Dienstag, 2. Juli 2024

Gilbert Gress: Interessante, aber blasse Einblicke mit Lücken

Es gibt nicht allzu viele Bücher, die einen vertieften Einblick in den Schweizer Profifußball gewähren. Wenn dann eine 300-Seiten-Biographie von Gilbert Gress auf den Markt kommt, kann ich die kaum ignorieren - denn hier sind quasi als Zugabe auch noch Alltagsberichte aus der ersten und zweiten französischen Liga zu erwarten. Gress, hierzulande vor allem aufgrund seiner Zeit beim VfB Stuttgart in Erinnerung, war sowohl als Spieler als auch als Trainer bei Racing Straßbourg und Xamax Neuchachtel aktiv, er hat Servette Genf, den FC Sion, den FC Zürich, den FC Metz und obendrein den FC Brügge trainiert und war obendrein für kurze Zeit auch Schweizer Nationaltrainer.

Leider hat das Buch meine hohen Erwartungen nicht ganz erfüllt - und es fällt gar nicht so leicht, auf den Punkt zu bringen, woran das liegt. Denn Gress scheut sich nicht, die chronologische und stellenweise durchaus atmosphärische Abhandlung seiner Stationen als Spieler und Trainer mit klaren Meinungen und interessanten Einblicken zu garnieren. So berichtet er zum Beispiel, wie sich Ottmar Hitzfeld als Coach von Borussia Dortmund bei ihm - dem damaligen Trainer von Xamax Neuchachtel - nach einem Spieler des Teams erkundigte und später Gress' kritisch-zurückhaltende Einschätzung offenbar brühwarm an den Kicker weiterreichte. Der wiederum warf seinem Trainer daraufhin mit bitteren Worten vor, ihm die Chance auf die Bundesliga verdorben zu haben. Hochinteressant sind auch die Ausführungen, welch ominöse Rolle der Journalist Hans Blickensdörfer beim Transfer des Franzosen zum VfB Stuttgart und auch bei seinem späteren Verkauf spielte. Von Otto Rehhagel, damals noch Spieler beim 1. FC Kaiserslautern, so erfährt man weiter, musste sich Gress während eines Spiels übel beschimpfen lassen. Und mit Robert Schwan führte er Verhandlungen über einen Wechsel zum FC Bayern.

Doch trotz dieser teilweise wirklich spannenden Passagen bleiben die Erinnerungen von Gilbert Gress alles in allem seltsam blass und konturenlos. Zu selten entstehen wirklich Bilder in meinem Kopf, zu oft überwiegend Nüchternheit und Abgeklärtheit. Hinzu kommt die eine oder andere Lücke. Die Rückkehr von Gress zu Racing Straßbourg im Jahr 1991 etwa kommt für den Leser ein wenig wie aus heiterem Himmel. Tatsächlich wurde über diese Rückkehr nach meiner Erinnerung über mehrere Monate immer wieder spekuliert, bereits 1990, als der Präsident von Racing noch Daniel Hechter hieß. Von dem wiederum soll Gress allerdings wenig bis gar nichts gehalten und die Übernahme des Trainerjobs deshalb vehement abgelehnt haben. Erst nach Hechters Rücktritt war der Weg dann frei. Hiervon liest man im Buch leider nichts. Über derartige Hinter- und Beweggründe hätte ich gern mehr erfahren, ebenso über das Alltagsleben und die Verdienstmöglichkeiten eines Trainers in Frankreich und in der Schweiz in den 80er und 90er Jahren. 

Trotz dieser Lücken und Schwächen lohnt ein Blick in die Biographie von Gilbert Gress aus dem oben genannten Grund: Es gibt nicht allzu viele Bücher dieser Art.

Gilbert Gress: "Mein Leben für den Fußball", Giger Verlag