Edel Sports hat gerade einen Lauf, was Biographien angeht. Markus Babbel, Norbert Nachweih, Ailton, jetzt Winfried Schäfer - das waren und sind alles wunderbare, bereichernde Buchprojekte, die echte Lücken füllen. Und so ganz nebenbei hat der Verlag nach der Nachtweih-Biographie mit den nun erschienenen Erinnerungen von Schäfer für ein weiteres Häkchen auf meiner ganz persönlichen "Wieso gibt es von dem nicht schon längst ein Buch?"-Liste gesorgt.
Vorfreude war also reichlich im Gepäck, als ich mir "Wildpark, Scheichs und Voodoozauber" vornahm. Und die wurde beim Blick aufs Inhaltsverzeichnis sogar noch größer. Das Buch steigt nämlich gleich mit Schäfers wichtigster und längster Trainerstation beim Karlsruher SC (1986 bis 1998) ein. Also keine - in der Regel drögen - Einstiegskapitel über ferne Kindheitstage a la "Jeden Tag ging es gleich nach der Schule auf den Bolzplatz. Wir spielten mit Bällen aus Lumpen usw.". Zwar blickt Schäfer auch auf eine durchaus beeindruckende Karriere als Spieler zurück (u.a. mit einem Meistertitel sowie dem Gewinn des DFB-Pokals und des UEFA-Cups). Aber in erster Linie verbindet man - verbinde ich jedenfalls - mit ihm einen unverwechselbaren und erfolgreichen Trainer. Das Kapitel über die Spielerjahre gibt es natürlich, aber es kommt ganz am Ende des Buches. Das gibt Schäfer die Gelegenheit, quasi zum Ausklang nicht nur in sehr persönlicher Weise seines Ex-Coachs Hennes Weisweiler zu gedenken, sondern auch aus Trainersicht auf seine Zeiten als Spieler zurückzublicken. Sehr geschickt und sehr gut lesbar.
Gleichwohl erhielt meine Vorfreude schon nach wenigen Seiten des ersten Kapitels einen gehörigen Dämpfer. Gerade eben erst hatte Schäfer als Trainer mit dem KSC den Aufstieg in die Bundesliga geschafft, da ist auf einmal von Manfred Bender die Rede, der als Neuzugang vom FC Bayern das "Mia-san-mia"-Gen mitgebracht habe. Moment mal! Manni Bender? Der wechselte 1992 nach Baden. Da spielte der KSC unter Schäfer schon fünf Jahre in der ersten Liga! Und in denen ist einiges passiert. Kurz darauf geht es um Wolfgang Rolff und dessen Qualitäten als Sechser. Aber der Ex-Hamburger kam 1991 zum Verein. Hier hätte ich mir deutlich mehr Chronologie, Umfang und Detailfülle gewünscht, im Grunde einen Jahr-für-Jahr-Bericht. Denn wir reden, ich erwähnte es bereits, über Schäfers wichtigste, längste und prägendste Trainerstation überhaupt. Doch ausgerechnet das Kapitel über diese Jahre gerät zum schwächsten des Buches. Schäfer springt wild vor und zurück und berichtet über die Karlsruhe-Station mehr resümeeartig aus relativ großer Flughöhe und in einer Art Zeitraffer. Ein Michael Sternkopf beispielsweise wird im Buch gerade zweimal erwähnt - und dann auch noch irreführend, nämlich als einer der vielen KSC-Spieler, die in Schäfers Zeit den Sprung in die erste Mannschaft schafften, dann zum FC Bayern wechselten und dort "tragende Säulen des Starensembles" wurden. Nein, wurden sie nicht, jedenfalls nicht Michael Sternkopf. Zwar wechselte er 1990 in der Tat für die damalige Wahnsinnssumme von 3,4 Millionen DM nach München, hat dort aber unter dem Strich kein einziges überzeugendes Spiel gemacht. Er war einer der größten Fehleinkäufe der Münchner Anfang der 90er Jahre. Und hier hätte mich doch Schäfers Sicht interessiert: Wusste oder ahnte er, dass Sternkopf eine Sternschnuppe bleiben würde und eben kein künftiger Star war (und hat er sich über den Transfercoup ins Fäustchen gelacht) oder geht er eher davon aus, dass Sternkops Karriere durch den zu frühen Wechsel zu einem großen Klub ruiniert wurde? Wieso gelang es dem von ihm so geschätzten Jupp Heynckes nicht, Sternkopf in München in die Spur zu bringen? Stimmt es, dass Schäfer einen Anruf bekam, als Hoeneß und Heynckes - lange vor dem Transfer - zu einem konspirativen Treffen mit Sternkopf mit dem Zug nach Karlsruhe kamen und der ritterliche Heynckes im Bahnhof unbedingt noch einen Blumenstrauß für Mutter Sternkopf kaufen musste und dadurch aufflog? Und was ist mit all den anderen berichtenswerten Ereignissen aus Schäfers KSC-Zeit, die ja nun wirklich nicht auf das "Wunder vom Wildpark" reduziert werden darf? Wie genau verlief denn der Zweikampf zwischen Famulla und Kahn? Wie genau lotste Schäfer einen Wolfgang Rolff oder einen Icke Häßler zum KSC? Wie kommt man als badischer Provinzklub an einen Srećko Bogdan von Dynamo Zagreb? Wieso verließ Michael Harforth 1992 den Verein, obwohl er laut Schäfer doch so wichtig für die Mannschaft war?
Was Schäfer auch (bereits) in diesem Kapitel hingegen wunderbar gelingt, ist das Einfangen von Stimmungen, etwa wenn er beschreibt, wie er und KSC-Präsident Roland Schmider mit den Ehefrauen beim Essen sitzen, Schmider beiläufig sagt "Winnie, wir müssen bald mal über den nächsten Vertrag sprechen.“ und Schäfers Frau Angelika daraufhin mit Lippenstift eine Zahl auf einen Bierdeckel schreibt, Schmieder sich das ansieht und nur sagt "Deal! Mir gehe nemmer auseinander!“ Schäfer dazu: "Wir lachten und Rolands Frau Brigitte umarmte Angelika und sagte, sie wäre froh, wenn alles immer so bliebe." Diese Szenen lassen das spätere schmerzhafte Erodieren der Beziehung bis hin zum kompletten Bruch der Zusammenarbeit um so eindringlicher wirken. Sehr schön auch die Begegnung Schäfers mit seinem Nachfolger Jörg Berger: "Als sollte es der Demütigungen nicht genug sein, kommt er mir mit seinem Auto in dem Augenblick entgegen, als ich nach meiner Entlassung vom Hof fahren will. Ich sehe es noch genau vor mir, wie er mir durch die Frontscheibe zuwinkt." Auch hier hätte ich mir noch mehr Details gewünscht: Kannte Schäfer Berger? Wie war ihr Verhältnis vorher und nachher? Gab es ein Gesprächs anlässlich des Wechsels? Gab es eines, nachdem Berger beim KSC (recht schnell) ebenfalls gescheitert war?
Vielleicht war meine Vorfreude einfach zu groß, aber mit dem Karlsruhe-Kapitel wurde in meinen Augen eine Chance vertan. Interessanterweise gilt das für den Rest des Buches nicht. Die misslungenen Stationen beim VfB Stuttgart und bei TeBe Berlin, das schwierige Verhältnis zu VfB-Präsident Mayer-Vorfelder und dann die vielen Auslandsetappen - Kamerun, Dubai, Baku, Thailand, Jamaika, Teheran - mit all ihren jeweiligen Besonderheiten werden höchst lebendig und atmosphärisch rekapituliert und mittels herrlicher Anekdoten mit Leben gefüllt. Wenn Schäfer etwa berichtet, wie er mit Kameruns Nationalelf auf dem Weg zur WM 2002 in Japan unterwegs in Bangkok strandete, weil kein Geld für die nächste Tankfüllung mehr da war - und Thailands Fußballverbandschef Worawi Makudi das Geld schließlich vorstreckte, genau jener Verbandschef, der Schäfer viele Jahre später als Nationaltrainer einstellen würde, dann ist das einfach nur großartige Unterhaltung. Bei seiner ersten Station in den Vereinigten Arabischen Emiraten, bei Al-Ahli Dubai, wohnte Schäfer mit Familie in einem vom Verein gestellten Bungalow. Schäfers Tochter suchte dort vergeblich nach einem Pool. Als Schäfer diese Anekdote beiläufig gegenüber dem schwerreichen Klubbesitzer Sultan Qasin erwähnte, schmunzelte der nur. Schäfer: "Eine Woche später stand ein Pool hinterm Haus." Wie im Märchen habe es sich angefühlt, aber genießen konnte Schäfers Tochter den Pool nicht allzu lange. Denn kurz darauf wurde ihr Vater entlassen. In den VAE traf Schäfer übrigens seinen alten Offenbacher Teamkollegen Josef Hickersberger wieder, der ebenfalls die Trainerlaufbahn eingeschlagen hatte und etliche Jahre im Nahen Osten verbrachte. Die Fußballwelt ist eben klein, was in Schäfers Buch - auch das eine Stärke - immer wieder daran deutlich wird, dass er irgendwann mal irgendwem begegnet war und dieser ihm dann Jahre später zu einem neuen Job verhalf.
Wie schon erwähnt, endet das Buch mit einer Liebeserklärung an Hennes Weisweiler und Erinnerungen an Schäfers Spielerzeit. Auch die war großartig und spannend - so gelang ihm 1970 ein Double ganz besonderer Art, nämlich in der gleichen Saison der Meistertitel mit Borussia Mönchengladbach und der DFB-Pokalsieg mit Kickers Offenbach. Wegen der WM in Mexiko in jenem Jahr war das Pokalfinale damals auf August verschoben worden. Etwas überrascht hat mich in diesem Kapitel Schäfers Einschätzung von Erfolgstrainer Udo Lattek: "Lattek verstand sein Handwerk wie kein Zweiter. Er war ein Fachmann, ein Denker. Nach seinem Tod würdigte ihn Weltmeistertrainer Joachim Löw zu Recht als einen der modernsten Trainer Europas, der den Fußball geprägt habe wie kaum ein anderer nach ihm." Das hatte ich so noch nicht gehört - auch die Würdigung Löws kannte ich nicht. Mein Bild war immer, dass Lattek zwar Spieler motivieren und auf ein Spiel einschwören konnte wie keiner vor ihm, methodisch-taktisch aber nicht unbedingt der große Guru war. Insofern war das eine interessante Einordnung, von deren Sorte es gern noch viel mehr hätten sein können.
Unter dem Strich steht ein hochspannendes, absolut lesenswertes Buch über einen Trainer, der erst die Bundesliga viele Jahre bereicherte und im Wortsinne bunter machte und dann im Ausland an vielen Orten seine Spuren hinterließ. Vielen Dank dafür, Winfried Schäfer, und alles Gute!
Winfried Schäfer mit Andreas Kötter und Sascha Schäfer: "Wildpark, Scheichs und Voodoozauber", Edel Sports