Mittwoch, 9. April 2025

Würdiges Alterswerk zweier Branchengrößen

Fußball und Politik - das war selten eine gute Kombination. Dafür muss man nicht ins Ausland und auf die jüngeren Fälle groß angelegten "Sportswashings" schauen. Die Geschichte der deutschen Nationalelf bietet bereits genügend Beispiele. Ob die unerträgliche Rede von DFB-Präsident Peco Bauwens nach dem WM-Triumph 1954 ("...und da haben die Jungens es wirklich gezeigt, was ein gesunder Deutscher, der treu zu seinem Land steht, zu leisten vermag..."), die unverhohlenen Sympathien seines Nach-Nachfolgers Hermann Neuberger für die argentinische Militärjunta  oder Franz Beckenbauers unsägliche Äußerungen zu den Arbeitsbedingungen der Gastarbeiter im WM-Land Katar ("Also, ich hab noch keinen einzigen Sklaven gesehen. Die laufen alle frei rum. Die sind weder in Ketten gefesselt noch haben sie irgendwelche Büßerkappen auf dem Kopf.") - im Dienste der Nationalelf haben sich hiesige Funktionäre schon so einiges an politischen Peinlichkeiten und Schlimmerem geleistet. Ruft man sich dann noch in Erinnerung, dass seit Helmut Kohl noch jeder deutsche Kanzler mehr oder weniger - in der Regel weniger - subtil versucht hat, aus seiner vermeintlichen Nähe zum Fußball und zur Nationalelf politisches Kapital zu schlagen, ist es nur naheliegend, diesem Thema ein eigenes Buch zu widmen. Genau das haben Bernd-Michael Beyer und Dietrich Schulze-Marmeling  mit "Politik im Spiel. Die andere Geschichte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft" (edition einwurf) jetzt getan.

Ich habe mich sehr auf dieses Buch gefreut. Denn in der Welt der Fußballbücher ist die Kombination aus Bernd-Michael Beyer und Dietrich Schulze-Marmeling so etwas wie - sagen wir mal - Franz Beckenbauer und Günter Netzer in einer Mannschaft. Beide haben die Branche wie nur wenige andere geprägt, Beyer insbesondere als langjähriger Geschäftsführer und Lektor des von ihm mitgegründeten Verlages Die Werkstatt sowie als Autor Maßstäbe setzender Biographien ("Helmut Schön"), Schulz-Marmeling als einer der Wegbereiter ernsthafter Fußballbücher und überaus produktiver Autor seither (u.a. "Der König und sein Spiel: Johan Cruyff und der Weltfußball").

Eingeteilt in meist dreizehn- bis fünfzehnjährige Zeitabschnitte widmen sich die Autoren streng chronologisch und mit gelegentlichen Exkursen der Entwicklung des Verhältnisses von Nationalelf und Politik zwischen 1908 und 2024, nehmen sich all die oben genannten Vorfälle und eine ganze Reihe weiterer vor, stellen Funktionäre und Trainer mit ihren politischen Bezügen und Umfeldern vor und gehen der Frage nach, ob Fußball "unpolitisch" sein oder ausdrücklich nicht sein sollte. Es ist eine stellenweise wütend machende Lektüre, vor allem, wenn es um die allzu enge Beziehung des Fußballs zum äußersten rechten Rand geht. Einerseits erfuhren NS-Verbrecher und SS-Schergen wie die einstige HSV-Legende Otto "Tull" Harder oder der Eintracht-Frankfurt-Kicker Rudolf Gramlich auch nach dem Krieg größte Achtung und Anerkennung und bekleideten - im Falle Gramlich - sogar über viele Jahre prominente Funktionärsämter. Andererseits wandt sich der von einstigen NSDAP-Mitgliedern geführte DFB wie ein Aal, als Ex-Bundestrainer Sepp Herberger 1971/72 vorschlug, den früheren jüdischen Nationalspieler Gottfried Fuchs, der vor den Nazis ins Ausland geflohen war, als Ehrengast zu einem Länderspiel einzuladen. Apropos Aal: Hermann Neuberger, den nach Einschätzung der Autoren nur die Gnade der späten Geburt vor einer NSDAP-Mitgliedschaft (und womöglich einer steilen NS-Karriere) bewahrte und der seinerseits fatale Sympathien für brutale Militärregimes - siehe Argentinien 1978 - hegte, war in meinen Augen immer das Musterbeispiel eines geradezu widerlich glatten Funktionärs und politischen Strippenziehers. Man nehme einmal ältere Interviews mit dem langjährigen DFB-Präsidenten im "Kicker" oder im "Fußball-Magazin" zur Hand und verfolge staunend, wie überaus routiniert und kühl Neuberger Fragesteller ins Leere laufen und jegliche Kritik gekonnt an sich abperlen lässt. In dieser Kunst konnte ihm keiner seiner vielen Nachfolger das Wasser reichen.

Aber zurück zum Buch: Es ist ein großes Vergnügen, sich mit der Thematik Politik & Nationalelf einmal komprimiert in einem Buch zu befassen. Allerdings muss man gleichzeitig einräumen, dass jene, die Beyers Bücher "Helmut Schön" oder "71/72: Die Saison der Träumer" (Besprechungen hier und hier) und dazu vielleicht noch Tobias Eschers "Die Weltmeister von Bern" gelesen haben, im Buch auf viel Bekanntes stoßen werden. Das ist auch wenig verwunderlich, hat Beyer den Fußball doch schon immer in seinem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld betrachtet und Bezüge zu allen nur denkbaren Lebensbereichem hergestellt. Angenehm ins Auge fällt, dass den Autoren Schubladendenken und Pauschalierungen fremd sind. Es bereitet ihnen keine Mühe, beispielsweise Berti Vogts einerseits für peinliche Äußerungen im Zusammenhang mit der Folterung Oppositioneller in Argentinien 1978 zu kritisieren und gleichzeitig anzuerkennen, dass er sich später als Bundestrainer einer Vereinnahmung durch die "Bild"-Zeitung bis zum Schluss standhaft und erfolgreich widersetzte. Auch DFB-Präsident Theo Zwanziger erfährt eine durchaus differenzierende und entgegen der herrschenden Meinung in Teilen positive Betrachtung. 

Schade fand ich nur eins: Während die Autoren die vielfältigen unseligen Berührungen des Fußballs mit dem äußersten rechten Rand klar und schonungslos thematisieren, legen sie an anderer Stelle eine aufällige Zurückhaltung an den Tag und versäumen es so, ein wirklich vollständiges Bild zu zeichnen. Nationalspieler Antonio Rüdiger findet zwar im Zusammenhang mit seinem Gebetsfoto und der daran von Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt geübten Kritik mal kurz (und dann auch nur mit kritischem Blick auf die Vorurteile, denen Rüdiger deshalb begegnete) Erwähnung. Aber das Problem war nie, jedenfalls nicht in meinen Augen, dass sich Rüdiger in einer schlimmstenfalls missverständlichen Pose fotografieren lässt und sich ein rechter Revolverjournalist daran stört. Das Problem war und ist ein ganz anderes, wie der rechter Sympathien gänzlich unverdächtige Journalist Christoph Ruf in seinem Buch "Es reicht!" (Besprechung hier) deutlich gemacht hat: Nachdem der französische Staatspräsident Macron angesichts eines erneuten islamistischen Mords in Paris (es ging mal wieder um Karikaturen) die Pressefreiheit verteidigte, "likte" Rüdiger einen Beitrag, der einen Foto mit einem Stiefelabdruck über Macrons Gesicht zeigte. Und, mehr noch: Vom DFB ließ sich Rüdiger anschließend eine aalglatte - und da sind wir wieder beim obigen Thema - Entschuldigungs-Pressemitteilung drechseln, die ein ausdrückliches Bekenntnis gegen islamistischen Terror sorgfältig vermied. Wenn ich aber der Meinung bin, dass junge und größtenteils unbedarfte Nationalspieler 1978 in Argentinien jene Haltung hätten zeigen sollen, die sowohl die Politik als auch die Funktionäre vermissen ließen, dann kann ich der heutigen, weitaus reflektierteren und medienerfahreneren Spielergeneration Derartiges eigentlich nicht durchgehen lassen.

Aber um diese Diskussion zu führen, muss man sich mit dem Thema eben erst einmal beschäftigen - und dafür eignet sich ""Politik im Spiel. Die andere Geschichte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft." bestens. Kaufen!

Dietrich Schulze-Marmeling/Bernd M. Beyer: "Politik im Spiel. Die andere Geschichte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft", edition einwurf