Mittwoch, 15. Mai 2024

Der zweite Teil hätte ausführlicher ausfallen können!

Als Spieler habe ich Günter Netzer nicht mehr erlebt - und genau genommen auch in seiner zweiten Karriere als Manager beim Hamburger SV (bis 1986) nicht mehr. Netzer ist beziehungsweise war für mich (nur) der etwas zu alerte TV-Experte an der Seite von Gerhard Delling (wobei ich die beiden nie als so kultig empfunden habe, wie sie immer dargestellt wurden) und der Rechtehändler bei der Agentur Lüthi, der in Interviews irgendwie immer genau so rüberkam, wie sich der kleine Moritz einen gewieften Geschäftemacher vorstellt. Kurz und gut: So wirklich viel hatte ich mit dem einstigen Gladbacher Idol nie am Hut.

Trotzdem konnte ich, als ich seine Autobiographie "Aus der Tiefe des Raums" neulich für kleines Geld in einem Hamburger Antiquariat liegen sah, das Buch nicht einfach liegen lassen. Und die fünf Euro waren nicht schlecht investiert: Das vor nunmehr zwanzig Jahren bei Rowohlt erschiene Buch ist gut geschrieben, mit einem wunderbaren Blick für Details und Stimmungen und Atmosphäre, etwa wenn es um das Franco-Spanien Mitte der 70er Jahre und den seinerzeitigen Alltag in Madrid geht. All das lässt sich auch heute noch recht gut lesen und schlägt die allzu schnell und allzu früh auf den Markt geworfenen Biographien heutiger (vermeintlicher) Superstars mühelos. Leider ist der zweite Teil des Buches, als es um Netzers Karriereausklang in Zürich, den Wechsel ins Management, die Zeit beim HSV und vor allem die anschließenden Jahre bei Lüthi geht, etwas knapp geraten. Vermutlich hätte Netzer aus dieser Zeit ein eigenes Buch machen können - und ich wünschte, er hätte es getan. 

Im Buch schreibt Netzer, dass ihn der Handel mit Rechten schnell interessiert habe. Aber was genau er bei Lüthi gemacht hat, vor allem in der DDR nach dem Mauerfall, und vor allem was er so nebenbei noch getrieben und verdient hat, bleibt leider recht vage. So berichtete der "Kicker" Ende 1989, dass Netzer beim Wechsel von Nationalspieler Wolfgang Rolff von Bayer Leverkusen zu Racing Straßbourg 100.000 DM verdient habe. Hier hätte ich ja nun gern mehr erfahren. Stimmt das? Was verband Netzer mit Modezar Daniel Hechter, der seinerzeit die Geschicke Straßbourgs lenkte? Oder hat Netzer (nur) ältere Kontakte aus seiner Hamburger Manager-Zeit aktiviert und en passant 100 Riesen eingesackt? Rolff selbst hat später mal erzählt, dass ein Freund Netzers den Kontakt vermittelt habe. Hat der frühere Gladbacher Spielmacher also nur als Strohmann agiert und die 100K für einen Kumpel kassiert? Es wäre hochinteressant gewesen, weil es einen Einblick in die früheren Jahre des Spielervermittler-Business gewährt hatte, das von Pionieren wie Holger Klemme dominiert wurde, die noch einen schweren Stand hatten.

Deshalb: Ein unterhaltsames, lesenswertes Buch, aber der zweite Teil (besser: das letzte Drittel) hätte wesentlich ausführlicher ausfallen können.

Günter Netzer: "Aus der Tiefe des Raums. Mein Leben", Rowohlt Verlag