Samstag, 5. August 2023

Eine positive Überraschung!

Eine Biographie des Vizeweltmeisters, Europapokalsiegers und Meistertrainers Felix Magath war in meinen Augen längst überfällig. Dem schon seit geraumer Zeit angekündigten Umsetzungsvorhaben durch den Verlag Die Werkstatt habe ich gleichwohl etwas skeptisch entgegengsehen. Zum einen war mir - wie schon bei Lothar Matthäus´ 2012 bei Lübbe erschienener Biographie "Ganz oder gar nicht" - völlig unklar, wie man eine rund vierzig Jahre währende Spieler- und Trainer-Karriere auf etwas mehr als zweihundert Seiten unterbringen will. Zum Vergleich: Es gibt Bücher von/über Rudi Gutendorf oder Uli Hoeneß, die bei rund 400 Seiten und mehr liegen - und selbst dort sind mir einige Dinge schlicht zu kurz gekommen. Zum anderen hatte sich der langjährige Kicker-Redakteur Harald Kaiser in seinem Buch "Ronaldo, Matthäus & ich" nicht gerade als begnadeter Erzähler erwiesen. Obendrein war der Erscheinungstermin des Buches gefühlt über einen Zeitraum von anderthalb Jahren immer wieder verschoben worden. Irgendetwas schien da zu knirschen.

Um so angenehmer war die Überraschung während und nach der Lektüre des Buches. Ja, auf 200 Seiten bekommt man weniger unter als auf 400 - und wenn man über unzählige Vereinsstationen als Spieler und Trainer plus Nationalmannschaftskarriere zu berichten hat, wird man sich hier und da etwas kürzer fassen müssen. So wird beispielsweise Magaths zweite Weltmeisterschaft - die WM 1986 in Mexiko, die er wie schon 1982 immerhin als Vizeweltmeister beendete - relativ schnell durchgehechelt. Und, ja, Harald Kaiser ist keiner, der wie beispielsweise Stern-Reporter Mathias Schneider in seiner Jogi-Löw-Biographie mit unglaublicher Genauigkeit Stimmungen und Strömungen und Entwicklungen und Konflikte nachzeichnet und eine detaillierte Persönlichkeitsstudie erstellt. Das heißt aber nicht, dass Kaiser sich auf eine reine Chronistentätigkeit beschränken würde. Ihm gelingt es, den Menschen Magath sichtbar werden zu lassen und bei all seinen Stationen die jeweils wesentlichen, maßgeblichen Aspekte, die zu Erfolg oder Mißerfolg führten, so zu beleuchten, dass man am Ende das Gefühl hat: Wunderbar, passt, das ist ein rundes, gelungenes Buch. Sicher steht einiges Erwartbares drin, etwa wenn es um Magaths von den Medien über die Jahre sorgfältig konstruiertes und dann endlos gemolkenes Image als "Schleifer" geht. Sicher gibt sich Kaiser mitunter mit allzu treuherzigen Erklärungen Magaths zufrieden, etwa wenn dieser erläutert, wieso er 2009 beim legendären 5:1 seiner Wolfsburger in München kurz vor Schluss einen (von den Bayern als reine Provokation empfundenen) Torwartwechsel vornahm. Aber es gibt eben auch viele neue Informationen und Blickwinkel, etwa Magaths leidenschaftliche Verteidigung der Leistung der Nationalmannschaft im WM-Spiel gegen Österreich (1:0) 1982 ("Schande von Gijón") oder die Kapitel über seine Anfangszeiten als Manager und Trainer in Hamburg, Saarbrücken und Uerdingen - man denke hier nur an die Umstände der Verpflichtung des vermeintlichen "Fliegenfängers" Mladen Pralija durch den HSV 1987. Diese Teile des Buches habe ich förmlich verschlungen.

Gern hätte ich mich von den Autoren noch viel öfter in Alltagsszenen aus Magaths Spieler- und Trainerleben mitnehmen lassen. Beispielsweise erzählt Magath, wie er vor seiner Verpflichtung durch den 1. FC Nürnberg für Vertragsverhandlungen mit dem Zug nach Nürnberg gefahren ist oder wie er während seines Engagements in China eines Abends auf dem Hotelflur plötzlich Karl-Heinz Riedle begegnete oder wie sich ihm dort ein Neffe Reinhard Saftigs plötzlich als neuer Manager vorstellte - eine Biographie lebt von derartigen Einblicken. Gleiches gilt über das Verhältnis Magaths zu anderen Protagonisten - die Branche ist ja letztlich doch überschaubar. Er hatte mit Karl-Heinz Rummenigge noch zusammengespielt - was war das für ein Gefühl, als er später von ihm (und Uli Hoeneß) für den FC Bayern verpflichtet wurde? Wie war es, in Teamchef Beckenbauers Nationalelf berufen zu werden, der vorher sein Kollege beim HSV war? Wie war sein Verhältnis zu Ex-Kollege Uli Stein, nachdem der nach dem berühmten "Steinschlag" gegen Jürgen Wegmann 1987 vom HSV gefeuert wurde? Magath und Kaiser sprechen diese Konstellationen teilweise durchaus an, aber für meinen Geschmack hätten diese Passagen noch ausführlicher ausfallen können. 

Was man Magath ganz klar zugute halten muss: Er spricht - anders als etliche seiner Kollegen - Klartext und versteckt sich nicht hinter nebulösen Andeutungen und Pseudonymisierungen. Vereinsvorstände, die Spieler entgegen getroffener Vereinbarungen verkauften oder die von früheren Absprachen plötzlich nichts mehr wissen wollten, die weinerlichen Spielern eine Anlaufstelle boten, statt dem Trainer den Rücken zu stärken, Manager, die fatale Fehlentscheidungen trafen oder Vereinsikonen, die einen Tätigkeitswechsel unter dem neuen Boss Magath ablehnten - er benennt, stets sachlich und ohne Nachkarten, Roß und Reiter, anstatt wie zum Beispiel Hermann Gerland vage von "ein Spieler" oder "ein Sportdirektor" zu reden. Da macht das Lesen Spaß!

Kurz und gut: Das Buch fügt sich nahtlos in die Reihe der wirklich guten, lesenswerten Biographien der letzten Jahre (Daum, Löw, Borowka) ein. 

Harald Kaiser: "Felix Magath: Gegensätzliches", Verlag Die Werkstatt