Freitag, 13. Oktober 2023

Interessantes 28-Gänge-Menü - mit Resten vom Vortag

Das Fußballgeschäft übte schon immer eine magische Anziehungskraft auch und gerade auf zwielichte Figuren  aus. Insofern war die Idee von 11Freunde-Redakteur Andreas Bock, ein Buch um (im weitesten Sinne) Kriminalfälle der Fußballgeschichte zu ranken, an sich gar nicht schlecht - als die Ankündigung hierzu kam, rückte das Buch auf meinem persönlichen Lesestapel schlagartig in die Spitzengruppe. Um es vorwegzunehmen: Es ist ein sehr schönes, interessantes Buch, aber hundertprozentig zufrieden war ich nach der Lektüre gleichwohl nicht - ohne aber auf den Punkt genau sagen zu können, was Bock hätte anders oder besser machen können. Schauen wir es uns mal an:

 Problem Nummer eins: Der Ton. Bock hat insgesamt 28 Kapitel zusammengetragen - manche sind eher eine Best-of-Sammlung (Schlägertypen, Dealer, verrückte Präsidenten etc.), in den meisten aber geht es um mehr oder weniger bekannte Einzelschicksale. Bei Sammlungen dieser Art ist es gar nicht so einfach, den richtigen Ton zu treffen. Wir haben hier einerseits Dick-und-Doof-Geschichten wie die des Wuppertaler Stürmers Ralf von Diericke, der 1985 eine Spielhalle überfiel, dabei die Skimütze so schief aufsetzte, dass der Sehschlitz auf der Stirn hing und er praktisch nichts sah, weshalb er bei der Flucht über seine eigenen Beine stolperte und seine Beute verlor. Und auf der anderen Seite nimmt uns Bock mit zur WM 1978 in Argentinien, wo - während die Spiele liefen - quasi gleich neben den Stadien in irgendwelchen Kellern Regimegegner von der Militärjunta gefoltert und vergewaltigt wurden. Hier stößt einem das schadenfrohe Vergnügen, das man ob Dierickes Dämlichkeit gerade noch empfunden hat, ziemlich sauer auf und die lockere Stimmung schwindet. Aber wer liest schon gern mit einem sauren Geschmack im Mund? Ich nicht. P.S. So sehr ich Berti Vogts (entgegen der herrschenden Meinung) schätze - sein damaliger Satz "Ich habe keinen einzigen politischen Gefangenen gesehen." dürfte ihm heute ziemlich peinlich sein. 

Problem Nummer zwei: Aufgewärmtes. Dem regelmäßigen 11Freunde-Leser werden etliche der Anekdoten, Zitate oder sogar ganze Texte im Buch bekannt vorkommen. Ein besonders krasses Beispiel ist das Kapitel über Vlado Kasalo, das mehr oder weniger komplett aus dem Magazin übernommen wurde. Dies geschieht keineswegs heimlich - Bock erwähnt ausdrücklich, wenn etwas schon in 11Freunde stand. Tja, und an der Stelle stecke ich in einem Dilemma. Einerseits ist das Kasalo-Kapitel das mit Abstand beste des ganzen Buches. Auf der anderen Seite spüre ich in mir ein Grummeln ob dieser Zweitverwertung, weil ich als 11Freunde-Leser für all das ja schonmal bezahlt habe und es eben auch schon kenne. Nur sehe ich auch nicht, wie Bock dieses Thema anders hätte lösen können. Es macht ja wenig Sinn, nochmal nach Zagreb zu fliegen und die Geschichte Kasalos mit anderen Worten nochmal aufzuschreiben. Aber mein Grummeln ist eben da...

Problem Nummer drei: Mitunter nichts Neues. Man kann Ereignisse, mit denen an sich ganze Bücher zu füllen wären, auf zehn, fünfzehn Seiten naturgemäß nicht erschöpfend behandeln. Deshalb ist es eine besondere Herausforderung, wenn man sich Themen widmet, die an anderer Stelle schon ausgiebigst gemolken wurden. Wer etwa mit dem Schicksal Lutz Eigendorfs oder den Eskapaden Robert Hoyzers auch nur halbwegs vertraut ist, wird in Bocks Buch nicht viel Neues erfahren. Das "Kenne ich doch alle schon"-Gefühl von den 11Freunde-Passagen wird hier dann leider wieder erneuert. 

Das mag etwas viel Nörgelei an einem trotz allem wirklich guten Buch sein. Vielleicht ist es mir auch nur nicht "unterhaltsam" genug in dem Sinne, dass es die Blase und Scheinwelt des Profifußballs verlässt und mich in die rauhe Wirklichkeit führt: Ein von einem Drogenbaron aus Rache erschossener Spieler, die traurige Geschichte Erwin Kosteddes oder - was mich besonders frösteln ließ - der Gefangene der argentinischen Militäjunta, der gezwungen wird, sich als Journalist auszugeben und ein Interview mit César Menotti zu führen (während einer der Folterer als Aufpasser neben ihm sitzt), all das ist keine leichte Kost. Ich bin wahrscheinlich doch eher der Typ für das (längst eingestellte) kunterbunte "fußball-magazin"  mit seiner zumeist heilen Welt, den allzu gestellten Bildern (Souleymane Sané vor einem riesigen Becher Schlagsahne) und den mühsam gereimten Überschriften ("Entenmann, geh Du voran"). 

Aber: Ich weiß, wieviel Arbeit in so einem Buch steckt - und ich freue mich über jedes Vorhaben dieser Art, das verwirklicht und veröffentlicht wird. Herzlichen Glückwunsch, Herr Bock!

Andreas Bock: "Das Spiel ist aus", Verlag Die Werkstatt