Florian Meigen, zwischen 2001 und 2017 in über 500 Spielen nebenberuflicher Assistent des bekannten Kommentators Fritz von Thurn und Taxis, hat über diese Zeit ein Buch geschrieben. Der Autor, notiert Ulrich von Berg in "11Freunde", sei "kein eitler Wichtigtuer oder verhinderter Entertainer, sondern ein höchst angenehmer, weil sprachbegabter und unprätentiöser Erzähler, der immer eine gewisse Distanz hält. Da er in seinen mehr als 150 Texten von jeweils wenigen Seiten Länge ganz unterschiedliche Schwerpunkte setzt – mal wird das betreffende Match in einer Kurzreportage nacherzählt, mal geht es um spezifische Probleme bei dessen Aufarbeitung fürs Fernsehen, mal um die Arbeitsbeziehung zwischen Meigen und seinem Chef, mal um die Stadt, in der man sich gerade befindet –, hat das Buch insgesamt verblüffend viele Schattierungen und Blickwinkel, was jegliches Aufkommen von Redundanz oder gar Langeweile im Keim erstickt." Das kann ich so durchaus unterschreiben und füge gern hinzu: Ich bin froh, dass es dieses Buch gibt, weil es tatsächlich ein wunderbares Zeitdokument ist, geschrieben aus eher seltener Perspektive. Aber ich war trotzdem nicht rundum glücklich, weil mich die "11Freunde"-Rezension ein wenig aufs falsche Gleis gehoben hatte - wofür Meigen natürlich nichts kann.
Erst dachte ich beim Lesen, dass Meigen exakt jener Versuchung unterliegt, der erstaunlich viele Buchautoren aus der Medienbranche nicht widerstehen können: Sie treten als Insider an und kommen dann aber (auch) mit Stories, die rein gar nichts mit ihrer Insiderstellung zu tun haben. Ein schönes Beispiel hierfür ist ZDF-Kommentatorin Claudia Neumann. In ihrem Buch "Hat die überhaupt ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche aufzuhalten" berichtet sie vom WM-Finale 1990, wie "Diego" Buchwald den großen Maradona an die Kette legte, wie Matthäus' Schuh "zum richtigen Zeitpunkt Materialschwächen" offenbarte, Andreas Brehme den entscheidenden Elfer verwandelte und Franz Beckenbauer nach dem Spiel gedankenversunken über den Rasen des Olympiastadions schlenderte ("Des Kaisers vermeintlich einsamer Moment in der Nacht von Rom wird zum Sinnbild seiner Mission."). Das Problem ist: Sie hat dieses Spiel genau wie ich nur am Fernseher gesehen. Sie hat keinen Wissensvorsprung, keine Insiderkenntnisse. Und da ist man als Autor oder Autorin schnell auf einem schmalen Grat: Wieso sollte der Leser für eine Geschichte, die ich kein bisschen besser kenne als er, Geld bezahlen?
Und genau deshalb hatte ich auch ein leichtes Störgefühl, wenn Florian Meigen ausführlich berichtet, wie der bei der WM 2002 ins Rampenlicht getretene Skandalschiedsrichter Byron Moreno erst in Ecuador diverse Spiele verpfiff und später in den USA als Drogenschmuggler verhaftet wurde. Oder wie der FC Bayern gezielt Calle Del'Haye und andere Spieler kaufte, um die Konkurrenz zu schwächen, nicht um sich selbst zu stärken. Oder an das grausame Schicksal des französischen Polizisten David Nivel erinnert, der bei der WM 1998 von deutschen Hooligans zum Pflegefall geprügelt wurde (mal ganz davon abgesehen, dass das appellartige Stakkato dieser düsteren Zeilen absolut ins Leere geht - wieviele tumbe Hooligans lesen wohl derartige Bücher?). Oder die sattsam bekannte Geschichte von der Ohrfeige, die Franz Beckenbauer als Jugendlicher von einem 1860er Gegenspieler erhielt und deshalb zum FC Bayern wechselte, aufwärmt (die Story habe ich übrigens schon immer für Jägerlatein gehalten). Oder noch einmal Maradonas Wechsel vom FC Barcelona zum SSC Neapel Revue passieren lässt. All diese Passagen waren in meinen Augen komplett überflüssig, weil Meigen insoweit gar kein Insider ist, sondern nur Dinge nacherzählt, die er selbst irgendwo mal gehört oder gelesen hat - und die der geneigte Leser im Zweifel sogar besser kennt als er.
Im Laufe des Buches wurde mir allerdings klar, dass ich einfach nur falsche Erwartungen hatte: Es geht hier gar nicht um "Der Insider Florian Meigen berichtet über seine Zeit im Fußball-TV", sondern eher um "Der Lehrer, Kreisligafußballer, Gladbach-Fan und nebenberufliche TV-Assistent Florian Meigen erzählt von seinem Leben und seiner Liebe zum Fußball". Das kann man machen, das ist auch überhaupt kein schlechtes Buch - und es ist auch nicht schlimm, dass Meigen hier ein früheres Online-Diary in Buchform gebracht hat (weshalb im Buch zum Beispiel Sätze wie "Wer genauere Informationen über unsere Familienverhältnisse wünscht, schreibt eine PN und/oder liest in Kürze den zweiten Teil von Fritz, meine Familie und ich" auftauchen). Nur: In meinen Augen nimmt Meigen damit dem Fußball-TV-Insider-Teil ein wenig die Wirkung. Seine Erlebnisse (und durchaus auch Erfolge) als Fußballer des SV Niederwörresbach, als Tennisspieler (weniger erfolgreich), als Lehrer an einem Gymnasium, der beobachtet, wie ein Kollege mit "Ludenkarre" anrollt, oder als Fußballfan der eine Liste der Stadion und Spiele, die er gern besucht hätte, aufstellt, sind für ihn und seine Familie/Freunde bestimmt spannend. Ich hätte es allerdings nicht gebraucht, auch nicht die Männertagserlebnisse mit seinen Kumpels oder das Philosophieren über Corona und die Folgen.
Und - um Missverständnissen vorzubeugen - es ist ja nicht so, dass er als TV-Insider nichts zu erzählen hätte. Das Buch hat wunderbare, starke Momente: Wenn er etwa berichtet, wie er und sein Chef bei der WM 2002 in Asien mit schmalem Budget unterwegs waren, während ARD-Kollege Heribert Faßbender nebst Entourage wie ein ausländischer Potentat Hof hielt und seinen gebührenfinanzierten Reichtum zur Schau stellte. Oder wie Jogi Löw während eines Interviews mit Meigens Chef binnen drei Stunden 16 Espressi hinunterstürzte. Sehr atmophärisch ist auch die Passage über ein wegen massiver Schneefälle mit erheblicher Verspätung angepfiffenes Spiel in Hamburg, das den Lehrer Meigen in arge Nöte bringt: Nach Spielende geht kein Flieger mehr zurück nach Frankfurt - und ohne schafft er es nicht pünktlich zum morgigen Schultag. Was also tun? Ebenso schön ist die Geschichte, wie er quasi aus dem Flieger zu einem Champions-League-Spiel der Bayern bei Zenit St. Petersburg sein Haus kauft, weil die Sache eben in diesem Moment fix gemacht werden musste. Oder die vom Generalstreik in Athen während eines Uefa-Cup-Spiels von Werder Bremen, der die Bremer zwang, gleich nach Spielende fluchtartig ungeduscht zum Flughafen zu fahren, um den letzten Flug zu erwischen.
Meines Erachtens hätte Florian Meigen ein sogar noch besseres Buch vorlegen können, wenn er sich ganz konsequent auf jene tätigkeitsbezogenen Passagen beschränkt und auf all den anderen Kram einfach verzichtet hätte. Dann wären es vielleicht keine 600, sondern nur 200 oder 250 Seiten geworden, dafür aber eben das dichte Werk eines Insiders - und weniger das eines Fußballfans, der nebenberuflich als TV-Assistent arbeitet. In der Zeit von E-Books und Books-on-demand lässt sich so etwas allerdings ja durchaus auch nachträglich noch vornehmen. Wie gesagt: Es ist ein wirklich schönes, ein informatives, ein kaufenswertes Buch, aber ein höherer Sieg war möglich.
Florian Meigen: "500 Doppelpässe am Mikro: 16 Jahre an der Seite von Kommentatoren-Legende Fritz von Thurn und Taxis", Verlag Akademie der Abenteuer