Sonntag, 7. Juli 2024

Das geht noch besser: "11Freunde" und "Kicker" feiern sich

Das Buch stand schon etwas länger auf meiner Liste, aber ich hatte diverse Vorbehalte. Zum einen ließ bereits die Werbung für den anlässlich des 20. Geburtstages des Fußballmagazins "11Freunde" im Jahr 2020 im Heyne-Verlag erschienenen Band "Das große 11Freunde Buch: Eine wilde Fahrt durch 20 Jahre Fußballkultur" erkennen, dass etliche Seiten großzügig mit Originalabdrucken von Magazinseiten gefüllt wurden - nur eben im deutlich kleineren Buchformat. Die bereits einige Zeit in meinem Kopf geführte Diskussion, ob ich nicht doch allmählich eine Brille brauche, würde - so meine Befürchtung - durch dieses Buch unschön befeuert werden. Zum anderen war damit zu rechnen, dass ich als regelmäßiger "11Freunde"-Leser etliche Teile des Buches bereits kenne. Als es jedoch um meine diesjährige Urlaubslektüre ging und ich nach dem (ebenfalls 2020 erschienenen) Jubiläumsheft "100 Jahre Kicker" griff (dazu sogleich), packte ich mir schließlich zusätzlich auch noch den "11Freunde"-Wälzer ein. Urlaube mit dem Auto statt dem Flugzeug haben eben auch ihre Vorteile.

Um es vorwegzunehmen: Beide Befürchtungen erwiesen sich leider als vollauf berechtigt 😞. Aber sie sind nicht der Grund, weshalb ich nach Lektüre der über 450 Seiten ein wenig unzufrieden war. Was ich mir gewünscht hätte und was deutlich - sehr deutlich (!) - zu kurz kommt, sind Ausführungen zur Entwicklung des Magazins in diesen zwanzig Jahren und zum Redaktionsalltag. Zwar gibt es einen Abschnitt "Die ersten Ausgaben" (Auflage - 2.000, Vertrieb - Handverkauf, Redakteure - 2) mit einem hochinteressanten Interview mit Magazin-Co-Gründer Reinaldo Coddou H. Dem folgt jedoch nichts Vergleichbares nach. Wie wurde die Redaktion Stück für Stück aufgebaut? Wieso zog sie nach Berlin? Wie veränderte sich im Laufe der Jahre die Rolle von Philipp Köster? Wie und wann kam Tim Jürgens zum Blatt? Was ist aus früheren Mitstreitern wie Alex Raack und Katharina Dahme geworden - und wie sehen sie ihre Zeit bei "11 Freunde" heute? Wie entwickelte sich die Auflagenzahl? Wie war und ist das Verhältnis zu den Platzhirschen "Kicker" und "Sport-Bild"? Gibt es so etwas wie kollegiale Verhältnisse zu den Schreibern der Konkurrenzblätter? Wie sieht der Alltag mit Redaktionskonferenzen, Planung einer Ausgabe, Interviewterminen etc. aus? Wie schafft es Andreas Bock, sich immer die spannendsten Auslandsdienstreisen zu krallen? Wie knüpft man als anfangs unbekanntes Magazin überhaupt die ersten Kontakte - und wie kommt man insbesondere an die Spieler heran, die nicht mehr aktiv und raus aus dem Geschäft sind? Ein Wolfram Wuttke oder ein Willi Schulz werden nicht im Telefonbuch gestanden haben. Hier und da wird im Buch mal ein Mini-Einblick (in den Kapiteln "11Freunde in Gefahr") gewährt, aber es bleibt zu selten und zu wenig - oder aber, und hier wird es spannend, es passiert an der falschen Stelle. Ein gehöriges Störgefühl hatte ich bei der allzu offenherzigen Schilderung, wie HSV-Keeper Frank Rost ein vereinskritisches Interview erst selbst anbot und dann unvermittelt wieder zurückzog. Ich kann die Enttäuschung der Redakteure verstehen. Aber müsste sich die journalistische Verschwiegenheitspflicht nicht auch auf den Umstand beziehen, dass es ein solches Gespräch überhaupt gab? 

Übrigens: Woran erkennt man, dass ein Magazin, "das sich auf die Fahnen geschrieben hat, aus der Fankurve aufs Spielfeld zu blicken" (Philipp Köster), inzwischen Teil des Establishments geworden ist - oder sich zumindest so fühlt? Im Rahmen einer Jubiläumsschau rühmt es sich devot seiner guten Kontakte zur Berliner Politik: "Ein Highlight waren die Besuche des Außenministers Frank-Walther Steinmeier, der uns 2008, 2014 und 2016 die Ehre erwies." Auch Claudia Roth ("Ich bin die Claudi") empfindet bei "11Freunde"-Terminen offenbar eine Begeisterung, die man von ihr sonst nur kennt, wenn sie bei der Berlinale bestimmte, - sagen wir mal - problematische Redepassagen wild beklatscht. Angesichts derartiger Ärgernisse sehe ich dann schon großzügig darüber hinweg, dass auch im Jubiläumsband der unerklärlichen Begeisterung Philipp Kösters für Ansgar Brinkmann gefrönt wird - wieso ist eine laxe Berufsauffassung eigentlich ein Zeichen für Unangepasstheit und dafür, ein "Typ" zu sein? - und allzu billige Späßchen über Ostdeutsche gemacht werden (die natürlich ständig Wörter wie "urst" verwenden, klaro). Wobei sich "11Freunde" mit letzterem vermutlich für die spätere Partnerschaft mit dem "Spiegel" empfohlen hat, der auf Ostdeutsche bekanntermaßen einen ähnlich warmherzigen Blick wie Mathias Döpfner hat.  

Aber zurück zu "Das große 11Freunde Buch: Eine wilde Fahrt durch 20 Jahre Fußballkultur": Was bei all meinem Ärger und meiner Kritik nicht untergehen soll: Meine Welt wäre viel ärmer ohne dieses Fußballmagazin, das mir schon zu unzähligen wunderbaren Stunden verholfen hat. Deshalb sage ich an dieser Stelle: Schön, dass es Euch gibt, und alles Gute für die nächsten zwanzig Jahre! Und ehe Ihr das Buch anlässlich des 40jährigen Jubiläums in Auftrag gebt, könnt Ihr gern mal bei mir anrufen!

Auch wenn es kein Buch ist, soll das Ende 2020 erschienene Jubiläumsheft "100 Jahre Kicker" an dieser Stelle gleich mitbesprochen werden. Ich hatte es seinerzeit gekauft, gelesen, als "Leider enttäuschend" eingestuft und weggelegt, jetzt aber mal wieder hervorgeholt. Durch Bernd-Michael Beyers wunderbare Helmut-Schön-Biographie habe ich Lust bekommen, mich mit dem "Kicker"-Gründer Walther Bensemann und dem 2022 veröffentlichten Buch über die Rolle des Magazins im Nationalsozialismus zu beschäftigen - und da schien mir das Jubiläumsheft eine gute Einstimmung zu sein. Und, ja, mein heutiger Blick auf dieses Heft ist milder als der im Jahr 2020, aber wie für den "11Freunde"-Jubiläumsband gilt auch hier: Das geht durchaus auch noch besser.

Klar - anlässlich eines 100jährigen Jubiläums ist natürlich in erster Linie Selbstbeweihräucherung angesagt, und deshalb darf es nicht verwundern, dass Seite um Seite damit gefüllt wird, dass prominente Trainer und Spieler mehr oder weniger glaubhaft schildern, wie wichtig es ihnen ist, gleich Montag früh zum Kiosk zu rennen, um den "Kicker" zu kaufen. Ebenso wenig originell sind die "Vermarktungspartner", die in ungelenken Grußworten Glückwünsche aussprechen, oder Reiner Calmund, der in einem ganz unverhohlen nicht von ihm geschriebenen Gastbeitrag en passant auf das elektronische Archiv, "das der Kicker seinen Abonennten längst zur Verfügung stellt", verweist (als hätte Calli dort auch nur ein einziges Mal recherchiert). Besonders ärgerlich ist das Doppelinterview von Silvia Neid und Leonie Maier, die den Part "Der Kicker ist auch im Frauenfußball die Nummer eins" besetzen sollen und sich allzu sperrig gegenseitig Stichworte zuschieben und auf locker machen. Und natürlich darf auch beim "Kicker" der servile Verweis auf das gute Verhältnis zur Politik nicht fehlen, garniert mit Fotos von Begegnungen mit diversen Kanzlern und Ministern.

Aber es gibt in diesem Heft auch Interessantes und Lesenswertes: Der Ritt durch die Magazingeschichte mit Cover-Abbildungen aus den verschiedenen Jahrzehnten und knappen Infos zu Eigentümern, Verlagsstandorten, Preisen usw. ist hochspannend. Es gibt Beiträge zu den (erstaunlich wenigen) Chefredakteuren seit Gründung des Magazins, zu den "Zu Gast beim Kicker"-Gesprächen, zur fortschreitenden Digitalisierung des Geschäfts (das wohl dazu führen wird, dass der gedruckte "Kicker" irgendwann nur noch ein teures Vergnügen für Nostalgiker sein wird, das der Verlag bestenfalls widerwillig weiter anbietet) und zu verschiedenen interessanten Randfiguren rund um das Magazin, etwa einen Sammler, der in seinem Dachgeschoss ein weitgehend vollständiges "Kicker"-Archiv vorhält. 

Was ebenso vermieden wird wie bei den "11Freunden", ist ein Blick zur Konkurrenz, die gerade mal an einer Stelle im Christian-Lindner-Deutsch als "Mitbewerber" erwähnt wird. Wieso gibt es kein Grußwort von "Sport-Bild" und "11Freunde", wieso keine Ausführungen, wie sich der Markt durch das Hinzukommen dieser beiden Magazine verändert hat und welche Auswirkungen das auf die Arbeit der "Kicker"-Redaktion hatte? Wieso nicht die Erkenntnis, dass die drei Hefte in einer Welt sinkender Auflagen und harter Überlebenskämpfe der gesamten Branche unter dem Strich mehr verbindet als trennt? Warum wird die vom "Kicker" übernommene und dann platt gemachte "FuWo" nicht erwähnt? Und wieso taucht auch das "Kicker"-Spin-off "Fußball-Magazin", das immerhin fast zwanzig Jahre erschien, in diesem Heft nicht auf?

Unter den Strich ist das "Kicker"-Jubiläumsheft etwas gelungener als das "11 Freunde"-Buch, weil es mehr Neues enthält (und trotzdem nur ein Viertel kostet), auch wenn ich mir hier und etwas mehr Augenzwinkern, etwas mehr Lockerheit und etwas weniger von "Ein Mittelständler erstellt eine steife Firmenbroschüre zum Jubiläum" gewünscht hätte. Wie für "11Freunde" gilt indes auch für den "Kicker": Die Fußballwelt braucht Euch! Wer in die Nachbarländer Österreich und Schweiz schaut, in denen kein (gar kein!) Fußball-Magzin mehr erscheint, der kann nur froh über die Situation in Deutschland sein und darüber, dass es Jubiläen wie die hier besprochenen überhaupt zu feiern gibt. Hinter aller Nörgelei steht deshalb auch bei mir ein großes Dankeschön an die Macherinnen und Macher in beiden Häusern, große Anerkennung, für das, was sie Woche für Woche leisten, und die Hoffung, dass es noch viele weitere Jubiläen zu feiern gibt!

Philipp Köster und Tim Jürgens (Hrsg.): "Das große 11Freunde-Buch: Eine wilde Fahrt durch 20 Jahre Fußballkultur", Heyne Verlag

Sonderheft 100 Jahre kicker - Das Jubiläumsheft zum 100. Geburtstag des kicker, Olympia-Verlag