2024
ist kein gutes Jahr - jedenfalls nicht für Fußballromantiker mit einer
Vorliebe für die 80er und 90er Jahre. Erst ist Kaiser Franz Beckenbauer
gestorben, dann der 1990er WM-Held Andreas Brehme, vor einigen Wochen
der langjährige Werder-Manager Willi Lemke - und gestern wurde bekannt,
dass Christoph Daum den Kampf gegen den Krebs verloren hat.
Wer sich wie
ich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre mit Haut und Haaren dem FC
Bayern verschrieben hat, konnte Christoph Daum an sich ebensowenig mögen
wie etwa Willi Lemke oder Otto Rehhagel. Letztere schnappten sich
1987/88 mit Werder Bremen den Meistertitel und verdarben damit Jupp
Heynckes seinen Einstand bei den Bayern. Daum, damals neuer Coach des 1.
FC Köln und ein Nobody im Profifußball, versuchte in der Folgesaison
mit forschen Sprüchen und teils unter die Gürtellinie zielenden Attacken
den bei seiner ersten München-Station längst noch nicht so souveränen
Jupp Heynckes zu verunsichern (was allerdings misslang - 1989 kehrte
Bayern auf den Meisterthron zurück). 1999/2000 wollte Daum, inzwischen
Coach bei Bayer Leverkusen und designierter Bundestrainer, seinen
künftigen Job um jeden Preis gegen die aufkommenden Kokain-Gerüchte verteidigen und nahm dabei - und nur das habe ich ihm seinerzeit übel
genommen - die Vernichtung der beruflichen Existenz seines Gegenspielers
Uli Hoeneß in Kauf.
Es
hat einige Zeit gedauert, ehe ich meine damaligen Sichtweisen
relativierte und zum Beispiel reinen Herzens anerkennen konnte, dass
Otto Rehhagel vermutlich einer der drei besten Trainer war, die die
Bundesliga je hervorgebracht hat. Dass Lemke bei seiner Hoeneß-Kritik den einen oder anderen Punkt hatte. Und dass Christoph Daum ebenfalls ein
überaus erfolgreicher Coach war, der Teams wie nur wenige andere motivieren
und zusammenschweißen und über ihre Grenzen führen konnte und der nicht
ohne Grund sowohl in der Bundesliga als auch im Ausland große Erfolge
feierte. Darüber hinaus war Daum ein im positiven Sinne Besessener, ein
Mann voller Kanten und Konturen, voller Unverwechselbarkeit und
Authentizität, gegen den etliche der heutigen Laptop-Trainer einfach nur
wie peinliche Laienschauspieler wirken, austauschbar und gesichtslos.
Daums
Tod, der mich tieftraurig gemacht hat, ist für den einen oder anderen
vielleicht Anlass, sich (noch einmal) seine 2020 im Ullstein-Verlag
erschienene Biographie "Immer am Limit: Mein Aufstieg, mein Fall - die ganze Geschichte meines Lebens"
zu Gemüte zu führen. Ich habe sie inzwischen bestimmt sechs-, siebenmal
gelesen und kann ohne jede Einschränkung sagen: In der Tabelle der
Fußballer-/Trainer-Erinnerungen rangiert sie deutlich im oberen Drittel. Ein
Buch wie Daum selbst - klar, kompetent, streitbar, unverwechselbar.
Speziell die Kapitel über seine Jahre in Köln und Stuttgart sind
ungeheuer dicht und sehr atmosphärisch, ebenso über das erste
Türkei-Abenteuer. Die späteren Stationen Wien, Brügge und Rumänien
(Nationaltrainer) kommen für meinen Geschmack hingegen etwas zu kurz weg.
Fairerweise
muss ich dazu sagen, dass Daums Erinnerungen hier und da - sagen wir
mal - etwas beschönigend ausfallen. Speziell beim Komplex "Kokainaffäre" rutscht er am Ende doch arg in Verschwörungstheorien ab. Aber nach meinem
Eindruck kann man beim Lesen sehr gut trennen. So habe ich Daum jedes
Wort geglaubt, das er über den Enke-Berater Jörn Neblung geschrieben hat
(siehe hier),
aber hingegen eben nicht alles, was er zu den Ursachen seiner überhohen
Kokainwerte sagte. Und auch diese eher fragwürdigen Passagen ändern rein
gar nichts daran, dass "Immer am Limit" ein wunderbares, ein großartiges
Buch ist, das ich mit Genuss gelesen habe - und das jetzt zu einer
fabelhaften Erinnerung an einen der ganz Großen der deutschen Trainergilde wird.
Machen Sie es gut, Herr Daum!