Freitag, 14. April 2023

Schade: Unnötig redundant und stereotyp

Hermann Gerland, ein Urgestein der Bundesliga, hat seine Memoiren vorgelegt. Im Grunde war dies längst überfällig, und wenn ich Verleger oder Lektor oder Agent wäre, hätte ich mich schon vor geraumer Zeit um ein Buch des „Tigers" bemüht.

Gerland, ab Anfang der siebziger Jahre eisenharter Verteidiger beim VfL Bochum, ab Mitte der achtziger Jahre später hier und auch beim 1. FC Nürnberg Cheftrainer, einem größeren Publikum aber vor allem als langjähriger Co-Trainer des FC Bayern München bekannt, eignet sich wie wohl nur wenige andere wunderbar als Zeitzeuge für die erstaunliche Entwicklung der Fußball-Bundesliga. Mit entsprechend großer Spannung dürfte sein Buch von all jenen erwartet worden sein, die sich für diese Thematik interessieren.

Und in vielerlei Hinsicht erfüllt der „Tiger" (sein eigentlicher Spitzname aus Bochumer Tagen lautet übrigens "Eiche") die in ihn gesetzten Erwartungen. Anschaulich und lebendig schildert er seine Jugend im Ruhrpott, seine Zeit als Kicker beim VfL und seinen späteren Wechsel ins Trainergeschäft. Auch die Zeit in Nürnberg und die Umstände und Hintergründe seines Wechsels zum FC Bayern werden auf atmosphärische Weise beleuchtet.

Wenn ich nach der Lektüre dennoch nicht so hundertprozentig zufrieden war, dann liegt das daran, dass dieses Buch noch wesentlich besser hätte werden können. Ein guter Lektor hätte zum einen die unzähligen Redundanzen und unerträglichen Stereotypen beseitigen können. Oft, für meinen Geschmack viel zu oft, musste ich lesen, dass Hermann Gerland ein einfacher, zwar rauer, aber eben doch herzlicher Kerl ist, der von niemandem Angst hat, sich von niemandem etwas vorschreiben oder sich manipulieren selbst, dessen "Kopf in keinen Arsch passt", der keine Auseinandersetzung, auch nicht mit den "hohen Tieren", scheut, der immer und jeden verteidigt hat – seine Geschwister, sein Team, seinen Verein etc. und der jedem hilft. Wiederholt lese ich, dass der Umgangston in der Bundesliga früher rau, aber dennoch herzlich war usw., immer wieder geht es um die Geschichten hinter den diversen (mehr oder weniger originellen) Spitznamen von Spielern und Trainern. Natürlich kann man über all das schreiben, und ich sage ja auch nicht, dass das uninteressant ist. 

Aber: Wenn Gerland beispielsweise schildert, wie er im piekfeinen Anzug (Befehl von Hoeneß) im drückend heißen Kolumbien Adolfo Valencia scoutete oder wie er in seiner Anfangszeit als Jugendtrainer beim FC Bayern zu einem Turnier in den Ruhrpott gefahren ist, dort wie immer bei seiner Schwiegermutter übernachten wollte und in ihrer Wohnung zu seiner Überraschung auf Rolf Rüssmann traf, den damaligen Manager von Borussia Mönchengladbach, der ihm einen Blankovertrag als Cheftrainer anbot - dann würde ich am liebsten schreien: „DAS ist es - von genau diesen Begebenheiten, diesen Geschichten möchte ich noch VIEL MEHR hören!" Denn gerade anhand dieser Einblicke, dieser Anekdoten bekommt man mit, wie die Bundesliga funktioniert - oder zumindest früher, in den achtziger, neunziger Jahren, noch funktionierte. Aber davon kommt im Buch leider viel zu wenig.

Beispiele gefällig? Zeitgleich mit Hermann Gerland kam 1990 der ehemalige Gladbacher Chef Coach Wolf Werner als neuer Trainer der Bayern-Amateure nach München. Es war damals durchaus außergewöhnlich, dass gleich zwei Bundesliga-Cheftrainer mit einem Mal ins zweite bzw. sogar dritte Glied zurücktreten. Mich hätte interessiert, wie die Zusammenarbeit der beiden in München ablief. Aber Wolf Werner findet im Buch keinerlei Erwähnung. Seltsam distanziert und steril bleiben auch Gerlands Schilderungen der Trainerzeit Sören Lerbys, unter dem Gerland 1991 immerhin erstmals als Co-Trainer der ersten Mannschaft in München arbeitete. Damals lief es bekanntlich alles andere als rund beim FC Bayern, der vorübergehend sogar in Abstiegsgefahr geriet. Wie hat der „Tiger" denn diese Zeit wahrgenommen? Wie hat er Lerbys Entlassung und die darauffolgenden Wechsel zu Ribbeck und Beckenbauer erlebt? Was hielt er von Otto Rehhagel, einst ebenso wie er ein harter Verteidiger, der 1995/96 in München sein Glück versuchte und scheiterte? Wie genau hat er, bekanntermaßen kein Freund von Jürgen Klinsmann, 2008/09 dessen erfolgloses Intermezzo als Cheftrainer beim FC Bayern erlebt?

Gleichzeitig missfällt mir - aber dafür kann Hermann Gerland vermutlich nichts -, dass ich allzu oft die Schere der Verlagsjuristen spüre, der Namen zum Opfer gefallen sind, teilweise gänzlich unnötig. So schildert Gerland vage, dass "ein Spieler" in seiner Nürnberger Zeit einen Journalisten körperlich attackiert habe, nachdem dieser sowohl den Spieler als auch dessen Frau beleidigt hatte. Es ist schon seit fast 30 Jahren klar und bekannt, dass es sich damals um Souleymane Sané handelte, den Vater des heutigen Bayern-Stars Leroy. Es gibt keinerlei Grund, diesen Namen zu verschweigen. Ähnliches gilt, als Gerland über seine Gründe seiner vorzeitigen Trennung vom FC Bayern München spricht. Er führt aus, dass "der Sportdirektor" mit ihm nichts habe anfangen können und er mit ihm auch nicht. Für einen, der sich ziemlich oft rühmt, immer zu sagen, was er denkt, hätte ich mir hier ebenfalls ein wenig mehr Klarheit gewünscht.

Unter dem Strich steht ein sehr informatives Buch, ein eminent wichtiges Zeitdokument, das aber eben noch etwas besser hätte werden können.

Hermann Gerland: "Immer auf'm Platz: Mein Leben für den Fußball", Verlag Droemer