Sonntag, 13. Oktober 2024

Ein kleines, aber feines Liebhaberstück

"Elfmeterschießen kann man nicht trainieren!" Erstaunlich, wieviele - teils überaus prominente - Trainer diese Überzeugung vertreten - oder doch zumindest lange Zeit vertraten. Genaugenommen meinen sie damit sogar noch mehr, nämlich: "Ein Elfmeterschießen kann man nicht sinnvoll vorbereiten!" Dem norwegischen Sportpsychologen und Elfmeter-Experten Geir Jordet gelingt in seinem Buch "Unter Druck: Was wir aus der Psychologie des Elfmeterschießens fürs Leben lernen können" (DuMont-Verlag) eine stimmige, hochspannende, gut zu lesende und absolut überzeugende Widerlegung dieser Theorie. Und ich fürchte, nach der Lektüre des Buches muss ich dem von mir überaus geschätzten Jupp Heynckes vorwerfen, als Trainer des FC Bayern München das 2012er "Finale dahoam" höchstpersönlich verloren zu haben - durch eine ungenügende Vorereitung des entscheidenden Elfmeterschießens. Wer erinnert sich nicht an die kurzfristige und fast verzweifelte Suche nach willigen Schützen - nach mehreren Absagen musste Towart Manuel Neuer als einer der ersten Fünf antreten - und die passiv-ängstliche Mienen- und Körpersprache der Bayern, die sich deutlich von jener der Chelsea-Kicker unterschied.

Ein Buch nur über das Elfmeterschießen? Der Buchtitel verspricht zwar mehr ("Was wir aus der Psychologie des Elfmeterschießens fürs Leben lernen können"), Jordet bleibt dann aber doch erfreulich eng am eigentlichen Thema - und das tut dem Buch gut. Es ist nämlich gerade kein weiterer überflüssiger Lebens- und Karriere-Ratgeber, der nur krampfhaft einen Aufhänger beim Fußball sucht, sondern tatsächlich ein Werk, das sich kompetent und umfassend mit einem der schwierigsten und stressigsten Teile eines K.O.-Spiels beschäftigt. Dabei erliegt der Amateurfußballer Jordet nie der Versuchung, den Elitekickern dieser Welt erläutern zu wollen, wie man in einem tosenden Stadion und unter den Augen von Millionen von TV-Zuschauern in einem Champions-League- oder einem WM-Spiel einen potentiell spielentscheidenden Elfmeter am besten verwandelt. Das ist nicht sein Thema, auch wenn er gängige Herangehensweisen - torwartunabhängig oder torwartabhängig - erläutert und auch die (teils überaus schmutzigen) Tricks der Torhüter, um die gegnerischen Schützen zu verunsichern (der Argentinier Emiliano Martinez gilt hier als Meister seines Fachs), hochinformativ und im Detail vorstellt.

Seine eigentliche Stärke erreicht das Buch dann, wenn Jordet erläutert, wie man ein Elfmeterschießen psychisch und organisatorisch systematisch vorbereitet und das gesamte Team in dessen Ablauf einbezieht, wie Schützen bereits vor dem Spiel unter vier Augen angesprochen und ausgewählt werden, wie das gesamte Procedere im Spiel einem vorab festgelegten Plan folgen sollten, wie die Körpersprache des gesamten Teams und auch des Trainers den Ausgang beeinflussen können, wieviel die richtige Atmung zu einem richtigen Schuss beitragen kann und wie wichtig der richtige - aus Sicht des Schützen stimmige - Moment für den Schuß ist. Alle Darlegungen sind mit konkreten und bekannten Beispielen aus der Welt des Profifußballs anschaulich unterlegt und durch und durch substantiiert, was die Lektüre zu einem großen Vergnügen macht.

Wenn ich etwas kritisieren möchte, dann allenfalls - in Richtung der Übersetzer - die etwas stereotype Verwendung des Synonyms "Shootout" für ein Elfmeterschießen. Nein, ein Shootout ist gerade KEIN Elfmeterschießen, sondern die in der amerikanischen NASL entwickelte Alternativvariante, bei der der Schütze mit dem Ball auf den Towart zuläuft und fünf Sekunden Zeit hat, um ein Tor zu schießen. Aber das ist nun wirklich Nörgeln auf hohem Niveau.

Fazit: "Unter Druck" ist ein feines Spezialthema-Buch für Liebhaber, ein kleiner Leckerbissen zwischendurch, den ich nur wärmstens empfehlen kann.

Geir Jordet: "Unter Druck: Was wir aus der Psychologie des Elfmeterschießens fürs Leben lernen können", DuMont-Buchverlag