Im Fußballbücher-Magazin geht es um genau das: Lesestoff rund um den Profifußball. Hier werden v.a. Biographien, "Enthüllungen", Erinnerungen und sonstige Bücher besprochen, die die Protagonisten des Geschäfts in ihrem Alltag zeigen. Neben Werken (ehemaliger) Spieler und Trainer widmen wir uns auch Büchern von Journalisten, Fernsehreportern und anderen Insidern.
Samstag, 31. Mai 2025
"11Freunde" und die selektive Wahrnehmung
Dienstag, 20. Mai 2025
Der "blonde Engel": Erinnerungen mit Weichzeichner
Dienstag, 13. Mai 2025
Transfermarkt: Wo bleibt die Printausgabe?
Indes: Der zweite Blick fällt etwas ernüchternder aus. Denn "Sport-Bild" und "Kicker" befinden sich, dem allgemeinen Branchentrend folgend, in einem bitteren Auflagensturzflug. Das Springer-Blatt lag mal bei über 560.000 Exemplaren und bringt heute keine 150.000 Stück mehr unters Volk. Der "Kicker" schaffte es in seinen besten Zeiten, sowohl montags als auch donnerstags jeweils fast 300.000 Exemplare zu verkaufen (290.824 beziehungsweise 243.116). Heute liegt die Auflage nur noch knapp über 60.000 (66.995 beziehungsweise 61.402). Eine erfreuliche Ausnahme von diesem Trend ist bei "11Freunde" zu verzeichnen, dem die Übernahme durch die "Spiegel"-Gruppe offenbar gut getan hat: Zuletzt ist die Auflage, die zuvor ebenfalls kontinuierlich fiel und sich unter 60.000 Heften bewegte, auf über 80.000 nach oben geschnellt.
Versuche, in diesem schwierigen Umfeld weitere Titel zu platzieren, sind in der Vergangenheit zumeist gescheitert, siehe etwa - wenngleich kein Magazin - das vergleichweise schnelle Ende der täglichen "Fußball-Bild". Dennoch habe ich mich in den vergangenen Jahren wiederholt mit Bedauern gefragt, wieso es eigentlich keine regelmäßige Printausgabe von transfermarkt.de gibt.
Transfermarkt.de ist vermutlich - jedenfalls nach "11Freunde" - die größte Bereicherung des Fußballmedienmarktes in den letzten 25 Jahren. Die Idee, für praktisch jeden Profispieler weltweit einen Marktwert festzulegen, diesen mit zig weiteren Daten (Land, Vereine, Ligen, Spiele, Tore, Ablösesummen, Trainer etc.) zu verbinden und in einer riesigen Datenbank zusammenzuführen, ist eine Art feuchter Traum für Fußball-Business-Aficinados wie mich. Mit monatlich fast 50 Millionen Besuchen ist die Webseite heute eine der führenden Plattformen in diesem Bereich. Aber: Obwohl es bei Transfermarkt.de inzwischen längst Content weit über Zahlen und Statistiken hinaus gibt, nämlich (höchst lesenswerte) Interviews, Analysen und Hintergrundberichte, ist die Seite in "Look & Feel" bis heute eine Datenbank geblieben. Und das ist schade. Denn wirklichen Spaß, die redaktionellen Beiträge dort zu lesen, habe ich bis heute nicht.
Es gab in der Vergangenheit, allerdings nur wenige Male und nur als Sonderheft zum Saisonstart, schon Printausgaben vom Transfermarkt.de, aber das waren dann eben gedruckte Datenbanken ohne nennenswerte redaktionelle Inhalte. Ich frage mich, ob es einen Markt für eine - sagen wir - wöchentlich erscheinende Zeitschrift von Transfermarkt gibt, eine, die sich schwerpunktmäßig den inhaltlichen Beiträgen, TM-Länder-Updates und sonstigen Analysen widmet, das Ganze mit ein paar aktuellen News, Gerüchten und Ergebnissen garniert und auf diese Weise Printliebhaber wie mich glücklich macht und ganz nebenbei für eine zusätzliche Visibility von Transfermarkt durch Auslage in den Bahnhofskiosken, Supermärkten und Zeitschriftenläden sorgt.
Stoff genug für eine wöchentliche Ausgabe sollte es geben. Denn Transfermarkt besetzt mit seinen redaktionellen Beiträgen eine hochinteressante Nische: einen Artikel über Ex-HSV-Coach Joe Zinnbauer und sein Engagement beim 14-maligen algerischen Meister JS Kabylie oder ein Interview mit Ex-KSC-Co-Trainer Argirios Giannikis über seine Arbeit beim griechischen Zweitligisten PAS Giannina bekomme ich bei keinem der o.g. Platzhirsche, auch keine ausführlichen Berichte über Daniel Stendels Wechsel in die zweite französische Liga zu AS Nancy-Lorraine oder über Thomas Meggles Investoreneinstieg bei Dunfermline Athletic. Und eine vertiefte, substantiierte Marktwertanalyse der Saudi Pro League gibt es so eben auch nur bei Transfermarkt.de.
Mal angenommen, eine Markterkundung würde ein Potential von 35.000 oder 40.000 Käufern für eine wie der Donnerstag-"Kicker" im Zeitungsoffset gedruckte, 40seitige "Transfermarkt"-Printausgabe ergeben, die zum Beispiel immer freitags erscheint, für drei Euro verkauft wird und ungefähr so aussieht wie mein Beispiel links oben. Warum nicht gegen den allgemeinen Trend ein solches Projekt wagen? Es wäre ein weiterer Grund, sich auf das Ende der Arbeitwoche zu freuen.
Donnerstag, 8. Mai 2025
Ärgerliches Jägerlatein
Freitag, 11. April 2025
Längst überfällig: Die Winnie-Schäfer-Biographie
Vorfreude war also reichlich im Gepäck, als ich mir "Wildpark, Scheichs und Voodoozauber" vornahm. Und die wurde beim Blick aufs Inhaltsverzeichnis sogar noch größer. Das Buch steigt nämlich gleich mit Schäfers wichtigster und längster Trainerstation beim Karlsruher SC (1986 bis 1998) ein. Also keine - in der Regel drögen - Einstiegskapitel über ferne Kindheitstage a la "Jeden Tag ging es gleich nach der Schule auf den Bolzplatz. Wir spielten mit Bällen aus Lumpen usw.". Zwar blickt Schäfer auch auf eine durchaus beeindruckende Karriere als Spieler zurück (u.a. mit einem Meistertitel sowie dem Gewinn des DFB-Pokals und des UEFA-Cups). Aber in erster Linie verbindet man - verbinde ich jedenfalls - mit ihm einen unverwechselbaren und erfolgreichen Trainer. Das Kapitel über die Spielerjahre gibt es natürlich, aber es kommt ganz am Ende des Buches. Das gibt Schäfer die Gelegenheit, quasi zum Ausklang nicht nur in sehr persönlicher Weise seines Ex-Coachs Hennes Weisweiler zu gedenken, sondern auch aus Trainersicht auf seine Zeiten als Spieler zurückzublicken. Sehr geschickt und sehr gut lesbar.
Gleichwohl erhielt meine Vorfreude schon nach wenigen Seiten des ersten Kapitels einen gehörigen Dämpfer. Gerade eben erst hatte Schäfer als Trainer mit dem KSC den Aufstieg in die Bundesliga geschafft, da ist auf einmal von Manfred Bender die Rede, der als Neuzugang vom FC Bayern das "Mia-san-mia"-Gen mitgebracht habe. Moment mal! Manni Bender? Der wechselte 1992 nach Baden. Da spielte der KSC unter Schäfer schon fünf Jahre in der ersten Liga! Und in denen ist einiges passiert. Kurz darauf geht es um Wolfgang Rolff und dessen Qualitäten als Sechser. Aber der Ex-Hamburger kam 1991 zum Verein. Hier hätte ich mir deutlich mehr Chronologie, Umfang und Detailfülle gewünscht, im Grunde einen Jahr-für-Jahr-Bericht. Denn wir reden, ich erwähnte es bereits, über Schäfers wichtigste, längste und prägendste Trainerstation überhaupt. Doch ausgerechnet das Kapitel über diese Jahre gerät zum schwächsten des Buches. Schäfer springt wild vor und zurück und berichtet über die Karlsruhe-Station mehr resümeeartig aus relativ großer Flughöhe und in einer Art Zeitraffer. Ein Michael Sternkopf beispielsweise wird im Buch gerade zweimal erwähnt - und dann auch noch irreführend, nämlich als einer der vielen KSC-Spieler, die in Schäfers Zeit den Sprung in die erste Mannschaft schafften, dann zum FC Bayern wechselten und dort "tragende Säulen des Starensembles" wurden. Nein, wurden sie nicht, jedenfalls nicht Michael Sternkopf. Zwar wechselte er 1990 in der Tat für die damalige Wahnsinnssumme von 3,4 Millionen DM nach München, hat dort aber unter dem Strich kein einziges überzeugendes Spiel gemacht. Er war einer der größten Fehleinkäufe der Münchner Anfang der 90er Jahre. Und hier hätte mich doch Schäfers Sicht interessiert: Wusste oder ahnte er, dass Sternkopf eine Sternschnuppe bleiben würde und eben kein künftiger Star war (und hat er sich über den Transfercoup ins Fäustchen gelacht) oder geht er eher davon aus, dass Sternkops Karriere durch den zu frühen Wechsel zu einem großen Klub ruiniert wurde? Wieso gelang es dem von ihm so geschätzten Jupp Heynckes nicht, Sternkopf in München in die Spur zu bringen? Stimmt es, dass Schäfer einen Anruf bekam, als Hoeneß und Heynckes - lange vor dem Transfer - zu einem konspirativen Treffen mit Sternkopf mit dem Zug nach Karlsruhe kamen und der ritterliche Heynckes im Bahnhof unbedingt noch einen Blumenstrauß für Mutter Sternkopf kaufen musste und dadurch aufflog? Und was ist mit all den anderen berichtenswerten Ereignissen aus Schäfers KSC-Zeit, die ja nun wirklich nicht auf das "Wunder vom Wildpark" reduziert werden darf? Wie genau verlief denn der Zweikampf zwischen Famulla und Kahn? Wie genau lotste Schäfer einen Wolfgang Rolff oder einen Icke Häßler zum KSC? Wie kommt man als badischer Provinzklub an einen Srećko Bogdan von Dynamo Zagreb? Wieso verließ Michael Harforth 1992 den Verein, obwohl er laut Schäfer doch so wichtig für die Mannschaft war?
Was Schäfer auch (bereits) in diesem Kapitel hingegen wunderbar gelingt, ist das Einfangen von Stimmungen, etwa wenn er beschreibt, wie er und KSC-Präsident Roland Schmider mit den Ehefrauen beim Essen sitzen, Schmider beiläufig sagt "Winnie, wir müssen bald mal über den nächsten Vertrag sprechen.“ und Schäfers Frau Angelika daraufhin mit Lippenstift eine Zahl auf einen Bierdeckel schreibt, Schmieder sich das ansieht und nur sagt "Deal! Mir gehe nemmer auseinander!“ Schäfer dazu: "Wir lachten und Rolands Frau Brigitte umarmte Angelika und sagte, sie wäre froh, wenn alles immer so bliebe." Diese Szenen lassen das spätere schmerzhafte Erodieren der Beziehung bis hin zum kompletten Bruch der Zusammenarbeit um so eindringlicher wirken. Sehr schön auch die Begegnung Schäfers mit seinem Nachfolger Jörg Berger: "Als sollte es der Demütigungen nicht genug sein, kommt er mir mit seinem Auto in dem Augenblick entgegen, als ich nach meiner Entlassung vom Hof fahren will. Ich sehe es noch genau vor mir, wie er mir durch die Frontscheibe zuwinkt." Auch hier hätte ich mir noch mehr Details gewünscht: Kannte Schäfer Berger? Wie war ihr Verhältnis vorher und nachher? Gab es ein Gesprächs anlässlich des Wechsels? Gab es eines, nachdem Berger beim KSC (recht schnell) ebenfalls gescheitert war?
Vielleicht war meine Vorfreude einfach zu groß, aber mit dem Karlsruhe-Kapitel wurde in meinen Augen eine Chance vertan. Interessanterweise gilt das für den Rest des Buches nicht. Die misslungenen Stationen beim VfB Stuttgart und bei TeBe Berlin, das schwierige Verhältnis zu VfB-Präsident Mayer-Vorfelder und dann die vielen Auslandsetappen - Kamerun, Dubai, Baku, Thailand, Jamaika, Teheran - mit all ihren jeweiligen Besonderheiten werden höchst lebendig und atmosphärisch rekapituliert und mittels herrlicher Anekdoten mit Leben gefüllt. Wenn Schäfer etwa berichtet, wie er mit Kameruns Nationalelf auf dem Weg zur WM 2002 in Japan unterwegs in Bangkok strandete, weil kein Geld für die nächste Tankfüllung mehr da war - und Thailands Fußballverbandschef Worawi Makudi das Geld schließlich vorstreckte, genau jener Verbandschef, der Schäfer viele Jahre später als Nationaltrainer einstellen würde, dann ist das einfach nur großartige Unterhaltung. Bei seiner ersten Station in den Vereinigten Arabischen Emiraten, bei Al-Ahli Dubai, wohnte Schäfer mit Familie in einem vom Verein gestellten Bungalow. Schäfers Tochter suchte dort vergeblich nach einem Pool. Als Schäfer diese Anekdote beiläufig gegenüber dem schwerreichen Klubbesitzer Sultan Qasin erwähnte, schmunzelte der nur. Schäfer: "Eine Woche später stand ein Pool hinterm Haus." Wie im Märchen habe es sich angefühlt, aber genießen konnte Schäfers Tochter den Pool nicht allzu lange. Denn kurz darauf wurde ihr Vater entlassen. In den VAE traf Schäfer übrigens seinen alten Offenbacher Teamkollegen Josef Hickersberger wieder, der ebenfalls die Trainerlaufbahn eingeschlagen hatte und etliche Jahre im Nahen Osten verbrachte. Die Fußballwelt ist eben klein, was in Schäfers Buch - auch das eine Stärke - immer wieder daran deutlich wird, dass er irgendwann mal irgendwem begegnet war und dieser ihm dann Jahre später zu einem neuen Job verhalf.
Wie schon erwähnt, endet das Buch mit einer Liebeserklärung an Hennes Weisweiler und Erinnerungen an Schäfers Spielerzeit. Auch die war großartig und spannend - so gelang ihm 1970 ein Double ganz besonderer Art, nämlich in der gleichen Saison der Meistertitel mit Borussia Mönchengladbach und der DFB-Pokalsieg mit Kickers Offenbach. Wegen der WM in Mexiko in jenem Jahr war das Pokalfinale damals auf August verschoben worden. Etwas überrascht hat mich in diesem Kapitel Schäfers Einschätzung von Erfolgstrainer Udo Lattek: "Lattek verstand sein Handwerk wie kein Zweiter. Er war ein Fachmann, ein Denker. Nach seinem Tod würdigte ihn Weltmeistertrainer Joachim Löw zu Recht als einen der modernsten Trainer Europas, der den Fußball geprägt habe wie kaum ein anderer nach ihm." Das hatte ich so noch nicht gehört - auch die Würdigung Löws kannte ich nicht. Mein Bild war immer, dass Lattek zwar Spieler motivieren und auf ein Spiel einschwören konnte wie keiner vor ihm, methodisch-taktisch aber nicht unbedingt der große Guru war. Insofern war das eine interessante Einordnung, von deren Sorte es gern noch viel mehr hätten sein können.
Unter dem Strich steht ein hochspannendes, absolut lesenswertes Buch über einen Trainer, der erst die Bundesliga viele Jahre bereicherte und im Wortsinne bunter machte und dann im Ausland an vielen Orten seine Spuren hinterließ. Vielen Dank dafür, Winfried Schäfer, und alles Gute!
Mittwoch, 9. April 2025
Würdiges Alterswerk zweier Branchengrößen
Ich habe mich sehr auf dieses Buch gefreut. Denn in der Welt der Fußballbücher ist die Kombination aus Bernd-Michael Beyer und Dietrich Schulze-Marmeling so etwas wie - sagen wir mal - Franz Beckenbauer und Günter Netzer in einer Mannschaft. Beide haben die Branche wie nur wenige andere geprägt, Beyer insbesondere als langjähriger Geschäftsführer und Lektor des von ihm mitgegründeten Verlages Die Werkstatt sowie als Autor Maßstäbe setzender Biographien ("Helmut Schön"), Schulz-Marmeling als einer der Wegbereiter ernsthafter Fußballbücher und überaus produktiver Autor seither (u.a. "Der König und sein Spiel: Johan Cruyff und der Weltfußball").
Eingeteilt in meist dreizehn- bis fünfzehnjährige Zeitabschnitte widmen sich die Autoren streng chronologisch und mit gelegentlichen Exkursen der Entwicklung des Verhältnisses von Nationalelf und Politik zwischen 1908 und 2024, nehmen sich all die oben genannten Vorfälle und eine ganze Reihe weiterer vor, stellen Funktionäre und Trainer mit ihren politischen Bezügen und Umfeldern vor und gehen der Frage nach, ob Fußball "unpolitisch" sein oder ausdrücklich nicht sein sollte. Es ist eine stellenweise wütend machende Lektüre, vor allem, wenn es um die allzu enge Beziehung des Fußballs zum äußersten rechten Rand geht. Einerseits erfuhren NS-Verbrecher und SS-Schergen wie die einstige HSV-Legende Otto "Tull" Harder oder der Eintracht-Frankfurt-Kicker Rudolf Gramlich auch nach dem Krieg größte Achtung und Anerkennung und bekleideten - im Falle Gramlich - sogar über viele Jahre prominente Funktionärsämter. Andererseits wandt sich der von einstigen NSDAP-Mitgliedern geführte DFB wie ein Aal, als Ex-Bundestrainer Sepp Herberger 1971/72 vorschlug, den früheren jüdischen Nationalspieler Gottfried Fuchs, der vor den Nazis ins Ausland geflohen war, als Ehrengast zu einem Länderspiel einzuladen. Apropos Aal: Hermann Neuberger, den nach Einschätzung der Autoren nur die Gnade der späten Geburt vor einer NSDAP-Mitgliedschaft (und womöglich einer steilen NS-Karriere) bewahrte und der seinerseits fatale Sympathien für brutale Militärregimes - siehe Argentinien 1978 - hegte, war in meinen Augen immer das Musterbeispiel eines geradezu widerlich glatten Funktionärs und politischen Strippenziehers. Man nehme einmal ältere Interviews mit dem langjährigen DFB-Präsidenten im "Kicker" oder im "Fußball-Magazin" zur Hand und verfolge staunend, wie überaus routiniert und kühl Neuberger Fragesteller ins Leere laufen und jegliche Kritik gekonnt an sich abperlen lässt. In dieser Kunst konnte ihm keiner seiner vielen Nachfolger das Wasser reichen.
Aber zurück zum Buch: Es ist ein großes Vergnügen, sich mit der Thematik Politik & Nationalelf einmal komprimiert in einem Buch zu befassen. Allerdings muss man gleichzeitig einräumen, dass jene, die Beyers Bücher "Helmut Schön" oder "71/72: Die Saison der Träumer" (Besprechungen hier und hier) und dazu vielleicht noch Tobias Eschers "Die Weltmeister von Bern" gelesen haben, im Buch auf viel Bekanntes stoßen werden. Das ist auch wenig verwunderlich, hat Beyer den Fußball doch schon immer in seinem jeweiligen gesellschaftlichen Umfeld betrachtet und Bezüge zu allen nur denkbaren Lebensbereichem hergestellt. Angenehm ins Auge fällt, dass den Autoren Schubladendenken und Pauschalierungen fremd sind. Es bereitet ihnen keine Mühe, beispielsweise Berti Vogts einerseits für peinliche Äußerungen im Zusammenhang mit der Folterung Oppositioneller in Argentinien 1978 zu kritisieren und gleichzeitig anzuerkennen, dass er sich später als Bundestrainer einer Vereinnahmung durch die "Bild"-Zeitung bis zum Schluss standhaft und erfolgreich widersetzte. Auch DFB-Präsident Theo Zwanziger erfährt eine durchaus differenzierende und entgegen der herrschenden Meinung in Teilen positive Betrachtung.
Schade fand ich nur eins: Während die Autoren die vielfältigen unseligen Berührungen des Fußballs mit dem äußersten rechten Rand klar und schonungslos thematisieren, legen sie an anderer Stelle eine aufällige Zurückhaltung an den Tag und versäumen es so, ein wirklich vollständiges Bild zu zeichnen. Nationalspieler Antonio Rüdiger findet zwar im Zusammenhang mit seinem Gebetsfoto und der daran von Ex-"Bild"-Chef Julian Reichelt geübten Kritik mal kurz (und dann auch nur mit kritischem Blick auf die Vorurteile, denen Rüdiger deshalb begegnete) Erwähnung. Aber das Problem war nie, jedenfalls nicht in meinen Augen, dass sich Rüdiger in einer schlimmstenfalls missverständlichen Pose fotografieren lässt und sich ein rechter Revolverjournalist daran stört. Das Problem war und ist ein ganz anderes, wie der rechter Sympathien gänzlich unverdächtige Journalist Christoph Ruf in seinem Buch "Es reicht!" (Besprechung hier) deutlich gemacht hat: Nachdem der französische Staatspräsident Macron angesichts eines erneuten islamistischen Mords in Paris (es ging mal wieder um Karikaturen) die Pressefreiheit verteidigte, "likte" Rüdiger einen Beitrag, der einen Foto mit einem Stiefelabdruck über Macrons Gesicht zeigte. Und, mehr noch: Vom DFB ließ sich Rüdiger anschließend eine aalglatte - und da sind wir wieder beim obigen Thema - Entschuldigungs-Pressemitteilung drechseln, die ein ausdrückliches Bekenntnis gegen islamistischen Terror sorgfältig vermied. Wenn ich aber der Meinung bin, dass junge und größtenteils unbedarfte Nationalspieler 1978 in Argentinien jene Haltung hätten zeigen sollen, die sowohl die Politik als auch die Funktionäre vermissen ließen, dann kann ich der heutigen, weitaus reflektierteren und medienerfahreneren Spielergeneration Derartiges eigentlich nicht durchgehen lassen.
Aber um diese Diskussion zu führen, muss man sich mit dem Thema eben erst einmal beschäftigen - und dafür eignet sich ""Politik im Spiel. Die andere Geschichte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft." bestens. Kaufen!
Dietrich Schulze-Marmeling/Bernd M. Beyer: "Politik im Spiel. Die andere Geschichte der deutschen Fußball-Nationalmannschaft", edition einwurf
Montag, 7. April 2025
Ein Schmankerl für Bayern-Fans
Wieso ich das alles erzähle? Weil Hinko zum kürzlich von der "Sport-Bild"-Redaktion herausgegebenen und bei Delius Klasing erschienen Jubiläumsband "125 Jahre Bayern München" als Autor beigetragen hat. Und allein das ist ein Grund, mal in dieses 224-Seiten-Werk hineinzuschauen. Für Fans der Münchner ist das Buch ein herrlicher Leckerbissen aus Zahlen, Fakten, Anekdoten, Erinnerungen und schönen Fotos. Und, ja, wer sich für eine solche bunte Geburtstagsgabe entscheidet, erwartet und bekommt natürlich keine kritische Analyse des unaufhaltsamen Aufstiegs der Bayern a la Hans Wollner. Nein, es ist ein Wohlfühlbuch, und dagegen ist auch gar nichts einzuwenden. Ausführlich wird Saison für Saison betrachtet und bebildert und die Stimmung eines jeden Jahres alles in allem gut eingefangen. Abgerundet wird das Ganze durch ein paar Extrabeiträge, etwa von Raimund Hinko zum legendären Mia-san-mia-Gefühl der Bayern. Neben Hinko haben weitere Bayern-Kenner aus dem Hause Springer mitgewirkt, zum Beispiel Falk oder Tobias Altschäffl. Und das Ergebnis ist solide Unterhaltung. Sicher, dramatische Neuigkeiten wird es für eingefleischte Bayern-Fans nicht geben. Und nicht alles ist hundertprozentig genau recherchiert - so wurde zum Beispiel Toni Schumacher keineswegs vor der Saison 1991/92 neben Berthold, Wouters und Kreuzer sowie den Brasilianern Mazinho und Bernardo [gezielt] als "namhafter Spieler" und Verstärkung verpflichtet. Er arbeitete vielmehr bereits als Torwarttrainer bei den Bayern und wurde im Oktober 1991 in höchster Not reaktiviert, nachdem mehrere Bayern-Keeper verletzt ausfielen. Und auch Jan Wouters kam nach meiner Erinnerung erst im Saisonverlauf. Aber das sind letztlich Kleinigkeiten. Unter dem Strich steht ein schönes, unterhaltsames Buch zum Blättern, ein Buch, das dazu einlädt, sich mit einer riesigen Tasse Kakao aufs Sofa zu setzen und in alten Erinnerungen zu schwelgen.
Matthias Brügelmann (Hrsg.): "125 Jahre Bayern München", Delius Klasing
Samstag, 22. März 2025
Leichte Aufwärtstendenz: "11Freunde" feiert Jubiläum
Ich gebe es zu: Das ist ein billiger Punkt, denn nichts von dem, was Köster in seiner Analyse schreibt, wird dadurch falsch. Und eigentlich will ich hier ja das Jubiläumsheft vorstellen. Nachdem ich mit dem dicken "11Freunde"-Buch zum 20. Geburtstag nicht so ganz glücklich wurde (siehe hier), schafft das Heft eine etwas höhere Punktzahl, wenngleich ich mir auch hier beim Blick auf das Inhaltsverzeichnis mehr versprochen hatte. Immerhin: Die Rubrik "Alles mal Paroli laufen lassen" bietet in fünf Teilen "Schnurren, Anekdoten und Redaktionsinterna", also Geschichten aus dem Alltag der "11Freunde"-Macher. Und auch wenn man die eine oder andere Story schon mal irgendwo gelesen hat, zeichnet dieses Serie ein schönes Bild vom durchaus steinigen Weg, den das Magazin in den 25 Jahren absolvieren musste, ehe es im Fußball-Geschäft akzeptiert wurde. Christoph Daum etwa, immerhin späterer Kolumnist des Heftes, drohte 2008 gleich bei der ersten (völlig harmlosen) Frage des Redakteurs aggressiv mit einem sofortigen Abbruch des Interviews. In so einer Situation seinen Stolz zu schlucken und nicht einfach aufzustehen und "Okay, Herr Daum, dann lassen wir das eben. Schönen Tag noch!" zu sagen, ist vermutlich gar nicht so einfach. Jedenfalls sind allein diese Seiten den Kauf des Heftes wert.
Sehr viel erwartet hatte ich vom Interview mit Ex-Bayern-Pressesprecher Markus Hörwick. Und obwohl es hier und da wirklich interessante Einblicke gibt, etwa zur Nike-Shirt-Posse Mario Götzes, war ich nach dem Lesen unzufrieden, weil mir vieles zu vage, zu allgemein blieb. Was auch deshalb schade ist, weil ich insgeheim immer gehofft habe, dass es von Hörwick mal ein dickes Buch über seine Bayern-Zeit geben wird. Hans Meyer kehrt für die Jubiläumsausgabe als Kolumnist mit "Gehen Sie davon aus" zurück, kann aber an seine frühere Form so gar nicht anknüpfen. Vielleicht ist seine Zeit einfach genauso vorbei wie die von Günter Hetzer. Nicht vorwerfen kann man den Magazin-Machern, dass sie Fan-Themen eine Menge Platz einräumen, etwa den "Wir gründen einen eigenen Verein"-Projekten in Wimbledon, Salzburg und Manchester oder Projekten gegen Rassismus und Sexismus im Stadion. Zwar wurden all diese Themen in der Vergangenheit schon hinreichend gemolken, sind aber nun mal Teil der "11Freunde"-DNA. Da muss man dann als Leser durch. Interessanter für mich sind da schon die Texte über Abramowitsch, Infantino und Neu-Bulle Jürgen Klopp. Unter dem Strich bleibt ein kaufens- und lesenswertes Heft, besser als das Buch vor fünf Jahren, aber auch keine 10 Punkte. Die werden es dann ja vielleicht zum 30. Geburtstag in fünf Jahren.
11Freunde Spezial: 2000 - 2025. 25 Jahre Fußball-Kultur, 25 Jahre 11Freunde
Montag, 17. März 2025
Erinnerungen mit erstaunlichen Schwächen
Mittwoch, 12. März 2025
Faszinierende Chronologie eines Scheiterns
Hierzulande ist der Name Brian Clough nicht mehr allzu vielen Fans geläufig, aber man stelle sich vor, Uli Hoeneß hätte bei Werder Bremen Mitte der 90er Jahre die Nachfolge von Willi Lemke angetreten. Clough verabscheute Don Revie, seit der ihn bei ihrem ersten Aufeinandertreffen als Trainer - Revie war mit Leeds United zu Gast bei Cloughs damaligem Klub Derby County - wie Luft behandelt hatte. Clough hasste Don Revie, weil Leeds United in seinen Augen unehrlichen Fußball spielte, mit Kickern, die überaus ruppig zu Werke gingen, die Schiedsrichter bedrängten, die theatralisch umfielen, ohne auch nur berührt worden zu sein, die protestierten, wenn es nichts zu protestieren gab, und vehement Verwarnungen für ihre Gegenspieler forderten. Und aus diesem Hass hatte Clough, dem vom lieben Gott neben einer äußerst spitzen Zunge auch eine gehörige Portion Dummheit mitgegeben worden war (ja, auch eine dicke Scheibe Genialität, die sich aber eben nur entfaltete, wenn Clough seinen Intimus Peter Taylor an seiner Seite hatte - und das war in Leeds nicht der Fall), nie einen Hehl gemacht. Über Jahre hinweg war, geschürt durch immer neue verbale Aggressionen von beiden Seiten, so eine gepflegte Feindschaft entstanden. Umso sensationeller war es, dass Leeds United, nachdem Don Revie 1974 den Posten des englischen Nationaltrainers übernahm, nicht seinen Wunschnachfolger Johnny Giles verpflichtete, sondern ausgerechnet Brian Clough. Was folgte, war eine der turbulentesten, chaotischsten und kürzesten Trainer-Regentschaften in der Geschichte des englischen Fußballs: Ganze 44 Tage hielt sich Brian Clough bei einem Verein, bei dem ihm von nahezu allen Seiten - vom Nachwuchstrainer über die Spieler bis hin zu den Sekretärinnen - teilweise hasserfüllte Ablehnung entgegenschlug.
Der britische Autor David Peace, der mit seinen Yorkshire-Ripper-Thrillern und mit seiner Tokio-Serie Weltruhm erlangte, erzählt in seinem weitgehend auf Fakten basierenden Roman "The Damned United", minutiös jene 44 Tage, wobei er parallel - im Buch durch Kursivschrift abgehoben - Cloughs Werdegang bis zur Verpflichtung durch Leeds United und damit natürlich auch die Entstehung der Feindschaft zwischen ihm und Revie nachvollzieht. Die Idee selbst ist faszinierend - der Zeitraum ist eng begrenzt und aufgrund zahlreicher Biographien gut beleuchtet. Peace macht aus diesem Material einen hochspannenden Fußball-Roman, der die damaligen Beteiligten - und insbesondere Brian Clough - lebendig werden und erahnen lässt, weshalb diese Ehe niemals funktionieren konnte. Das Einzige, was mir an dem Buch missfällt, sind jene Passagen, in denen Peace durch völlig unnötige stakkatoartige Wiederholungen einzelner chorartiger Zeilen so etwas wie Atmosphäre schaffen will, was in einem Film vielleicht gehen mag, in einem Buch jedoch delatziert wirkt. So wird an einer Stelle auf etwa zwei Seiten allein dreizehnmal die Zeile "Derby. Derby. Derby. Derby. Derby. Derby." wiederholt. Solche Stellen lassen das Buch völlig unnötig aufgeplustert erscheinen. Und das hat Peace, der ein großartiger Erzähler ist, überhaupt nicht nötig.
"Den" Schuldigen gibt es für das gigantische Scheitern Cloughs in Leeds nicht. Auf der einen Seite stand der neue Trainer, dem es offensichtlich nicht gelang, die Gemütslage des Vereins, in den er kam, auch nur annähernd nachzuvollziehen und sich darauf einzulassen, und der kaum einen Versuch unternahm, die bestehenden Gräben zu überwinden. Auf der anderen Seite standen in der Tat charakterlose Kicker, die mehr oder weniger unverhohlen "gegen" ihren neuen Trainer spielten, ohne dass die Klubführung einschritt und ein Exempel statuierte. Fairerweise muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass sich einige Spieler - teilweise erfolgreich vor Gericht - gegen die Darstellungen in Peaces Buch wehrten. Es ist schwer zu beurteilen, ob Clough in Leeds überhaupt eine Chance hatte. Aber nachdem alle Beteiligten von Anfang an praktisch alles falsch machten, war das Ende nur eine Frage der Zeit. Und das Ende kam schneller als erwartet, als Clough in den ersten sechs Spielen nur ein einziger Sieg gelang, was für Leeds den schlechtesten Start seit 15 Jahren bedeutete.
Peace reiht eine Fülle von lebendigen Szenen aneinander, die die faszinierende Chronologie eines Scheiterns ergeben: Es geht los mit Cloughs erstem Eintreffen bei Leeds, gemeinsam mit seinen beiden Söhnen. Er begegnet dem Nachwuchstrainer und Revie-Vertrauten Syd Qwen, der gerade das Amateurteam aufs Feld führen will. Natürlich "übersieht" Owen Cloughs zum Gruß ausgestreckte Hand. Und auf dessen Frage, ob einer der Kicker nicht kurz auf seine Söhne aufpassen könne, während er - Clough - sich im Verein bekannt macht, zischt Owen: "Sie sind bei uns schon allseits bekannt, Mr. Clough. Und diese Jungs sind hier, um zu trainieren. Nicht, um Ihre Söhne zu unterhalten." Cloughs kurzes Gastspiel bei Leeds endet mit einem Gespräch beim Vorstand, bei dem es um seine Abfindung geht. "25.000 Pfund [damals immerhin ca. 150.000 DM] für 44 Tage Arbeit?", brüllte der Vorstandsvorsitzende Sam Bolton. "Das ist gottverdammter Wucher!" Sein Blutdruck stieg noch weiter, als Clough kühl außerdem die Übernahme seiner Einkommensteuer in den nächsten drei Jahren verlangte und außerdem den ihm zur Verfügung gestellten Mercedes behalten wollte. Bolton war fassungslos: "Wer zur Hölle glauben Sie eigentlich zu sein?" "Brian Clough", lautete die schlichte Antwort. "Brian Howard Clough."
Übrigens brachte der Trainerwechsel auch Cloughs Vorgänger Don Revie keine Vorteile. Er verbrachte drei erfolglose Jahre als Nationaltrainer, ehe er in die Vereinigten Arabischen Emirate und damit ins fußballerische Niemandsland abtauchte. Clough schaffte hingegen ein sensationelles Comeback. 1975 wechselte er zu Nottingham Forrest und gewann 1979 und 1980 zweimal hintereinander den Europa-Cup.
David Peace: "The Damned United", Faber & Faber
Freitag, 28. Februar 2025
Unterhaltsame Rückschau auf 50 Jahre Fußball-Bücher
Es ist einigermaßen peinlich für ein Fußballbücher-Magazin, aber ich kannte Ben Redelings Werk "Der Ball ist eine Kugel. Das große Buch der Fußballbücher" bislang tatsächlich nicht. Dabei ist es schon fast zwanzig Jahre alt. Ein Leser hat mich - nochmals ganz herzlichen Dank an dieser Stelle! - darauf aufmerksam gemacht. Von Redelings selbst hatte ich zuvor schon einiges gelesen, etwa "Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige" oder "Bundesliga-Album: Unvergessliche Sprüche, Fotos & Anekdoten", wobei allerdings gerade letzteres sehr an eine riesige Tüte Popcorn erinnert. Man fängt damit an, kann dann nicht mehr aufhören und hinterher ärgert man sich. Letztlich gilt für Redelings wohl Ähnliches wie für den hier zuletzt besprochenen Andreas Thome, wenn auch auf andere Art und Weise und auf deutlich höherem Niveau. Er ist ein Chronist dessen, was bekannt ist, ein Outsider, kein Insider. Aber für eine Betrachtung des Fußballbücher-Marktes ist das kein Nachteil, jedenfalls kein wesentlicher.
Der Autor beginnt im Jahr 1942 und stellt bis 2006 pro Jahr im Regelfall ein Buch vor, manchmal mehrere, mitunter werden auch einige Jahre übersprungen. Alles in allem kommt Redelings so auf 150 Werke. Zur Auflockerung zwischendurch hat er zudem einige Promis versammelt - von Manuel Andrack bis And Zeigler -, die jeweils ihre fünf Lieblingsfußballbücher auflisten. Dass Redelings Auswahl höchst subjektiv ausfallen würde, war klar - andererseits durfte man bei 150 Büchern schon auf ein vertieftes und belastbares Bild des Fußballbüchermarktes und seiner Entwicklung in den vergangenen Jahrzehnten hoffen, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass der Autor auf Jahr-, WM- und EM-Bücher sowie auf Vereinschroniken von vornherein verzichtet hat und das Angebot an Fußballbüchern vor 1990 deutlich überschaubarer war. Und tatsächlich wurde die Lektüre des Buches zu einem höchst unterhaltsamen Mix aus "Sieh mal an, das kennt der Redelings auch!" und "Wo ist eigentlich...?" und gleichzeitig einer hochinformativen Reise durch 50 Jahre Fußballbuchveröffentlichungen.
Es konnte kaum überraschen, dass sich Redelings etlichen Meilensteinen - Meilensteinen im Guten wie im Schlechten - der Fußballbuch-Geschichte widmet. Von Toni Schumachers "Anpfiff" über Lothar Matthäus´ "Mein Tagebuch" bis hin zu Stefan Effenbergs "Ich habe es allen gezeigt" ist nahezu alles dabei. Angenehm überrascht war ich über etliche Vorstellungen, die eher in die Kategorie "Geheimtipp" fallen, etwa Dieter Adlers WM-1982-Tagebuch "WM intim" oder Per Wahlöös Roman "Foul Play", der hierzulange wirklich nur Insidern ein Begriff ist. Interessanterweise hat Redelings zwar Max Merkels Erstlingswerk "Geheuert, gefeiert, gefeuert" aus dem Jahr 1980 aufgenommen, nicht jedoch die Anfang der 90er erschienenen Bücher "Das Runde ist der Ball" und "Man muss auch verlieren können". Obwohl Lästermaul Merkel in "Das Runde ist der Ball" etliche Stories aus seinem Erstlinswerk frech nach- und zweitverwertet hat, war dieses Buch für mich interessanterweise trotzdem das prägendere, weil es deutlich ausführlicher und scharfzüngiger ausfällt und seinerzeit über etliche Wochen und Monate die Auslagen in den Buchhandlungen prägte. Sehr nett war das Wiedersehen mit diversen Schmökern aus der zweiten Reihe, etwa Jupp Derwalls Biographie - hier hätte ich mir ob der allzu großen Zurückhaltung, die sich der Bundestrainer a.D. auferlegt hatte, allerdings eine kritsche Einordnung gewünscht -, Pierre Littbarskis Erinnerungen "Litti", Klaus Schlappners "Mit Erfolg gegen den Strom" oder Jörg Wontorras "Halbzeit mit Helden". Dass Redelings natürlich auch die üblichen Verdächtigen - "Fever Pitch", "Eine Saion mit Verona" oder "Der Traumhüter" - aufnimmt und über Gebühr bejubelt, war erwartbar und sei ihm verziehen. Weniger Verständnis habe ich für den Umstand, dass sich Anfang der 80er Jahre zwar pseudo-intellektuelle Schlaumeier-Bücher wie Dieter Hildebrandts "Die verkaufte Haut" finden, aber kein Eintrag zu Hans Blickensdörfers "Pallmann", der für Fußball-Romane ein unfassbar hohes Niveau statuierte, das meines Erachtens bis heute nicht mehr ereicht wurde. Aber - wie gesagt - die Auswahl musste Geschmackssache sein.
Dass der - offenbar inzwischen auch wieder von der Bildfläche verschwundene - Bombus-Verlag beim Lektorat gespart hat und im Buch aus Reiner Calmund "Reiner Callmund" wird, und Redelings mitunter allzu großzügig aus dem Klappentext der vorgestellten Bücher zitiert - geschenkt! Auch die Rankings der Promis sind weitgehend erwartbar, oft beifallheischend und wenig spannend. Aber das ist auch schon alles, was ich an dem Buch zu meckern habe. Heißt: Unter dem Strich bleibt ein beträchtliches Lesevergnügen. Auch rund zwanzig Jahre nach Erscheinen ist "Der Ball ist eine Kugel" einen Kauf wert.
Ben Redelings: "Der Ball ist eine Kugel. Das große Buch der Fußballbücher", Bombus Verlag