Dienstag, 15. August 2023

Hochspannende, teils ernüchternde Insider-Einblicke

Andreas Buck war von Ende der achziger Jahre bis zur Jahrtausendwende Profi (in Freiburg, Stuttgart, Kaiserslautern und Mainz) - und fällt damit ziemlich genau in die Fußballzeit, die mich am meisten interessiert. Er hat unter Jörg Berger, Christoph Daum, Jogi Löw und Otto Rehhagel trainiert. Er ist in den wilden Jahren nach der Wiedervereinigung Meister mit dem VfB Stuttgart geworden. Und er hat obendrein eines der größten und vielleicht auch letzten Wunder des deutschen Fußballs miterlebt - die Sensationsmeisterschaft des 1. FC Kaiserslautern 1998. So einer sollte an sich eine Menge für mich spannender Geschichten zu erzählen haben.

Um so rätselhafter war für mich, dass ich mich der 2020 erschienenen Biographie "Turbo" zunächst nicht so recht nähern wollte. Vielleicht lag es daran, dass der Fußballer Andreas Buck für mich ein praktisch unbeschriebenes Blatt war - unscheinbar und grau wie die Hintergrundfarbe des Buchcovers. Der Hauptgrund aber dürfte gewesen sein, dass es ausweislich der Vorankündigung im Buch auch um den finanziellen Ruin Bucks gehen sollte. Ich muss gestehen, dass mir die Geschichten von Spielern, die aus diesen oder jenen Gründen ihr Vermögen verloren haben, immer etwas weh tun. Ich neide unseren Fußballstars ihre Gagen nicht - im Gegenteil, ich freue mich von ganzen Herzen, wenn jemand mit Fußball reich wird (gibt es etwas Schöneres, als Fußball zu spielen UND dafür auch noch bezahlt zu werden?). Und, ja, es tut mir fast köperlich weh, wenn ich von Norbert Nachtweih, Thomas Häßler, Eike Immel, Gerd Müller oder Jürgen Wegmann oder wem auch immer lese, die trotz ihrer Erfolge und Verdienste nach ihrer aktiven Laufbahn mehr oder weniger vor dem Nichts standen.

Und nun also Andreas Buck, der im Laufe seiner Karriere eigenen Angaben zufolge um die fünf Millionen Euro verdient hat - und ebenfalls in eine finanzielle Schieflage geriet. Dazu aber später mehr.  Zunächst mal muss das Geld ja verdient werden. Andreas Buck rekapituliert seine Zeit in Stuttgart und Kaiserslautern auf anschauliche, lesenswerte Weise und eben mit dem Blick des Insiders. Wer noch immer leicht romantische Vorstellungen vom Fußball-Business hegt - und dazu gehöre ich mit meiner Liebe für die späten 80er/frühen 90er -, bekommt von Buck schnell die Augen geöffnet. Er beschreibt, wie Michael Frontzeck ihn, den Newcomer, in seinen ersten Wochen beim VfB Stuttgart im Training gleich zweimal mehr oder weniger vorsätzlich verletzte, um zu zeigen, wer beim VfB das Sagen hat - und Buck erst akzeptiert wurde, als er kurz darauf seinerseits gegen Maurizio Gaudino im Training rüde zutrat. Die Anregung hierzu kam übrigens von Karl Allgöwer während der geneinsamen Fahrt zum Training ("Wehr Dich!"). 

Hochinteressant und absolut lesenswert ist für mich auch, wie Buck die eine oder andere Legende entzaubert. So wird beschrieben, wie Jürgen Klopp ihm in Mainz wenig empathisch mehr oder weniger vor versammelter Mannschaft mitteilte, dass er keinen neuen Vertrag bekommt, oder wie Christoph Daum auf eher billige Weise versuchte, Gaudino und Buck gegeneinander auszuspielen, oder - wobei das durchaus bekannt war - wie heillos überfordert Weltmeister Andy Brehme als Trainer des 1. FC Kaiserslautern war. Absolut unseriös und unsympathisch kommt übrigens Dieter Hoeneß herüber, der vermeintlich so sensible jüngere Hoeneß, der während Bucks Zeit in Stuttgart Manager des VfB war. Man erfährt, auf welch ruppige Art Hoeneß Vertragsverhandlunge führte ("Du kriegst das, was hier steht. Und wenn’s dir nicht passt, kannst du gleich wieder gehen."), wie er später versuchte, einen Keil zwischen Buck und dessen Berater zu treiben ("Andy, wir kriegen das doch alleine hin.") und wie er trotz der ärztlichen Diagnose "Vermutlich Bänderriß" mal eben befahl, dass Buck bei einem Spiel trotzdem nicht ausgewechselt wird ("Nichts da...Er spielt weiter."). Unglaubhaft? Leider nein. Schon im Buch "Mroskos Talente" von Ronald Reng kam Dieter Hoeneß nicht allzu gut weg. 

Später geht es - ebenso interessant - um die Lauterer Zeit Bucks. Er beschreibt nachvollziehbar und anschaulich, wie es möglich war, dass die gerade aufgestiegene Truppe unter Regie von Otto Rehhagel sensationell Meister wurde - aber eben auch, wie später der schleichende Niedergang begann. Er beleuchtet die zerstörerische Rolle Mario Baslers und seines Schwagers, des Spielervermittlers Roger Wittmann, und deren Spiel über Bande auf Kosten des Vereins. Auch hier neige ich dazu, Buck zu glauben. Vieles von dem, was er schreibt, konnte man schon unwidersprochen in Michael Beckers Buch "Die Simple Minds vom Betzenberg" nachlesen. Und da all dies mehr oder weniger allgemein bekannt ist, erregt es mich umso mehr, dass ein Mario Basler sich bis heute im Sport-1-Doppelpass spreizen und und dort ungeniert Wittmanns Interessen vertreten darf.

Aber zurück zu Buck: Er geht recht offen mit seinen Gehältern als Spieler um. Oft liest man in Biographien ja, wie die Helden am Anfang in der A-Jugend für 150 Euro und eine Wurstsemmel spielten, über die späteren Millionengagen erfährt man dann hingegen nichts Konkretes mehr. Buck, der beim VfB Stuttgart mit 72.000 DM Grundgehalt begann, später 400.000 DM pro Jahr erhielt und in Kaiserslautern nochmals einen deutlichen Sprung machte (allein das Handgeld für die Vertrags-verlängerung lag bei 500.000 DM) ist da anders. Leider kommt dann aber auch schon das Kapitel über den finanziellen Niedergang ("Wie Fußballprofis pleite gehen"). Buck, aus einer sparsamen Familie kommend und alles andere als ein abgehobener Typ, beschreibt, wie er von einem "Freund" im Rahmen eines gemeinsamen Investmentvorhabens über den Tisch gezogen wurde und Jahre brauchte, um den Kopf wieder über Wasser zu bekommen. Alles sehr schmerzhaft zu lesen, aber eben auch Teil seiner Biographie.

"Turbo" ist keine leichte Kost, kein Buch, das man voller Vergnügen durchliest, aber ein hochspannender, teils ernüchternder Insidereinblick in die Welt des Profifußballs. Lohnt sich!

Andreas Buck: "Turbo:  Mein Wettlauf mit dem Fußballgeschäft", Tropen Verlag