Mittwoch, 14. Februar 2024

Ein überaus atmosphärisches Zeitdokument

Ein der breiten Öffentlichkeit unbekannter Spieler aus einer Zeit, die mich nicht übermäßig interessiert - auf den ersten Blick hatte ich wenig Anlass, mich mit Jupp Bläsers im Vorjahr erschienener Biographie "Ich war dabei" (edition steffan) näher zu beschäftigen. Dass ich es doch tat, hatte genau drei Gründe: Zum einen war da der recht geschickte, jedenfalls mir Appetit machende Klappentext des Verlages, zum anderen der Umstand, dass Bläser auch einige Jahre beim Linzer ASK in Österreich gespielt hat - und mich Legionärszeiten immer in besonderer Weise interessieren. Und drittens weiß ich aus meinen eigenen Interviews mit Fußballern und Trainern nur zu gut, dass Kicker aus der zweiten oder dritten Reihe oft spannendere Gesprächspartner und genauere Beobachter sind als die Stars der Branche. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Auch im Fall Bläsers hat sich die Sache gelohnt - es ist ein gut lesbares, sehr atmosphärisches Zeitdokument und ein hervorragender Einblick in den Alltag eines "normalen" Spielers der 70er Jahre. 

Bläser, ein gelernter Vorstopper, kickte zunächst einige Jahre beim 1. FC Köln, stand dort aber stets im Schatten von Nationalspieler Wolfgang Weber und fand sich deshalb zumeist auf der Ersatzbank wieder. Im WM-Jahr 1974 wechselte er zu Alemannia Aachen in die 2. Bundesliga und schaffte dort den Sprung zum Stammspieler. Beim Linzer ASK (1978 - 1982) ließ er seine Profi-Karriere anschließend ausklingen. Alles in allem blickt er auf über dreihundert Pflichtspiele zurück, darunter immerhin auch einige Uefa- und UI-Cup-Partien.

Seine Biographie nimmt uns also erwartungsgemäß mit in eine andere Zeit - und das ist auch deutlich zu spüren. Die Mitspieler sind noch "Sportkameraden", Wasser trinken gilt bei Sportlern als ungesund, man geht zur Kirmes und schiebt sich ordentlich Schnupftabak in die Nase. Die Anekdoten, die Bläser rund um den Abriss seiner Karriere erzählt, sind recht facettenreich. Manche amüsant - etwa jene, als Bayern-Torwart Sepp Maier sich während eines gemeinsamen Banketts Bläsers Schnupdtabakdose leiht und sie anschließend einfach nicht mehr herausrückt ("Die brauch´ ich selber. Ich habe meinen Schnupftabak vergessen und wenn ich nicht schnupfen kann, dann werd´ ich krank."), sich später aber mit einem per Post übersandten Riesenpaket verschiedenster Schnupftabakdosen eindrucksvoll revanchiert. Manche Geschichten nehmen uns noch weiter mit in den Arbeitsbereich der Spieler und Trainer - etwa wenn Bläser erzählt, wie ihn vor einem Freundschaftsspiel seiner Alemannia gegen den großen FC Barcelona der neue Barca-Trainer Hennes Weisweiler zur Seite zog und ihn bat, Stürmerstar Johan Cruyff ordentlich ranzunehmen ("Der muss merken, dass nicht alles so läuft, wie er sich das denkt."). Nachdenklich stimmen die Erinnerungen an den in den 70er Jahren noch "normalen" Alltagsrassimus - etwa wenn Fortuna Kölns Präsident "Schäng" Löring seine eigenen Spieler rüde auffordert, den von ihm teuer eingekauften peruanischen Nationalspieler Julio Baylon mehr einzubeziehen ("„Gebt endlich dem Neger den Ball!“) oder der sinnlos betrunkene Heinz Flohe während einer Japan-Gastspielreise der Kölner in Tokio einen Taxifahrer verbal und körperlich attackiert ("„Los, du Schinees, fahr ab!"). Auf eine Anekdote hätte ich übrigens gern verzichtet - die Story, wie sich Trainer-Legende Tschick  Čajkovski im Trainingslager gemeinsam mit Bläser in dessen Zimmer einen Softporno anschaut, erzeugt unangenehmes Kopfkino und hat meinem Bild dieses großen, lebenslustigen und gutmütigen Trainers doch einen kleinen Kratzer verliehen. Aber wir sind ja in den recht engen, recht muffigen Siebzigern.

Später, nach dem Wechsel zur Alemannia in Aachen, begegnen wir Trainer Gerd Prokop, dem späteren Griechenland-Experten unter den deutschen Fußball-Lehrern (14 Stationen zwischen 1982 und 1998), der bei Bläser allerdings recht schlecht wegkommt. Bläser berichtet, wie ihn der klamme Verein zur Teilzeitkraft machen wollte ("Du kannst wieder halbtags als Maler und Anstreicher arbeiten! Wir reduzieren deine Bezüge und du verdienst mehr als vorher.“) und wie ihn aus dem Umfeld der Kölner Fortuna ein handfester Bestechungsversuch ereilte ("Jedem Abwehrspieler kann mal ein blöder Fehlpass oder ein dummes Foul im Strafraum unterlaufen. Wäre doch kein Problem. Wir honorieren das auch."). Sehr spannend sind die Schilderungen über Bläsers Bemühungen, zum Ausklang seiner Karriere nochmal einen gutdotierten Vertrag zu bekommen. Rüdiger Schmitz, damals Berater von Toni Schumacher und eher im Ruf eines der seriöseren Vertreter dieser Branche stehend, versuchte, ihm ein Engagement in China mit angeblich 100.000 DM Jahresgehalt zzgl. Prämien schmackhaft zu machen. Wer den Entwicklungsstand des Fußballs in Asien Anfang der 80er Jahre kennt, kann sich das kaum vorstellen - und geklappt hat es ja auch nicht. Dafür kam dann Wolfgang Fahrian ins Spiel, seinerzeit ebenfalls einer der größeren Player im Berater-Business, der einen Wechsel nach Österreich vorschlug. Bläser: "Ich sagte ihm, dass ich 80.000 DM Festgehalt plus Prämien und eine Wohnung haben wolle." Ob es mit den für österreichische Verhältnisse recht ambitioniert klingenden 80.000 DM letztlich etwas wurde, bleibt offen, aber der Wechsel nach Österreich kam zustande. Es wurde nicht Salzburg - wie von Bläser erst angenommen -, sondern Linz, neben Fahrian mischten noch weitere Vermittler mit (was ebenfalls noch ein Nachspiel haben sollte) und die vom Verein zunächst gestellte Wohnung erwies sich als Drecksloch ("Ich hatte schon viel gesehen, doch der Zustand dieser Wohnung schlug einfach alles. Es stank fürchterlich nach Nikotin, die Möbel waren teilweise zusammengebrochen[...] Die Küche wirkte völlig verdreckt, der Backofen und die Herdplatte fettig/klebrig, sahen aus wie Sau, Tisch und Boden mit Müll zugestellt und überall lagen leere Flaschen herum.", Dennoch wendete sich für Bläser alles zum Guten - die Jahre in Österreich, so jedenfalls mein Eindruck, gehörten zu den schönsten und besten seiner Karriere. Auch wenn da noch das oben angesprochene Nachspiel war: Wolfgang Fahrian rief nämlich an - der auf österreichischer Seite eingeschaltete Vermittler habe sich mit der Ablösesumme aus dem Staub gemacht. Aus dieser stünden Fahrian 10.000 DM zu. Ob Bläser diese nun nicht berappen könne. Konnte und wollte er nicht, was Fahrian nicht goutierte ("[Er] drohte mir, dafür zu sorgen, dass ich in Deutschland keinen Verein mehr bekäme, falls ich das Geld nicht umgehend auf sein Konto überweisen würde.").

Geschichten wie diese und die vielen Alltagsszenen sind es, die das Buch zu einem hochspannenden Zeitdokument machen. 

Klare Kaufempfehlung! 

Jupp Bläser: "Ich war dabei", edition steffan