rolle ihm beim FC Bayern München zugedacht war, als er nach den ersten Trainingstagen in die Augen eines etwas konsternierten Franz Beckenbauer blickte: "Rainer, das geht hier gerade in die falsche Richtung. Fürs Fußballspielen bin beim FC Bayern ich zuständig." Als Unterstützer und Arbeitsbiene im Team des FC Bayern hingegen wurde Zobel zu einem der beständigsten Kicker der Münchner und feierte die großen nationalen und internationalen Erfolge in der ersten Hälfte der 70er Jahre praktisch alle mit. Nun gibt es über den FC Bayern und seine Superstars Dutzende Bücher. Und doch erliegt Breitschuh nicht der Versuchung abzuschreiben. Nur selten stößt man, wenn er mit wenigen, gelungenen Federstrichen Schwan und Beckenbauer und Neudecker und Müller in ihrem Alltag zeigt, auf Passagen oder Bonmots, die einem bereits bekannt vorkommen. Zuvor beleuchtet Breitschuh Zobels Anfangsjahre in der Bundesliga bei Hannover 96 unter dem legendären Tschick Čajkovski und an der Seite des jugoslawischen Stürmers Josip Skoblar, der erst später bei Olympique Marseille so richtig explodierte (44 Tore in einer Saison) und 1987 für ein ebenso kurzes wie glückloses Trainerengagement beim Hamburger SV in die Bundesliga zurückkehrte.

Für mich fast noch spannender als die Kapitel über den Spieler Zobel ist der zweite Teil über den Trainer. Ob die zunächst so verheißungsvoll beginnende Phase bei den Stuttgarter Kickers (nebst einer wunderbaren Geschichte über die Begegnung Zobels mit einem höchst unsympathisch erscheinenden Günther Jauch im "ZDF-Sportstudio"), das Kapitel in Kaiserslautern, in dem Zobel freimütig bekennt, mit Land und Leuten nicht so recht warm geworden zu sein oder (und vor allem) die Kapitel über die Auslandsstationen Zobels - all das ist großes Lesevergnügen. Ich brauche gar keine großen sozialwissenschaftlichen Analysen a la "71/72: Die Saison der Träumer" von Bernd-Michael Beyer, die den Fußball mit gesellschaftlichen und geschichtlichen Entwicklungen verknüpfen. Mir genügt es völlig, wenn jemand fundiert und pointenreicht ermittelt und dokumentiert, wie der Alltag der Protagonisten aussah, wie sie lebten, spielten, aßen, Geld verdienten und ausgaben, privat lebten und wohnten, mit Angeboten und Verlockungen hantierten usw. Besonders interessiert mich das, wenn es Spieler oder Trainer in Ausland zieht. Und deshalb habe ich mich gefreut, dass Breitschuh Zobels Zeit in Kairo so ausführlich und atmosphärisch  beleuchtet. Man sieht und riecht förmlich den allgegenwärtigen Stau und Smog in Kairo, in den Zobel eintaucht. Mich hat auch schon immer interessiert, wie das mit der Bezahlung im Ausland läuft - Zobel z.B.bekam sein Geld in bar (in Ägyptischen Pfund), tauschte das Geld in der Wechselstube in Dollar und nahm diese dann im Handgepäck mit nach Deutschland. Genau das sind die Einblicke, die ich mir wünsche. Und wenn ich nach einem Grund zum Mäkeln suchen müsste, dann könnte ich an sich nur kritisieren, dass ich am liebsten noch mehr davon gelesen hätte. So hätte mich zum Beispiel sehr interessiert, was ein ausländischer Trainer beim ägyptischen Serienmeister verdient - wie hoch war Zobels Salär im Vergleich zu seinen Stationen in der Bundesliga bzw. der zweiten Liga? Wie läuft das mit dem vom Verein zur Verfügung gestellten Apartment - gibt es nur dieses eine oder macht man mit einem Makler eine Tour durch die Stadt und sucht sich eines raus? Was hat Zobel im Vergleich dazu bei späteren Stationen im Iran, in den VAE oder in Georgien verdient? Insgesamt kommen einige der anderen Stationen im Buch eher kurz, was aber auch daran liegen mag, dass es leider meist recht kurze Stationen waren. All das ist aber Mäken auf hohem Niveau. 

Unter dem Strich bleibt ein höchst informatives, atmosphärisches Buch der Sorte, von der ich sehr gern noch mehr lesen möchte. Vielen Dank!

Albrecht Breitschuh: "Zobel: Ein Glückskind des Fußballs", Arete Verlag