Dienstag, 6. Februar 2024

Einfach wunderbar: Informativ und angenehm meinungsstark

Wieso denn ausgerechnet Markus Babbel? Das habe ich mich anfangs wirklich gefragt. Wieso wählte Alex Raack für sein neuestes Buch ausgerechnet den ehemaligen Bayern-Profi, der bei mir - obwohl nach Verein und Zeit absolut in mein Beuteschema passend - eher in der Schublade "Adabei" lag. Ich hätte es besser wissen müssen. Natürlich wählt Raack keine Adabeis, und selbst wenn er es täte, wären es welche, die was zu erzählen haben. Babbel war definitiv keiner - und er hat obendrein etwas zu erzählen!

In einer Zeit, in der es viel zu viele Biographien von Spielern und Trainern gibt, die auf deutliche Worte und starke Meinungen vorsorglich verzichten (siehe etwa das Buch von Hermann Gerland), überrascht und erfreut Markus Babbel mit den klaren Worten eines Insiders, klaren Einschätzungen und klaren Meinungen. Genau das ist es, was ich mir von einer Biographie wünsche: Insidereinblicke und Beurteilungen. Wie war es, als junger Spieler ins Profiteam des FC Bayern zu kommen (und dort zwischen die Mühlsteine Dorfner und Schwabl zu geraten)? Wie ist es, gegen Toni Polster zu spielen ("der allerschlimmste Trashtalker meiner Karriere"), der seine Gegner auf allerfeinste Weise mit Wiener Charme einlullt und dann plötzlich zwei Tore schießt ("„Tja, Markus, da haste jetzt ned gut ausgeschaut.“)? Warum ist Otto Rehhagel beim FC Bayern gescheitert - und wo lagen trotz seines Scheiterns hervorzuhebende Stärken? Wieso hat es bei den Münchern weder mit Sören Lerby noch mit Erich Ribbeck geklappt? Was war das Besondere an Stefan Effenberg - wieso war er selbst an schlechteren Tagen der imponierende Anführer, den mehrere große Trainer trotz seiner unübersehbaren menschlichen Defizite unbedingt im Team haben wollten? Wie lief das beim VfB Stuttgart, als Co-Trainer Andy Brehme für seinen Chef Trapattoni übersetzen sollte - und aus dessen Ermahnung, dass "zwischen Defensive und Offensive das richtige Gleichgewicht herrschen" müsse, den Ratschlag machte: "Männer, ihr müsst mehr auf euer Gewicht achten!“ Einblicke dieser Art liefert Babbel am Fließband - und er scheut sich nicht, auch klar Stellung zu beziehen: Wieso er Matthäus und dessen allzu engen Draht zur Bild-Zeitung nicht sonderlich mochte, wieso er nicht nur Bundestrainer Berti Vogs, sondern auch die Co-Trainer Bonhof und Rutemöller schätzte, wieso Ex-Hertha-Manager Preetz ("„Du bist die linkeste Bazille, die ich in diesem Geschäft je kennengelernt habe!“) der einzige ist, mit dem er nie seinen Frieden machen wird usw. - es ist einfach nur ein großes Vergnügen, diese Passagen zu lesen.

Besonderen Spaß macht es, die Einschätzungen Babbels den eigenen Urteilen und Vorurteilen, die man sich aus der Nähe (manchmal) oder Ferne (meistens) über Spieler, Trainer oder Journalisten gebildet hat, gegenüberzustellen: Etwa zu Mario Basler - "Immer ehrlich, immer kerzengerade und dabei intelligent.", etwas, was ich nun beim besten Willen nicht unterschreiben würde (siehe auch meine Besprechung von Raacks Basler-Biographie) oder zu Philipp Lahm ("Philipp ist einer dieser Menschen, die gar nicht so viel machen müssen, man mag sie einfach."), der in meinen Augen einer der unangenehmsten Opportunisten ist, die der deutsche Fußball je hervorgebracht hat. Mit recht bitteren Worten beschreibt Babbel, wie ihn ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein bei einem "Sportstudio"-Besuch über den Tisch zog, indem beide vorab verbindlich vereinbarten, dass keine privaten Fragen gestellt werden und Müller-Hohenstein anschließend vor einem Millionenpublikum dennoch genau das tat. Das wiederum passt durchaus zu meinem Bild von der fachlich zumeist überforderten und menschlich unangenehmen ZDF-Journalistin. So kritisch, wie Babbel andere einschätzt, geht er auch mit sich selbst ins Gericht - etwa wenn er über seine wilde Party-Zeit nach seiner schweren Erkrankung in Liverppol berichtet oder über seinen Fehlgriff mit Tim Wiese, den er in seiner Zeit als Trainer in Hoffenheim als neuen Anführer des Teams verpflichtete und einen von brutalen Selbstzweifeln geplagten Mann bekam, der sich hinter seinen Machogehabe versteckte.

Recht ausführlich beleuchtet Babbel seine Spielerzeit in München (mit dem Abstecher nach Hamburg) und in England, geht auf seine Zeit in der Nationalelf ein (wo er das Pech hatte, Erich Ribbeck wiederzubegegnen, mit dem ihn schon beim FC Bayern eine gepflegte Abneigung verband) und auf seine ersten Trainerstationen in Stuttgart und Berlin. Im Vergleich dazu kommen die (immerhin fast vier) Jahre in Luzern und die Zeit in Australien etwas kurz weg - dabei sind Auslandsstationen immer besonders interessant. Babbel spricht über sein Gehalt - wie die meisten Spieler zwar mit zunehmender Höhe zunehmend allgemeiner, aber man bekommt doch einen Eindruck, was man Anfang der neunziger Jahre als Kicker aus dem eigenen Nachwuchs beim FC Bayern verdiente, was dann als Leihspieler beim HSV und wie ungleich höher der Verdienst später in England lag, wohlgemerkt einige Jahre vor dem ganz großen Fernsehgeld. Das finanziell beste Jahr seiner Karriere hatte Babbel übrigens in Stuttgart, als zu seinem dortigen Verdienst noch eine Ergänzungszahlung aus Liverpool hinzukam. Auch diese Einblicke in die Welt und die Gepflogenheiten des Profifußballs schätzte ich sehr.

Es gibt, der Buchtitel deutet es an, noch wesentlich mehr in Babbels Biographie - der frühe Selbstmord des Bruders, die lebensgefährliche Erkrankung während seiner Liverpooler Zeit -, aber wer meine früheren Besprechungen kennt, weiß, dass mich diese Passagen tatsächlich am wenigsten interessieren und ich sie lieber überblättere. Schicksalsschläge kennen wir aus dem eigenen Alltag genug - davon muss ich in Fußballbüchern nicht auch noch etwas lesen. Da freue ich mich - wenn es denn schon einmal etwas abseits des Fußballs sein soll - lieber, wenn Markus Babbel launig ausspricht, was ich schon immer dachte: "Ich habe noch nie die Männer verstehen können, die [den Tag der Geburt ihres Kindes] als schönsten Tag ihres Lebens abgespeichert haben. Ich habe inzwischen fünf Kinder gezeugt, und jedes Mal musste ich dabei zusehen, wie die Frauen mit unglaublichen Schmerzen zu kämpfen hatten und mir dabei fast die Hand zerbrachen." Genauso ist es!

Unter dem Strich bleibt eine freudige Überraschung, ein wunderbares, starkes Buch, das ich mit großer Freude gelesen habe!

Markus Babbel & Alex Raack: "It's not only football", Verlag Edel Sports