Dienstag, 17. Dezember 2024

Wo bleibt das Denkmal für König Otto?

(KM) Da hatte der Chef mal einfach so "Werder-Wochen im Fußballbücher-Magazin" ausgerufen (Beitrag hier) und mir anschließend eine Art Broschüre mit dem Titel "Otto ... find' ich gut" über den Tisch geschoben. Das sei alles, was es über Otto Rehhagel gäbe mit Ausnahme einer etwas älteren Biographie aus dem Werkstatt-Verlag ("Aber die taugt nichts."). Und deshalb sollte ich mir nun dieses Teil mal anschauen. Erschienen im Jahr 1998, also auch nicht mehr taufrisch, Format A4, 65 Seiten, nennt sich selbst "Fan-Buch", viele Fotos, auf der Rückseite ein Rehhagel-Bild mit einer großen Sprechblase ("Irgendwann, wenn ich aufhöre, schreibe ich mal ein Buch: "Die dümmsten Sprüche der Bundesliga.' Natürlich sind da auch welche von mir dabei.") 

 Ernsthaft jetzt?

Nun gut, immerhin stammt das Ding aus dem Sportverlag Berlin, Gott hab ihn selig, der für das eine oder andere Highlight der Fußballbücher-Historie steht, etwa das unvergessene Tagebuch von Lothar Matthäus. Und als Autoren des Heftes werden durchaus bekannte Leute wie Jochen Coenen, Raimund Hinko, Ulrich Kühne-Hellmessen und Jörg F. Hüls genannt. Letztlich ist das Heft ein kunterbuntes Sammelsurium aus (recht gut ausgewählten) Fotos, Rehhagel-Zitaten, Dritt-Zitaten, Nachdrucken früherer Artikel etwa aus der Südeutschen und ausgesprochenen Albernheiten wie "fiktiven Gesprächen" und auf den Bremer Trainer umgemünzten Goethe-Texten. Aber  seine Stationen und Erfolge in Bremen und Kaiserslautern und eben auch die eher unglücklichen Monate in München werden hier in der Tat ein ganzes Stück lebendiger und plastischer als in Norbert Kunzes steril-verkopftem Büchlein "Rehhagel: Biographie eines Meistertrainers" (1999, Verlag Die Werkstatt).  

Das ist in meinen Augen das eigentlich Schlimme: Otto Rehhagel hat das kleine Werder Bremen zum Deutschen Meiter gemacht - und ebenso den Aufsteiger 1. FC Kaiserslautern, in meinen Augen bis heute die größte Leistung und Sensation in der Geschichte der Bundesliga. Außerdem führte er Griechenland ebenso sensationell zum EM-Titel. Wer all das schafft, ist keine Eintagsfliege, nicht einfach nur ein guter Trainer mit einer gehörigen Portion Glück - nein, wem derartige Meisterstücke wieder und wieder gelingen, der gehört zu den Besten der Besten. Und es gibt bis heute kein Buch, das diesen ganz Großen der Bundesliga angemessen würdigt? Klar, Otto selbst wollte nie für eine Biographie zur Verfügung stehen - beziehungsweise seine Frau Beate wollte nicht, dass er das tut. Aber Bernd Beyer hat ja mit seinem Helmut-Schön-Buch bewiesen, dass man mit dem entsprechenden Aufwand auch ohne den Protagonisten eine großartige Biographie hinbekommen kann. Vielleicht kommt das ja irgendwann. Und bis sich jemand an das ehrgeizige Unterfangen wagt, Rehhagel ein literarisches Denkmal zu setzen, werden wir wohl mit "Otto ...  find' ich gut." Vorlieb nehmen müssen.

Hans-Dieter Schütt (Hrsg.): "Otto ... find ich gut. Rehhagel für Fans", Sportverlag Berlin

Donnerstag, 5. Dezember 2024

Ailton: Lesenswerte Erinnerungen mit kleinen Schwächen

Der brasilianische Stürmer Ailton Goncalves da Silva, hierzulande nur als Ailton oder "Der Kugelblitz" bekannt (1998 bis 2004 bei Werder Bremen, danach u.a. Stationen bei Schalke 04, in Hamburg und Duisburg), hat mich nie übermäßig interessiert. Aber der Name des Co-Autors seiner vor einem Monat bei Edel Sports erschienenen Erinnerungen elektrisierte mich: Fred Sellin. Der hat einst mit "Ich bin ein Spieler: Das Leben des Boris Becker" eine der besten Sportler-Biographien vorgelegt, die ich je gelesen habe. Für mich Grund genug, dem Ailton-Buch einen zweiten Blick zu schenken. Zumal: Nachdem ich mir gerade erst die Willi-Lemke-Biographie zu Gemüte geführt hatte, passten diese Erinnerungen auch thematisch wunderbar. Werder-Bremen-Wochen im Fußballbücher-Magazin, sozusagen. Um es vorwegzunehmen: Es ist ein schönes, ein wirklich interessantes, lesenswertes Buch, aber so ganz ungetrübt war meine Freude nicht.

Das geht schon mit Fred Sellin los. Nichts, rein gar nichts deutet an "Ailton. Mein Fußballmärchen" darauf hin, dass es von dem gleichen Mann geschrieben wurde, der auch "Ich bin ein Spieler: Das Leben des Boris Becker" verfasst hat. Vielleicht vergleiche ich Äpfel mit Birnen, weil Sellin hier eher Chronist der Erinnerungen Ailtons ist, während das Becker-Buch "sein" Projekt war. Vielleicht kommen, wenn ein Autor sich ganz und gar auf sein Sujet einlässt, bei grundverschiedenen Menschen zwangsläufig eben auch grundverschiedene Bücher heraus. Vielleicht schreibt der Sellin von heute auch völlig anders als der vor zwanzig Jahren. Aber die Klarheit, Präzision und Schärfe, die das Becker-Buch auszeichnen, habe ich hier schon etwas vermisst. 

Und: Wäre das Buch ein Fußballspiel, würde man von einem holprigen Start sprechen. Die Kapitel über Ailtons fußballerische Anfänge in Brasilien sind eher mühsam zu lesen - es ist, als würde man in eine Waschküche oder in ein Dampfbad schauen. Praktisch alles bleibt schemenhaft und verschwommen, kaum einmal werden Bilder im Kopf erzeugt. Das liegt vor allem daran, dass Ailton seine Erinnerungen in fast jedem Satz relativiert. "Vielleicht" habe er dies und jenes gemacht, "möglicherweise" war es aber auch so, "kann aber auch sein", dass es ganz anders ablief, "wahrscheinlich" war es aber nochmal anders. Nur selten entsteht in diesen ersten Kapiteln so etwas wie Atmosphäre, etwa wenn Ailton schildert, wie bei einem Brasilien-Scouting-Trip des damaligen Werder-Trainers Wolfgang Sidka ein in Sao Paulo ansässiger Deutsche-Bank-Manager als Dolmetscher fungierte und ein Fernsehkorrespondent als Chauffeur. Der Fußball erzeugt solche Konstellationen.

Interessanterweise ändert sich das Buch nahezu schlagartig mit Ailtons Wechsel nach Mexiko, auch wenn sein Gedächtnis hier und da auch weiterhin Lücken aufweist. Mit einem Mal, wirklich quasi von einer Seite zur nächsten, wird es hochspannend und wunderbar atmosphärisch. Der Leser bekommt herrliche Einblicke in das Geschäft mit südamerikanischen Spielern: Da erhält Werder-Manager Willi Lemke, der sich bereits einige Male vergeblich um Ailton bemüht hatte, mitten im Urlaub - "in Kalifornien oder Florida. Es kann auch Jamaika gewesen sein..." - einen Anruf von einem Mann, der einfach mal so behauptet, einen Transfer des Spielers nach Bremen einfädeln zu können. Anstatt dem Typen ordentlich die Meinung zu geigen, fliegt Lemke tatsächlich nach Mexiko, wo der Unbekannte für ihn bereits ein Hotelzimmer reserviert hat - und wo der Deal letztlich auch zustande kommt. Lemke: "Damals liefen solche Geschäfte häufig so ab, vor allem in den südamerikanischen Ländern und in einigen osteuropäischen. Da kam jemand, und mit dem verhandelte man dann." Und für den Anrufer lohnte sich die Sache - für ihn sprang laut Ailton eine hohe fünfstellige Vermittlungsgebühr heraus. Herrlich auch die Schilderung des anschließenden gemeinsamen 20-Stunden-Fluges von Lemke und Ailton nach Deutschland, des später so betitelten "Zwei-Worte-Fluges": Da saßen sie nun einen ganzen Transatlantik-Flug lang nebeneinander, der leutselige Werder-Manager und sein frischverpflichteter Millionen-Einkauf, aber sie konnten sich nicht verständigen, weil der eine kein Portugiesisch sprach und der andere kein Deutsch oder Englisch. Da können zwanzig Stunden verdammt lang werden - und im Grunde ist es unglaublich: Wir reden hier über ein 5-Millionen-DM-Geschäft, damals für Werder verdammt viel Geld, zuzüglich der o.g. Vermittlungsgebühr und der ganzen Reisespesen für diverse Scouting-Trips - und dann gibt Lemke nicht einfach noch weitere 10.000 DM für eine Dolmetscherin aus, die ihm nicht von der Seite weicht, und nimmt stattdessen die Tortur eines endlos langen Fluges ohne echte Verständigungsmöglichkeit auf sich?

Auch nachdem Ailton in Deutschland eingetroffen ist, bleibt das Buch in bestechender Form: Bremen, Parkhotel, am See gelegen, mit Sauna und Pool. Der Brasilianer futtert drei Wochen tapfer Spaghetti Bolognese, weil es das einzige Gericht in der Speisekarte ist, das er kennt. Mit Trainer Felix Magath, Nachfolger des schon bald entlassenen Ailton-Protegés Wolfgang Sidka, kommt Ailton gar nicht zurecht. Klar und ohne falsche Zurückhaltung beschreibt der Brasilianer, wieso Magath aus seiner Sicht der falsche Mann am falschen Ort war und scheitern musste: Ein kleiner Bonus an dieser Stelle, jedenfalls für mich, ist Ailtons kritische Auseinandersetzung mit Magaths – hier ebenfalls bereits besprochener – Biographie, in der dieser laut Ailton über seine Bremer Zeit "schwadroniert". Diese Passagen sind einfach nur großes Lesevergnügen. Gleiches gilt für die folgenden Abschnitte über den umstrittenen Wechsel zum FC Schalke 04 im Jahr 2004 - nach dem Double mit Werder – und die enormen Schwierigkeiten mit Ralf Rangnick, dem alsbald nach Ailtons Ankunft auf Schalke neu verpflichteten Trainer.

Leider geht dem sympathischen Stürmer dann jedoch ebenso die Luft aus wie früher auf dem Rasen. Denn die anschließenden Stationen werden nur noch in wenigen Sätzen kurz durchgehechelt. Dabei hätten sie in meinem Augen sogar Stoff für ein eigenes Buch geboten. Ailton flüchtete nämlich vor Rangnick zu Besiktas Istanbul, wurde von dort zum HSV ausgeliehen, ging dann nach Belgrad, um von wiederum dort an Grashoppers Zürich verliehen zu werden, machte später noch in Duisburg Station, unterschrieb einen 2-Jahres-Vertrag bei Metallurg Donezk, um aber schon nach zwei Spielen ins österreichische Altach weiterzuziehen. Dem schlossen sich Stationen in seinem Heimatland und in China an. "Wie kam ich da eigentlich hin?", fragt er selbst an einer Stelle mit Blick auf Donezk. Ja, das hätte mich auch sehr interessiert. Oder wie man aus der Türkei ausgerechnet nach Serbien wechselt und wie es ihm als dunkelhäutigem Spieler im latent fremdenfeindlichen Osteuropa ergangen ist. Wieso hat es in China nicht funktioniert und wie war die Bezahlung dort? Hier haben Ailton und Sellin meines Erachtens die wunderbare Chance, ein paar großartige Geschichten aus dem Alltag eines Fußball-Weltenbummlers zu erzählen, unnötig vergeben. Zwar mögen all diese Stationen sportlich keine größere Rolle gespielt haben, aber Ailton hat eben ein halbes Jahr in Belgrad gelebt und mehrere Monate in der Ukraine und mehrere Monate in China.

Wie gesagt, hier hätte ich mir mehr gewünscht, aber allein der Mittelteil des Buches mit Ailtons Werder-Zeit ist den Kauf wert.

Ailton Goncalves da Silva und Fred Sellin: "Ailton. Mein Fußballmärchen", Edel Sports

Sonntag, 1. Dezember 2024

Überfällige Würdigung des "Alles-Machers"

Willi Lemke war Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre für mich in erster Linie der Gegenspieler von Uli Hoeneß. Und auch wenn man mit dem Wort sparsam umgehen sollte, habe ich ihn damals gehasst. Der Kontrast zwischen den beiden Alphatieren hätte kaum größer sein können: Hier der barocke Lebemann Hoeneß, als Spieler Welt- und Europameister, Europacupsieger - dort der schrille Asket Lemke mit dem Aussehen und dem Charisma eines Buchhalters, der Fußballtrikots bestenfalls aus dem Fanshop kannte. Hier der soziale Münchner Manager, der sich selbstlos um vom Leben gebeutelte Ex-Bayern-Spieler wie Helmut Winklhofer oder Lars Lunde kümmerte. Dort der allzu clevere Werder-Strippenzieher, der einen peinlichen Bordellbesuch von Bremer Kickern nutzte, um ihnen Vertragsverlängerungen zu unveränderten (= für ihn höchst günstigen) Konditionen abzunötigen. Und genau dieser Typ setzte viel zu gekonnt Nadelstich um Nadelstich in Richtung meines geliebten FC Bayern, spielte perfekt das Spiel "Wir ach so armen, bodenständigen Bremer Arbeiter gegen die abgehobenen Millionarios aus München" und schürte die allgemeine Abneigung gegen den FC Bayern. Dass Werder den Münchnern in "meinem" (und Jupp Heynckes') ersten Bayern-Jahr 1987/88 auch noch die Meisterschale wegschnappte, machte die Sache naturgemäß nicht besser. Ja, ich habe Willi Lemke damals gehasst. Und - darauf habe ich an anderer Stelle schon mal hingewiesen - es hat eine ziemlich lange Zeit gedauert, bis ich ihn als einen der wichtigsten, kompetentesten und auch sympathischsten Protagonisten der Bundesliga jener Zeit anerkennen konnte. Einer im Übrigen, der mit seiner Kritik an Hoeneß gar nicht so selten richtig lag.
 
Lemke, im Sommer leider und viel zu früh verstorben, hatte sich 1999 aus dem operativen Bundesligageschäft zurückgezogen, um einen Posten in der Bremer Landesregierung zu übernehmen. Bis heute steht er gemeinsam mit Trainer Otto Rehhagel für die mit Abstand erfolgreichste Periode der Bremer Vereinsgeschichte - 1985 bis 1995 - mit zwei Meistertiteln, diversen Vizemeisterschaften, drei Pokalsiegen und dem legendären Coup im Europapokal 1992 gegen AS Monaco. Und ich würde mich mal so weit vorwagen und behaupten: Werder wird mit seinen - damals wie heute - sehr überschaubaren finanziellen Möglichkeiten und dem im bundesweiten Vergleich auch viel geringeren wirtschaftlichen Potential nie wieder in die Situation kommen, dem Branchenprimus über zehn Jahre ernsthaft Paroli zu bieten und ihn mitunter sogar zu übertrumpfen. "Leider", sage ich heute, nachdem mir zwölf bayerische Meistertitel in Folge die Freude an der Bundesliga weitgehend verdorben haben. Nimmt man nun noch hinzu, dass Lemke als Manager in vielerlei Hinsicht Vorreiter und Taktgeber der Branche war, erscheint eine Würdigung dieses Mannes in Buchform wahrlich überfällig.
 
Genau eine solche Würdigung liegt nun mit "Herr Lemke, übernehmen Sie!" (Edition Einwurf) vor. Dass sich mit den Autoren Helmut Hafner und Ralf Lorenzen ein Duo aus Politik und Sport gefunden hat, um Lemkes Biographie zu verfassen, macht bei einem solchen Wanderer zwischen den Welten - Lemke war einst Geschäftsführer der SPD in Bremen und organisierte Wahlkämpfe, übernahm dann den Posten als Manager bei Werder und trat später als Bildungssenator in die Landesregierung ein, um seine Karriere als UN-Sonderbotschafter für Sport ausklingen zu lassen - nun wirklich Sinn. 
 
Ich bin, was bei derartigen Biographien gar nicht so selten vorkommt, eher schwer in das Buch hineingekommen. Die üblichen Anfangskapitel über Kinder- und Jugendjahre geraten häufig zäh - oder sie interessieren mich schlicht nicht genug. Doch es dauert zum Glück nicht lange, ehe wir bei Willis Werder-Jahren landen - und hier beginnt für mich ein großes Lesevergnügen. Nicht streng chronologisch, aber dramaturgisch geschickt erzählen sie die Geschichte des "Alles-Machers", der bei Werder keinen Stab, kein großes Team hatte, alle Details selbst im Blick behielt und sich nicht zu schade war, auch mal persönlich Werbebanden von A nach B zu transportieren. Den Autoren gelingt es in hervorragender Weise - in meinen Augen eine der großen Leistungen des Buches -, das komplizierte Bremer Beziehungsgeflecht mit dem Präsidenten Franz Böhmert, der den Verein seriös nach außen repräsentierte, seinem Vize Klaus-Dieter Fischer, dem heimlichen Boss des Klubs, dem sportlich allmächtigen, aber innerlich oft auch unsicheren Trainer Otto Rehhagel und dem Geldbeschaffer Willi Lemke nachzuzeichnen. Es herrschte längst nicht nur Sonnenschein im vermeintlichen Paradies an der Weser. So ging der hauptamtlich tätige und sehr gut bezahlte Lemke dem ehrenamtlichen Präsidum mit seinem Sendungsbewusstsein und seiner medialen Präsenz mitunter ziemlich auf die Nerven. Er und Rehhagel standen sich, obwohl sie Seite an Seite die erfolgreichste Epoche der Vereinsgeschichte prägten, stets mit einer gewissen Distanz gegenüber - und blieben zeitlebens beim "Sie", während Lemke sonst alles und jeden duzte. Aber indem er Rehhagel in sportlicher Hinsicht komplett das Feld überließ und sich darauf beschränkte, dessen Transferwünsche zu erfüllen, ermöglichte er genau jene Arbeitsteilung, die für den Bremer Höhenflug hauptursächlich gewesen sein dürfte. Rehhagels einzigartiges Auge für die richtigen Spieler und Lemkes Verhandlungsgeschick waren einfach eine sensationelle Kombination. Wobei wie immer im Leben hier und da auch das nötige Quäntchen Glück nicht fehlte: Eigentlich wollte Bremen 1982 den Torschützenkönig der zweiten Liga, Dieter Schatzschneider, verpflichten. Weil der sich aber für Hamburg entschied, wies Rehhagel Lemke an, sich um einen gewissen Rudi Völler zu bemühen: "Wenn wir die Nummer 1 nicht kriegen, müssen Sie mit der Nummer 2 telefonieren." Völler war sportlich (119 Tore in 174 Spielen), menschlich und - mit seinem millionenschweren Wechsel nach Rom 1987 - auch finanziell einer der Top-Transfers der Vereinsgeschichte, während Schatzschneider in Hamburg und im Grunde auch bei jeder späteren Station sportlich und menschlich Schiffbruch erlitt.

Apropos Transfers: Ich hätte mir in jenen Werder-Kapiteln manchmal noch mehr Nähe zum Geschehen gewünscht. So hätte ich zum Beispiel gern nachträglich mit am Tisch gesessen, als Lemke 1990 mit den Machern von Lazio Rom den Wechsel von Karl-Heinz Riedle für eine seinerzeit sagenhafte Ablöse von 13 Millionen DM eintütete. Wie laufen solche Gespräche? Wie souverän (oder innerlich aufgewühlt) verhandelt man als Manager eines kleinen Vereins, wenn man weiß, dass eine Summe auf dem Tisch liegt, die den eigenen Klub auf Jahre sanieren kann - und eine Verletzung Riedles im nächsten Spiel alles zunichte machen könnte? Pokert man noch um die dreizehnte Million, wenn eigentlich auch schon zwölf ein riesiges Geschäft sind (Riedle kam 1987 für schlappe 800.000 DM von Blau-Weiß Berlin)? Derartige intime Einblicke gibt es leider nur wenige - aber, um nicht ungerecht zu sein, es gibt sie. So erfährt man, wie Rehhagel die Mannschaft nach Lemkes desaströser TV-Begegnung mit dem Spielervermittler Holger Klemme - der deckte vor Millionen Zuschauern die obige Bordellgeschichte auf - unter Strafandrohung vergatterte, in der Öffentlichkeit ja kein böses Wort über den Manager zu verlieren. Lemke vergaß ihm das nie. Und man erfährt, wie Stefan Effenberg indirekt zu Rehhagels Abschied in Bremen beitrug: Der seinerzeit in Florenz unter Vertrag stehende Spielmacher war der absolute Wunschkandidat des Werder-Trainers. Lemke leitete wie üblich die Verhandlungen ein, erzielte Einigkeit mit Verein und Spieler - doch dann begann Ehefrau Martina Effenberg plötzlich nachzukobern. In Abstimmung mit Fischer nahm Lemke Abstand von dem Deal. Dummerweise war da schon die aktuelle "Sport-Bild" in Druck, in der Rehhagel exklusiv berichtete, wie er Effenberg an die Weser geholt habe. Der Coach war blamiert und wurde Bremen - der "Stadt der kleinen Wege" - nun endgültig überdrüssig. Übrigens habe ich in Erinnerung, dass Rehhagel nach Bekanntwerden seines Wechsels zum FC Bayern 1995 auch plötzlich begann, in der Öffentlichkeit etwas abfällig über Lemke zu sprechen. Leider wird die Verschlechterung ihrer Beziehung in jener Zeit im Buch allenfalls angedeutet.

Wertvoll ist "Herr Lemke, übernehmen Sie!" auch deshalb, weil es Lemkes Pionierleistungen als Manager verewigt. Die Bundesliga verdankt ihm - und nicht Uli Hoeneß  - beispielsweise die Ehrenlogen und die Einlaufjungen. Und der Werder-Manager war 1989 der erste, der ein ganzes Bundesligaspiel an einen Sponsor verkaufte - Lemke kassierte 120.000 DM Festpreis und statt der zu erwartenden mageren 17.000 Zuschauer gegen Waldhof Mannheim kamen dank vom Sponsor verbilligt abgegebener Tickets 37.000. Letztlich geriet das Ganze zu einer Art Volksfest mit Bierzelt und Feuerwerk.

Ich freue mich sehr, dass Willi Lemke mit diesem Buch eine verdiente, bleibende Würdigung erfährt. Klare Kaufempfehlung - und zwar ausdrücklich nicht nur für Werder-Fans.

Helmut Hafner und Ralf Lorenzen: "Herr Lemke, übernehmen Sie!", Edition Einwurf

Sonntag, 24. November 2024

Ein Geheimtipp aus dem Nachbarland

(KM) Die Möglichkeiten, die der technische Fortschritt uns eröffnet, sind einfach nur grandios. Ein Buch wie Christoffer Stig Christensens im Jahr 2016 ausschließlich auf Dänisch erschienenes Werk "Sepp: En biografi om manden, der ændrede dansk fodbold", eine umfassende, fundierte, überaus lesenswerte Biographie des früheren deutschen Nationalspielers und langjährigen dänischen Nationaltrainers Sepp Piontek, wäre mir noch vor zehn, zwanzig Jahren verschlossen geblieben. Sicher, ich hätte es vermutlich in irgendeiner "Internationalen Buchhandlung" - ja, so hieß das damals - als Printexemplar zu einem horrenden Preis bestellen können. Und dann? Mein Dänisch, nun ja, beschränkt sich auf ein einziges Wort: Smørrebrød. Und sich mit einem Wörterbuch hinzusetzen, um ein Buch zu lesen, ist eine mühsame und schnell frustrierende Angelegenheit. Im Jahr 2024 läuft das anders: Denn jetzt gibt es E-Books, also elektronische Daten, mit denen sich etwas anfangen lässt - und das ändert so ziemlich alles. Auch "Sepp" wird auf verschiedenen Portalen als E-Book angeboten. Also schnell zugeschlagen und das dänische Original durch ein Translation-Tool meiner Wahl gejagt. Wer hier weise wählt, bekommt inzwischen eine Übersetzung in wirklich phantastischer Qualität. Klar, an der einen oder anderen Stelle merkt man, dass es eine maschinelle Translation ist. Aber zu 97 % ist es ein perfekt lesbares Buch: Wenn man wie unser Chef Tim Bender außerdem noch Hörbücher bevorzugt, schickt man die übersetzte Datei anschließend noch durch einen Text-to-Speach-Reader und bekommt satte 15 Stunden Hörzeit mit bzw. über Sepp Piontek.

Und die lohnen sich!

Christoffer Stig Christensen, der Piontek übrigens einfach per Mail gefragt hat, ob er für ein solches Projekt zur Verfügung stehen würde, beleuchtet die gesamte Karriere des einst als knüppelhart verschrienen Verteidigers auf höchst farbenfrohe und lebendige Weise: Da sind beispielsweise der unverhoffte Wechsel vom Rasen auf den Bremer Trainerstuhl, die ersten Schritte als Coach bei Werder, bis Piontek einer Spielerintrige, angeführt von einem gewissen Rudi Assauer, zum Opfer fiel, die zwei abenteuerlichen Jahre beim berüchtigten haitianischen Diktator "Baby Doc", der seinem Coach mal so eben ein paar tausend Euro Taschengeld für eine Auslandsreise mit der Nationalelf in die Hand drückte, die Rückkehr nach Deutschland mit einem Job in der dritten Reihe - St. Pauli war seinerzeit ein mittelmäßiger Zweitligist am Rande der Pleite und Lichtjahre vom heutigen Kult-Status entfernt - und schließlich der Jackpot: Der dänische Fußballverband entscheidet sich gegen Udo Lattek, gegen Eckhard Krautzun - und für den eher unbekannten Sepp Piontek! Der Start misslingt - der neue Trainer verpasst mit seinem Team die Qualifikation zur WM 1982 in Spanien. Doch schon hier deutet sich an, dass Piontek im Begriff ist, etwas Großes aufzubauen, wobei er allerdings auch auf eine Generation großartiger Kicker zurückgreifen kann: von Morten Olsen und Sören Lerby über  Frank Arnesen, Jesper Olsen und Michael Laudrup bis hin zum legendären Preben Elkjær Larsen, der Piontek bis heute freudschaftlich verbunden ist. Und in den Folgejahren kommen die Erfolge - 1984 scheitert Danish Dynamite bei der EM erst im Halbfinale an Spanien, bei der WM 1986 beendet das Team die Vorrunde als Gruppenerster.

Allerdings hat Piontek, der als Trainer mitunter ebenso rauhbeinig und kompromisslos wie als Spieler agierte, aber eben auch mit der Gelassenheit ausgestattet war, die einem zwei Jahren Vodoo-Haiti verleihen, die Herzen der Dänen nicht allein mit seinen Erfolgen als Trainer gewonnen. Nein, er hat sich mit Haut und Haaren auf dieses Land eingelassen, hat dort seinen Wohnsitz genommen, schon bald ein einzigartiges Kauderwelsch aus Dänisch und Deutsch gesprochen, das dem Autor zufolge allseits gut verstanden wurde, hat Ligaspiele besucht, Vorträge vor Unternehmern oder Handwerkern gehalten, sich streitbar auch zu politischen und sozialen Fragen geäußert und obendrein unsterblich in eine Dänin verliebt, weshalb er auch bis heute in der Nähe von Odense lebt. Leider hat ihn dies nicht vor einem unschönen Ende als Coach des Danish Dynamite bewahrt. Denn als die Nationalelf in der zweiten Hälfte der 80er Jahre nicht mehr an ihre früheren Leistungen anknüpfen konnte, wurde in den Boulevardmedien plötzlich genüsslich diskutiert, ob Piontek für die kostenlosen Mahlzeiten, die er beim Fußballverband bekomme, überhaupt Steuern bezahle, und dass er angeblich eine Deckadresse in Liechtenstein habe, über die er Werbezahlungen abwickele. Piontek war davon so erbost, dass er die Brocken kurzerhand hinwarf.

Auch wenn der Autor mittendrin, so zwischen EM 1984 und WM 1986, mal kurz ein wenig den Faden zu verlieren scheint und etwas Leerlauf zu überstehen ist, bietet das Buch alles in allem einen faszinierenden Einblick in den Alltag der dänischen Nationalmannschaft in den achziger Jahren und die ungewöhnliche Karriere eines deutschen Fußballprofis und -Trainers. Hierbei ist insbesondere hervorzuheben, dass das Buch nicht mit Pionteks Demission als dänischer Nationaltcoach abrupt endet. Knapp, aber dennoch sehr lebendig und nah am Sujet werden auch seine anschließenen Stationen als türkischer National- und Klubtrainer sowie seine Zeiten mit zwei dänischen Erstligaklubs beleuchtet, wobei der Autor auch hier die Stimmung jener Zeit und jener Orte wunderbar einfängt. Ganz klare Leseempfehlung an alle, die Dänisch sprechen - oder der obigen Handlungsanleitung folgen.

Christoffer Stig Christensens: "Sepp: En biografi om manden, der ændrede dansk fodbold",  Gyldendal Verlag

Samstag, 16. November 2024

Ein vielversprechendes Debüt

Der Journalist Carsten Kulawik hat sich mit "Rudi Assauer. Macher der Herzen: Wie die Schalke Legende wirklich war" (Klartext Verlag) an ein ausführliches Porträt des 2019 verstorbenen früheren Schalke-04-Managers gewagt, mit dem ihn weniger eine berufliche (Kulawik ist Jahrgang 1991, Assauer 2006 bei Schalke ausgeschieden) als eine sehr enge private Beziehung verband. Mir hat diese Ausgangskonstellation durchaus Respekt eingeflößt. Denn zum einen existiert mit "Wie ausgewechselt: Verblassende Erinnerungen an mein Leben" bereits seit einigen Jahren eine umfassende und sehr gelungene Autobiographie Assauers (geschrieben mit Patrick Strasser). Zum anderen sind persönliche Verbundenheit und Wertschätzung ja nicht das Gleiche wie Nähe zum Geschehen. Letzteres hat Kulawik indes durch eine Reihe von Interviews kompensiert, die er mit Weggefährten, früheren Mitarbeitern Assauers und anderen Zeitgenossen führte. Deren Erinnerungen in Verbindung mit dem engen persönlichen Bezug des Autors ergeben eine sehr lesenswerte Würdigung des Menschen Rudi Assauer.

Auch wenn im Buch Assauers Kindheit sowie seine Karrierestationen als Spieler und später als Manager skizziert werden, ist es keine Biographie, die den Anspruch auf Vollständigkeit erheben könnte. Dafür bleiben - was vor allem auch mit den verfügbaren beziehungsweise vom Autor gewählten Gesprächspartnern zu tun haben dürfte - etwa die Karrierestationen Bremen und Oldenburg letztlich zu knapp, zu schemenhaft, zu blutarm. Der Schwerpunkt liegt auf der Zeit Assauers - besser: den Zeiten - bei Schalke 04, aber auch hier pickt sich das Buch einzelne Momente, einzelne Beobachtungen und Alltagssituationen heraus. Und genau dort, wo uns der Autor tief ins Innere mitnimmt und zum Beispiel die allmählich erodierende Beziehung zwischen Trainer Jörg Berger und der Mannschaft und das Lavieren Assauers hierbei beschreibt, wird es hochspannend. Gleiches gilt, wenn der Leser anhand vieler kleiner Beispiele erfährt, wie Assauer mit anderen sprach, stritt, verhandelte, gerade auch mit Kollegen wie Reiner Calmund oder Michael Meier. Und zwischendrin kommen dann auch immer wieder interessante hochpersönliche Momente wie Assauers Besuch in Kulawiks Elternhaus. Was macht man, wenn die geschätzte und verehrte Schalke-Ikone im heiligen Wohnzimmer der Eltern, in dem an sich strenges Rauchverbot herrscht, plötzlich ungeniert (und letztlich rücksichtslos) seine Zigarre hervorholt?

"Macher der Herzen" ist für mich nicht unbedingt ein Stand-alone-Buch, weil es sich der Person Assauer unter einem sehr speziellen Blickwinkel nähert und eben - siehe oben - in biografischer Hinsicht etliche Lücken bleiben. Aber es ist eine sehr schöne, warmherzige Ergänzung zu "Verblassende Erinnerungen" und als solche zweifellos Pflichtlektüre jedenfalls für echte Schalker. Mehr noch als das Buch selbst hat mir indes gefallen, wie Kulawik dieses Vorhaben angegangen ist und es umgesetzt hat, wie er Gesprächspartner aufgetrieben und befragt und ihre Erinnerungen in seinem Buch zusammengeführt hat. Das macht in jedem Fall Lust auf mehr. Ich wünschte, er würde sich weiteren derartigen Projekten widmen, denen dann zwar der persönlich-private Einschlag fehlen mag, die aber dennoch auch anderen Größen des Geschäfts würdige Denkmäler setzen würden. Kandidaten hierfür gibt es allein im Ruhrgebiet ja wahrlich genug.

Carsten Kulawik: "Rudi Assauer. Macher der Herzen: Wie die Schalke Legende wirklich war", Klartext Verlag

Montag, 4. November 2024

Ärgerliche Zweit-, Dritt- und Viertverwertung

Heute wählen wir mal wieder etwas aus der Kiste mit den schon angestaubten Werken. Als ich neulich in einem Berliner Antiquariat Waldemar Hartmanns Büchlein "Born to be Waldi" liegen sah, griff ich für kleines Geld zu - und wurde bitter enttäuscht. Das 2009 erschienene Buch wurde seinerzeit als Enthüllungsbuch beworben ("Deutschlands beliebtester Sportmoderator packt aus."). Das ist es nicht ansatzweise. Und selbst wenn ich Hartmann mal zugute halte, dass es vermutlich mehr oder weniger eine zwischen zwei Buchdeckel gepresste Variante seines damaligen Bühnenprogramms ist, habe ich mich über die wirklich üble Mischung aus schlüpfrigen Altherrenwitzen, albernen Plattheiten, bemühten Wortspielen und schon tausendmal gehörten Stories sehr geärgert. 

Ein Beispiel: Über zwei Seiten erzählt Waldi in schlaumeierischem Ton die Geschichte des legendären Schiedsrichters Wolf-Dieter Ahlenfelder, der - nachdem er 1975 vor einem Spiel von Werder Bremen gegen Hannover 96 sein Mittagessen mit zu viel Bier und Aquavit heruntergespült hatte - die erste Halbzeit bereits nach 32 Minuten abpfiff. Das führte unter anderem dazu, dass man am seinerzeitigen Ort des Geschehens, der Bremer Vereinsgaststätte, (angeblich) bis heute einen "Ahlenfelder" bestellen kann und folgerichtig Bier und Schnaps serviert bekommt. Das Problem hierbei ist: Waldi hat nicht das geringste Recht, uns diese Geschichte aufzutischen und mit solchem Zeug ein Buch zusammenzuschustern. Denn er hatte damals weder mit den Spiel noch mit Ahlenfelders Aussetzer irgendetwas zu tun und die Story stand seither schon in gefühlt einer Million Zeitungsartikeln und Büchern. Auch zu Mehmet Scholls dümmlichem Spruch, "Hund bei Uli Hoeneß" sein zu wollen, hat Hartmann keinerlei speziellen Zugang oder Bezug, ebenso wenig zu Willi Lemkes Tätigkeit als Doppelagent für BND und KGB. Und darüber wurde an anderer Stelle ebenfalls bereits zigfach geschrieben, oft weitaus fundierter und berechtigter. Derartige Zweit-, Dritt- und Viertverwertungen prägen leider das ganze Buch. 

Was mich weiterhin ärgert: In anderen Besprechungen hatte ich ja wiederholt darauf hingewiesen, dass ich mir meinungsstarke Autoren wünsche, die Klartext reden. Auf den ersten Blick tut Waldi genau das. So arbeitet er sich beispielsweise engagiert am früheren Bundestrainer Berti Vogts ab, dem "mausgrauen Trainer von der traurigen Gestalt", von dem er offensichtlich nichts hält. Mit Franz Beckenbauer, so Waldi, wäre das DFB-Team 1994 locker erneut Weltmeister geworden, das Finale Brasilien - Italien sei ein so grausamer Kick gewesen, den hätte die deutsche Elf, von Franz auf Linie gebracht, problemlos gewonnen. Mit "meinungsstark" meine ich natürlich: "Meinungsstark in Bereichen, in denen der Autor tatsächlich Insidereinblicke und/oder Expertise hat." Völlig unsubstantiierte, durch nichts begründete, einfach mal aus der Hüfte geschossene Behauptungen, die so oder so ähnlich genauso gut von Otto Normalfan nach dem dritten Bier kommen, sind hingegen eine Verschwendung meiner Zeit.

Selbst in den Bereichen, in denen Hartmann sicherlich Insidereinblicke hat, bleibt er oberflächlich und allgemein. "Natürlich weiß jeder, dass er seine Kolumnen nicht selbst schreibt", heißt es da beispielsweise über Lothar Matthäus. "Er gibt seinen Namen dafür her." Das wäre doch nun die Gelegenheit gewesen, mal aus der Schule zu plaudern. Wer ist beziehungsweise war denn Lothars Ghostwriter? Raimund Hinko? Oder Wolfgang Ruiner? Und was genau weiß Waldi darüber? So aber bleibt "Born to be Waldi" am Ende tatsächlich nur die Verschriftlichung eines auf billige Punkte und alkoholisierte Lacher ausgerichteten Comedy-Programms. Schade!

Waldemar Hartmann: "Born to be Waldi", Heyne Verlag

Freitag, 25. Oktober 2024

Heißer Herbst - Teil 2: Der nächste Kracher

Nach Norbert Nachtweihs Biographie griff ich mit zwiespältigen Gefühlen. Einerseits - darauf hatte ich schon in meiner Ankündigung hingewiesen - war „Zwischen zwei Welten“ das Buch, auf das ich mich unter allen Herbst-Neuerscheinungen am meisten freute. Denn Nachtweih, dessen Werdegang ich stets mit großem Interesse verfolgt hatte, blickt mit seiner DDR-Flucht, der Zeit bei Bayern in den 80er Jahren, der Legionärserfahrung in Südfrankreich und den Waldhof-Jahren in der zweiten Liga auf eine unglaublich spannende Karriere zurück. Anderseits hatte Klaus Augenthaler mit seinen Erinnerungen „Immer nur rot-weiß gedacht“ die Latte (und damit auch meine Erwartungen) extrem hochgelegt. Nun fragte ich mich: Kann sein alter Bayern-Kumpel Nachtweih dieses Niveau halten? Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Ja, er kann - genau wie das Buch von Klaus Augenthaler und Albrecht Breitschuh ist auch das Gemeinschaftswerk von Norbert Nachtweih und Mathias Liebing ein unglaublich gutes Buch geworden: hochspannend, ungeheuer atmosphärisch, sehr meinungsstark und aus der Perspektive des Insiders geschrieben, ein absolutes Muss für jeden, der mit dem FC Bayern (80er) und/oder der Frankfurter Eintracht (70er/80er) etwas am Hut hat.

Ein prägendes Thema des Buches ist naturgemäß Nachtweihs Flucht in den Westen 1976 während eines Türkeitrips der DDR-U21-Nationalelf. Damit einher geht die Auseinandersetzung mit den daraus resultierenden Folgen und Konsequenzen für den Kicker selbst, seine Familie und für Dritte. Dabei hat mich die Fluchtgeschichte selbst gar nicht übermäßig gepackt. Hier musste ich oft an das schöne Wort von Wolf Biermann denken: „Was Du erinnerst, das warst Du nicht.“ Soll heißen: Erinnerung ist immer etwas, was man sich im Laufe der Jahre Stück für Stück unbewusst zurechtgelegt hat. Und wenn man sich Norbert Nachtweih in der von ihm im Buch mehrfach erwähnten NDR-Dokumentation oder in einen recht aktuellen SWR-Interview zum Buch anschaut, merkt man: Er hat die Geschichte seiner Flucht schon tausendmal erzählt, da ist viel Routine im Spiel, und vielleicht sind ein paar Dinge - der riesige Schnurrbart eines Vernehmers, der rauchvernebelte Raum, in dem das Gespräch stattfand - in der Rückschau auch peu à peu immer prägnanter geworden.  Interessanter ist da schon die Frage nach Schuld und Verantwortung. Muss oder kann ein 19jähriger, der während einer Auslandsreise eine vergleichsweise impulsive Entscheidung trifft, die Folgen dieser Entscheidung für seine Familie oder Dritte überblicken oder gar berücksichtigen? Im Buch wird deutlich, dass Nachtweihs Mutter unter der Trennung von ihrem Sohn arg zu leiden hatte. Und Burkhard Pingel, Nachtweihs Teamkollege und engster Freund beim Halleschen FC und im U21-Nationalteam ("Wir galten als die Zwillinge."), der in der Türkei die Möglichkeit gehabt hätte, Nachtweih auf seiner Flucht zu begleiten, sich aber dagegen entschied, bekam laut Nachtweih die ganze Härte der DDR-Staatsmacht zu spüren: Endlose Verhöre, vorerst keine weiteren Länderspiele, Einberufung zur NVA. Wobei man fairerweise sagen muss, dass die nackten Zahlen nicht ohne weiteres bestätigen, dass Pingel für die Flucht seines Freundes quasi mit seiner Karriere bezahlte: Er machte anchließend noch weit über 100 Oberligaspiele und kam 1978 auch in der U21-Nationalelf wieder zum Einsatz. Wie dem auch sei - Nachtweih duckt sich hier nicht weg, sondern stellt sich diesen Fragen offen und sehr reflektiert.

Spätestens mit der Ankunft des DDR-Flüchtlings in der Bundesrepublik beziehungsweise kurz darauf bei der Frankfurter Eintracht wird das Buch jedenfalls für mich zum Page-Turner. Nachtweih liefert ein wahres Feuerwerk an Insider-Infomationen, Eindrücken und Meinungen. Die ersten Monate im Westen, die Spiele mit der 2. Mannschaft der Eintracht in der hessischen Provinz (für das Profiteam war er ein Jahr lang gesperrt), der fremde Geruch der neuen Welt - ja, der Westen roch wirklich vollkommen anders als die DDR -, die Verlockungen des Nachtlebens und die weitgehende Ungestörtheit, in der er sich auch später als prominenter Bundesligakicker diesen Verlockungen hingeben konnte - hier wird durchweg jede Menge Kopfkino erzeugt. Nachtweih verrät interessante Randdetails - etwa, dass Franz Beckenbauer ab Mitte der achtziger Jahre immer mal wieder beim FC Bayern mittrainierte, ohne dass das für irgendwen inklusive der Journalisten ein besonderes Thema gewesen wäre. Hochspannend waren für mich auch die Einschätzungen zu Friedel Rausch und Jörg Berger, Pal Csernai und Lutz Eigendorf, Dragoslav Stepanović ("als Bundesligatrainer ungeeignet") und Klaus Schlappner ("ein Rassist"). Er erläutert nachvollziehbar, wieso er gemeinsam mit zahlreichen anderen Eintracht-Spielern in die Bauherrenmodell-Falle tappte und wie der FC Bayern das 1987er Europacup-Finale gegen den krassen Außenseiter FC Porto verlieren konnte.  Er hält ein leidenschaftliches Plädoyer für das Gespann Uli Hoeneß/Udo Lattek, das den FC Bayern vor allem mit Empathie und Wertschätzung geführt habe und so ganz maßgeblich für die Erfolge der Münchner MItte der achtziger Jahre verantwortlich gewesen sei. Und er liefert hochinteressante Informationen über sein Gehalt (bei der Eintracht anfangs 100.000 DM, später 200.000 DM, bei den Bayern anfangs 375.000 DM, beim AS Cannes dank Hoeneß' Verhandlungsgeschick unter dem Strich siebenstellig (!) und später in Mannheim 10.000 DM netto/Monat). Apropos Cannes: In vielen Büchern werden derartige Auslandsstationen am Ende der Karriere eher schnell und lieblos abgehandelt. Hier nicht: Detaillierter als irgendwo sonst erfahre ich hier, wie es zum Wechsel an die Côte d'Azur kam, wie er dort wohnte,  lebte und arbeitete - und auch hier läuft wieder jede Menge Kopfkino. Ich sehe Nachtweih in den kleinen Restaurants an der Mittelmeerküste sitzen und Wein trinken und ich sehe ihn mit Franz Beckenbauer - zu jener Zeit bei Olympique Marseille - am Rande eines Spiels unter südlicher Sonne plaudern.

Die Leichtigkeit und Beschwingtheit des Buches geht später ein wenig verloren, als es um Nachtweihs Karriere nach der Karriere geht, um die erfolglosen Versuche, im Trainergeschäft Fuß zu fassen und mit einem Schuhladen in Kaiserslautern Geld zu verdienen (ebenfalls erfolglos), aber dem stets nach vorn blickenden Sonnyboy gelingt es, übergroße Melancholie zu vermeiden. Ein klein wenig "angeklebt" und nachgeschoben wirkt das Kapitel über Nachtweihs Einblick in seine Stasi-Akte - es fügt sich nicht gänzlich organisch in den voherigen Teil, mitunter kommt es zu unnötigen Redundanzen. Aber dafür kommt nochmal Gänsehautfeeling auf, wenn Nachtweih erfahren muss, dass die Stasi offenbar in seiner Wohnung war, Fotos vom Schlafzimmer fertigte - ein in der Wohnung anwesender Hund störte dabei erstaunlicherweise nicht - und Überlegungen zur Verbringung eines "Pakets" in die DDR anstellte. Allerdings fällt gleichzeitig auf, dass die Stasi auf dem Papier weitaus agressiver war als in der Realität. Weder Nachtweih selbst noch ein Mitglied seiner Familie erlitt durch die Flucht tatsächlich größere greifbare Nachteile, Reisen Nachtweihs in den Ostblock (und dortige Familientreffen) verliefen problemlos, materielle Unterstützung aus dem Westen kam in Nachtweihs Heimat Polleben in der Regel an.

Die bei YouTube abrufbare NDR-Doku ist eine schöne Ergänzung zum Buch, gleichzeitig aber leider auch ein Beweis, dass man die Zeit eben nicht zurückdrehen kann. Uli Hoeneß, für den Nachtweih große Sympathien hegt und den er im Buch stets leidenschaftlich verteidigt, kommt in der Doku ausführlich zu Wort. Aber es ist eben nicht mehr der Uli Hoeneß vor dem Haftaufenthalt. Sicher, er lobt, wo er loben muss, er bringt hier und da eine schöne Pointe über Nachtweihs Bayern-Zeit, aber es kommt mechanisch-routiniert, nicht von Herzen, und es wirkt leider nicht authentisch. Allerdings wäre es unfair, eine Besprechung von "Zwischen zwei Welten" mit derart düsteren Gedanken zu beschließen, denn es ist ein großartiges Buch - und ich empfehle dringend, nicht zwischen Nachtweihs und Augenthalers Biographie zu wählen, sondern beide zu lesen. Es lohnt sich!

Norbert Nachtweih/Mathias Liebing: "Zwischen zwei Welten: Meine deutsch-deutsche Fußballgeschichte", Edel Sports

Donnerstag, 17. Oktober 2024

"Auges" Erinnerungen: Viel mehr als eine Biographie

Albrecht Breitschuh hat bereits 2020 mit seinem Buch "Rainer Zobel: Ein Glückskind des Fußballs" (Arete Verlag) eindrucksvoll bewiesen, dass er es versteht, wunderbar atmosphärische, durch und durch "runde" Biographien zu schreiben, Bücher der Sorte, "von der ich sehr gern noch mehr lesen möchte", wie ich damals notiert hatte. Die Erwartungen waren also durchaus hoch, als nun vor einigen Tagen - wiederum im Arete Verlag - Breitschuh neuestes Buch "Klaus Augenthaler: Immer nur rot-weiß gedacht" erschien.

Der Autor, der im Laufe der 264 Seiten erfreulich viel zum Entstehungsprozess des Buches verlauten lässt, drückt gleich zu Beginn jenes Erstaunen aus, das auch mich beim Blick auf etliche Stars der Vergangenheit regelmäßig überkommt: Ja, richtig, es gab bislang keine Biographie über Klaus Augenthaler. Über 400 Spiele für den FC Bayern mit sieben Meisterschaften und drei Pokalsiegen, der Gewinn der Weltmeisterschaft 1990, dazu eine Karriere, die schon begann, als Franz Beckenbauer noch beim FC Bayern spielte, und das gesamte anschließende Jahrzehnt überdauerte - und trotzdem gab es bislang kein Buch, das sich diesem ganz Großen des deutschen Fußballs widmete. Dafür aber gibt es Bücher über Leroy Sané oder Florian Wirtz, die sich - und das ist das eigentlich Absurde - vermutlich auch noch besser verkaufen.

Aber ich will gar nicht klagen, sondern mich freuen. Denn Albrecht Breitschuh ist es nicht nur gelungen, die hohen Erwartungen deutlich zu erfüllen, er liefert auch viel mehr als eine reine Klaus-Augenthaler-Biographie. "Immer nur rot-weiß gedacht" ist obendrein eine wunderbar zu lesende Chronik (vor allem) der 80er Jahre des FC Bayern. Im Buch kommen neben "Auge" etliche weitere Bayern-Akteure aus dieser Zeit zu Wort, etwa Hans Dorfner oder Norbert Nachtweih oder Raimond Aumann - und zwar nicht mit wohlfeilen Lobhudeleien über die Hauptperson des Buches, sondern mit subjektiven Einschätzungen und Meinungen und Innenansichten, die das Buch ungeheuer gehaltvoll machen. Ich hatte schon bei der Besprechung der Markus-Babbel-Biographie darauf hingewiesen, dass viel zu viele Bücher vor klaren Positionierungen inzwischen leider zurückschrecken. Doch für bloße wikipediaartige Geschehensabläufe a la "In der Saison X machte er 30 Spiele und wurde Meister und in der Saison Y 35 Spiele und schoss drei Tore." muss ich kein Buch kaufen. Nein, ich will erfahren, wie das Sujet über jenen Spieler und diesen Trainer denkt, warum er mit dem einen nicht klarkam und dem anderen doch, ob und wieso er einen anderen für überschätzt hielt, wieso das Team in der einen Saison versagte und in der anderen eine Sensation schaffte. Und es ist überhaupt nicht schlimm, dass das, was der Spieler/Trainer sagt, häufig nicht mit dem korrespondiert, was in anderen Büchern steht - denn es geht ja gerade darum, durch die Sammlung vieler verschiedener höchst subjektiver Erinnerungen und Sichtweisen und Bewertungen ein Gesamtbild zu gewinnen.

Ein Beispiel: So vertritt Augenthaler im Buch ganz entschieden die Meinung, dass Trainer Pal Csernai - dessen menschliche Defizite von den meisten seiner Spieler von München bis Frankfurt bestätigt werden - sehr genau wusste, wen er in der Mannschaft an den Pranger stellen konnte (die Jüngeren, die Schwächeren) und wen besser nicht: "Der Paul hat nie etwas zu hören gekriegt, der Kalle auch nicht." Eine Einschätzung, die übrigens auch in dem bitterbösen und in weiten Teilen gar nicht fiktiven Fußball-Roman "Pallmann" von Hans Blickensdörfer vorgenommen wird, in dem sich Trainer Durkovic alias Pal Csernai an den heimlichen Anführer Furtner alias Breitner nie herantraut. Ganz anders allerdings hat Jürgen Wegmann, der später ebenfalls das Trikot des FC Bayern tragen sollte, Csernai 1985/86 in Dortmund erlebt. Der sei, so erzählte er einst dem "Fußball-Magazin", sein bester Trainer gewesen, denn er habe "keine speziellen Lieblinge in der Mannschaft gehabt, sondern alle gleich gut oder schlecht behandelt". Ich finde solche (scheinbaren) Widersprüche hochspannend.

Aber zurück zum Buch: Breitschuh hätte sich darauf beschränken können, Augenthalers Weg zum und beim FC Bayern und in der Nationalelf nachzuzeichnen - und schon das wäre vermutlich ein lesenswertes Buch geworden. Aber indem er sich Saison für Saison vornimmt, auf die jeweilige Ausgangssituation und auch die Neuzugänge eingeht, teilweise Augenthalers Einschätzung zu diesen niederschreibt oder ihre Beziehung skizziert, dies um die Meinungen und Eindrücke seiner anderen Interviewpartner ergänzt, werden Stimmung und Konflikte einer jeden Saison wunderbar spürbar. Über den erbitterten Zweikampf zwischen Jean-Marie Pfaff und Raimond Aumann etwa erfahre ich in "Immer nur rot-weiß gedacht" zehnmal mehr als in Pfaffs eigener Biographie. Auch die Ausführungen, wieso Udo Lattek ein so herausragender Trainer und eine absolut respektierte Autorität war, obwohl das Tagesgeschäft weitgehend von seinem Assistenten Egon Coordes erledigt wurde, oder zu Matthäus, der in seiner Bayern-Zeit nie die oberste Kategorie der Hackordnung erreichte (Norbert Nachtweih: "Wir haben ihm immer gesagt, dein Platz ist in der zweiten Gruppe bei Wohlfarth, Kögl und ein paar anderen, aber nicht bei Klaus, Dieter Hoeneß oder mir.") oder zum vermeintlichem Kult-Schiedsrichter Ahlenfelder (Augenthaler: "Der nervte mich schon wegen seiner Gestik und Mimik, bei ihm hatte ich immer den Eindruck, dass er sich für die wichtigste Person auf dem Platz hielt.") habe ich förmlich verschlungen. Wunderbar finde ich auch, dass im Buch mehr als ein Satz über einen Mann wie Reinhold Mathy verloren wird, der auf Augenthalers Karriere vermutlich keinen größeren Einfluss hatte, aber Mitte der 80er Jahre eben als eines der größten Talente des deutschen Fußballs galt und in einer Bayern-Chronik jener Zeit in der Tat durchaus Erwähnung finden sollte. 

Ein klein wenig zu flapsig für meinen Geschmack führt Breitschuh den oben schon erwähnten Jürgen Wegmann, der 1987 zum FC Bayern wechselte, ein. Nach meiner Erinnerung kam Wegmann keineswegs bereits als "Kobra" nach München, sondern wurde dies erst während seiner beiden Jahre an der Isar. Und mit zweimal 13 Saisontoren für die Münchner, eine Quote, die weder Mark Hughes noch Johnny Ekström oder Alan McInally, Radmilo Mihajlovic und später der Brasilianer Mazinho auch nur ansatzweise erreichten, sollte man Wegmann auch nicht nur auf verbesserungswürdige Grammatik ("Ich bin giftiger wie die giftigste Schlange.") reduzieren. Außerdem, wenn ich schon mal beim Nörgeln bin, hätte ich mir im Buch die Passagen zu den späteren Trainer-Stationen Augenthalers - immerhin fast zwanzig Jahre seines Berufslebens, darunter Zeiten als Co-Trainer des FC Bayern in einer überaus kritischen Phase Anfang der 90er sowie später als Chef in Graz, Nürnberg und Leverkusen - genauso ausführlich und atmosphärisch gewünscht wie jene zu den Spielerjahren, aber hier werden die Jahre deutlich mehr zusammengerafft, wohl auch, weil das Buch sonst vermutlich über 450 Seiten dick geworden wäre (was mich nicht gestört hätte). Last but not least hätte ich gern ein klein wenig mehr zum Thema "Geld" erfahren. Zwar wird das Thema keineswegs ausgespart - sowohl Augenthalers Verdienst in seiner erster Saison (4.000 DM pro Monat) als auch in seinem ersten Meisterjahr (250.000 DM) werden erwähnt. Aber speziell bei Augenthaler, einem Spieler, der zwar nie das ganz große Geld heutiger Bayern-Stars, aber über viele Jahre für damalige Verhältnisse sehr gut verdiente, hätte mich überaus interessiert: Musste er nach Beendigung seiner aktiven Karriere noch als Trainer arbeiten oder hätte er unter finanziellen Aspekten, wenn er es denn gewollt hätte, auch gleich "Privatier" (wie der Boulevard immer euphemistisch über Gerd Müller schrieb) werden können. Es macht ja einen riesigen Unterschied, ob man arbeiten will oder muss. Aber ich weiß aus eigenen Gesprächen mit diversen Ex-Kickern, dass Geld nie ein einfaches Thema ist. Und diese drei Punkte sind auch auch schon alles, was ich am Buch zu bemängeln habe. 

Positiv hervorzuheben ist bei "Immer nur rot-weiß gedacht" demgegenüber schlussendlich noch, dass Breitschuh bei aller Sympathie und Wertschätzung für sein Sujet stets die nötige Distanz wahrt und auch vor kritischen Passagen nicht zurückschreckt. Wenn etwa Hans Dorfner im Buch über "Auge" sagt: "Ich habe mit ihm fünf Jahre zusammengespielt und wir haben in dieser Zeit keine drei Sätze miteinander gesprochen.", dann darf man das ja durchaus auch als eine Beanstandung der Führungsqualitäten des Bayern-Kapitäns und als einen der Gründe einstufen, wieso Dorfner nie so recht heimisch wurde beim FC Bayern und sich ein im Buch erwähnter Brief seines Nürnberger Trainers Heinz Höher als schmerzhaft prophetisch erwies. Auch der Frage, ob Norbert Nachtweih, der Augenthaler während dessen Verletzung in der Saison 1987/88 vertrat, nicht der bessere Libero war, weicht der Autor nicht aus. 

Fazit: Die längst überfällige Biographie Klaus Augenthalers setzt einem der wichtigsten Spieler des FC Bayern der 80er Jahre ein verdientes literarisches Denkmal und ist gleichzeitig ein wunderbares Stimmungsbild jener Zeit. Für Fans der Münchner sollte das Buch ohnehin Pflichtlektüre sein, für alle anderen, die speziell der Fußball in den 80er und 90er Jahren interessiert, ist es ebenfalls absolut lohnenswert. Ganz klare Kaufempfehlung! 

Albrecht Breitschuh: "Klaus Augenthaler: Immer nur rot-weiß gedacht", Arete Verlag

Sonntag, 6. Oktober 2024

Der Sonnenkönig aus Dublin

Der Fußball in Irland steht hierzulande eher selten im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit - was kein Wunder ist, flüchtet doch praktisch jeder Kicker der grünen Insel, der halbwegs talentiert ist, in die englischen Ligen oder zu einem Verein auf dem Festland. Aber nachdem ich durch Giovanni Trapattonis Autobiographie mit der irischen Nationalmannschaft in Berührung gekommen bin, war es nur ein kleiner Schritt zum Buch „Champagne Football“ von Mark Tighe und Paul Rowan. Darin geht es um den langjährigen Fußballfunktionär John Delaney, der von 2005 bis 2019 als Geschäftsführer die Geschicke des irischen Fußballverbandes FIA lenkte. 

Der Buchtitel deutet es bereits an: Hier erwartet uns kein grauer Verwaltungsalltag in schlecht gelüfteten Büros mit Resopaltischen und Kaffe aus Plastikbechern. Obwohl im europäischen Vergleich lediglich Herrscher eines fußballerischen Zwergenstaates, muss man sich John Delaney als eine Art Sonnenkönig aus Dublin vorstellen, als irischen Chuck Blazer: Ein Jahresgehalt von bis zu 416.000 Euro, das einigen seiner Kollegen aus weitaus größeren Verbänden wie Italien und Spanien Tränen des Neids in die Augen getrieben haben dürfte, dazu die Kosten für ein Luxuspartment in Dublin, eine Spesenkreditkarte, die er ausgiebigst molk inklusive üppiger Barabhebungen und Einkäufe in edlen Juwelierläden, Luxusaufenthalte in New York und Dhubai, die sich nur schwer einem dienstlichen Zweck zuordnen ließen, vom Verband gesponserte Geburtstagsfeiern, ebenso auf Verbandskosten geleistete ominöse Zahlungen für "Diensteistungen" an die Ex-Freundin und Geschenke für die seinerzeit aktuelle Dame seines Herzens (übrigens ein Ex-Fotomodell, mit dem Delaney bei offiziellen Terminen wie ein verliebter Teenager wild herumknutschte) - der irische Top-Funktionär hat wirklich nichts ausgelassen. Zu allem Überfluss ließ er sich von willfährigen ehrenamtlichen Vorstandsmitgliedern auch noch mit einem Vertrag der Kategorie "Aktion Abendsonne" ausstatten - bei einem freiwilligen oder erzwungenen Abschied vom Verband hatte er Anspruch auf insgesamt rund drei Millionen Euro Kompensationszahlungen. 

Gestolpert ist Delaney am Ende ironischerweise nicht über einen weiteren Griff in die Kasse, sondern über eine Zahlung an den Verband. Der war nach all den Plündereien so klamm, dass Delaney ihm einen "Überbrückungskredit" von 100.000 Pfund gewähren musste, um eine Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden. Doch als die Geschichte an die Presse lanciert wurde, begann Delaneys Abstieg. Rechnungsprüfer und Politik fragten, wieso ein Verband mit einem zweistelligen Millionenumsatz einen Kredit seines Geschäftsführers brauchte, um flüssig zu bleiben - und wieso kein Verbandsgremium davon wusste. Untersuchungen wurden eingeleitet, Anhörungen anberaumt. Nach und nach kamen all die unappetitlichen Einzelheiten von Delaneys selbstherrlicher Amtsführung ans Licht - wie er immer raffgieriger und dreister wurde, während die Gehälter der anderen Verbandsmitarbeiter (kaum einer machte mehr als 30.000 Euro im Jahr) während der Finanzkrise gekürzt wurden, sich die irischen Fußballfrauen nach Spielen auf Flughafentoiletten umziehen und ihre Klamotten an den Verband zurückgeben mussten und wie Gelder für das Obdachlosennationalteam gekürzt wurden, während Delaney exorbinante Summen allein für Restaurantbesuche in Nähe seines Apartments - ebenfalls ohne erkennbaren dienstlichen Anlass - ausgab. Bemerkenswert ist am Ende eigentlich nur, dass er weder einen Tag im Gefängnis verbrachte noch wirklich nennenswerte Rückzahlungen leisten musste.

Fazit: Wen ein Lehrstück, wie ein Fußballverband zum Selbstbedienungsladen eines raffgierigen Funktionärs verkam, interessiert, der ist mit "Champagne Football" bestens bedient.

Mark Tighe / Paul Rowan: "Champagne Football: John Delaney and the Betrayal of Irish Football: The Inside Story",  Penguin Ireland

Dienstag, 17. September 2024

Unerwartet gut: Meine Überraschung des Jahres!

Ein blindes Huhn findet manchmal eben auch ein Korn: Ich hatte zu Thomas Hitzlspergers im Frühjahr erschienenem Buch "Mutproben" (in der Hörbuchfassung) eigentlich nur gegriffen, weil gerade nichts Besseres zur Hand war. Aber schon nach wenigen Passagen wurde mir klar: Das, was ich hier gerade höre, hat gute Chancen, das Fußballbuch des Jahres 2024 zu werden!

Dabei war meine Vorfreude auf "Mutproben" sehr überschaubar. Sportlich hat mich Hitzlsperger nie übermäßig interessiert. Zum einen teile ich die allgemeine Begeisterung über den englischen Fußball, in dem er einen großen Teil seiner Karriere verbracht hat, kein bißchen - und dazu hatte er seine beste Zeit auch noch in den Jahren vor und nach dem vermeintlichen "Sommermärchen" 2006, einer Phase, die mich ebenfalls nur wenig anspricht. Zum anderen war klar, dass "Mutproben" in weiten Teilen ein Coming-out-Bericht sein würde, nachdem der gebürtige Bayer kurz nach seinem Karriereende als erster Nationalspieler seine Homosexualität öffentlich gemacht hatte. Wie schon mehrfach angemerkt, will ich von den sehr persönlichen Schicksalen der Kicker und Trainer, egal ob schwere Krankheit (Eckstein), Tod eines Kindes (Dieter Müller, Lattek), Missbrauch in der Familie (Legat) oder ein Riesenhaufen Schulden (Immel, Nachtweih, Bock), eigentlich gar nicht allzuviel wissen. Und ich habe auch nie die Neigung verspürt, der leider allgegenwärtigen Homophobie des Fußballs nachzuspüren oder die (häufig heuchlerischen) Diskussionen, ob sich schwule Kicker nun outen sollen oder lieber nicht, zu verfolgen. Es interessierte mich schlicht nicht.

Doch Hitzlsperger schaffte es praktisch gleich mit den ersten Passagen seines Buches, mich in seinen Bann zu ziehen. Die ungeheuer sensible Art, wie er Stimmungen und Schwingungen einfängt - etwa angesichts seiner Reservistenrolle beim Sommermärchen 2006 oder während seiner Kurzleihe nach Rom -, wie er Befindlichkeiten, Sorgen und Ängste in der Kabine oder im Spiel erfühlbar macht, wie atmosphärisch er seinen Wechsel vom FC Bayern zu Aston Villa beschreibt oder wie er sich kritisch und sehr substantiiert mit Rudi Völlers verständnisloser Reaktion auf Marcell Jansens Erleichterung ob des eigenen frühen Karriereendes auseinandersetzt, all das ist hochspannend, hochinformativ und einfach nur großes Kino. 

Nur am Rande: Die Schilderungen, wie sich die beiden "Zeit"-Journalisten Moritz Müller-Wirth und Carolin Emcke gemeinsam mit Hitzlsperger über Jahre behutsam dem Thema Coming-out näherten, wie sie ihm zunächst sogar eher abrieten, Für und Wider gründlich abwogen, ihn auf die Situation vorbereiteten und hart um einzelne Formulierungen des Coming-out-Interviews rangen, zeigen auch eindrucksvoll, dass und wie verantwortungsvoller Journalismus funktionieren kann. Diese Passagen stehen in  bemerkenswertem Kontrast zum kürzlich hier behandelten Boulevard-Revolverhelden Christian Falk ("Inside FC Bayern"), der - so scheint es - für eine gute und vor allem schnelle Story notfalls auch seine Mutter verkaufen würde (siehe Besprechungen hier und hier und hier).

Fairerweise muss man einräumen, dass Hitzlsperger das hohe Anfangstempo - oder sagen wir: die hohe Qualität der ersten Kapitel - nicht über das gesamte Buch durchhält. Immer dann, wenn er sich von den autobiographischen Einschüben und Bezügen und damit eigenem Erleben entfernt und eher abstrakt gesellschaftliche Entwicklungen und Tendenzen analysiert, schwächelt das Buch. Beispielhaft seien hier die Ausführungen zu Colin Kaepernick, Tommie Smith und Predrag Pašić genannt. Alles, was Hitzlsperger zu ihnen schreibt, weiß er aus der Zeitung oder dem Internet. Ich behaupte mal, dass ich als durchschnittlicher Fußballinteressierter und Zeitungsleser sogar besser über den früheren VfB-Stürmer Predrag Pašić informiert bin als er - und ich muss kein Buch kaufen, um nochmal erzählt zu bekommen, was schon vor Jahren in der Süddeutschen oder der Frankfurter Rundschau stand. Ein wenig geärgert habe ich mich auch, weil Hitzlsperger allzu beifallheischend in die wohlfeile Kritik an Luis Rubiales einstimmt. Spaniens damaliger Fußball-Präsident hatte bei der Siegerehrung der Frauen-Fußball-WM in Australien und Neuseeland 2023 die Spielerin Jennifer Hermoso  ungefragt auf den Mund geküsst und so einen weltweiten Shitstorm ausgelöst. Hier hätte gerade für einen Mann mit Hitzlspergers Standing die wunderbare Gelegenheit bestanden, sich nach dem Abflauen der öffentlichen Erregung mal in Ruhe und sachlich über - zwischen gleichen Geschlechtern - völlig normale Verhaltensweisen im Sport Gedanken zu machen und darüber, was wir an diesen Verhaltenweisen ändern müssen, wenn die Beteiligten plötzlich unterschiedlichen Geschlechts sind. Jeder kann bei YouTube Clips anschauen, in denen sich Volleyballspielerinnen gelegentlich einer Auswechslung ausgiebigst den Po tätscheln, in denen sich jubelnde Fußballer (natürlich ungefragt!) auf Stirn, Wange oder Mund küssen oder der Trainer einem Spieler einen aufmunternden Klaps auf den Allerwertesten gibt. Niemand fand das bisher beanstandenswert - und die Frage, was davon eben nicht mehr geht, wenn sich plötzlich ein Funktionär und eine Spielerin (oder umgekehrt) gegenüberstehen, wäre spannend gewesen. Aber die Möglichkeit, diese Frage ernsthaft zu erörtern, vergibt Hitzlsperger leider so leichtfertig wie Frank Mill seine berühmte Chance gegen die Bayern.

Diese kleinen Makel ändern aber nichts daran, dass das Buch eine wirkliche Bereicherung meiner Bibliothek ist, ein kluges, feinsinniges, unerwartet gutes Werk und zweifellos ein Kandidat für das Fußballbuch des Jahres 2024.

Thomas Hitzlsperger/Holger Gertz: "Mutproben", Kiepenheuer & Witsch

Montag, 16. September 2024

Zwei sehr solide Bücher über den "Mister" Giovanni Trapattoni

Wer sich über die einzigartige Karriere des italienischen Erfolgstrainers Giovanni Trapattoni informieren möchte, findet auf dem deutschen (beziehungweise deutsch-österreichischem) Buchmarkt gleich zwei lesenswerte Werke: Bereits 2006 ist im kleinen, aber feinen Wiener Sportbuchverlag egoth das Buch "Trapattoni" von der Journalistin Elisabeth Schlammerl und dem Verleger Egon Theiner erschienen. Zehn Jahre später legte der "Maestro" persönlich dann mit "Ich habe noch nicht fertig!" seine im deutschen Verlag Die Werkstatt veröffentlichte Biographie vor. Es gibt durchaus gute Gründe, sich beide - mit um die 250 Seiten für die Biographie eines solchen Mannes nicht übermäßig dicke - Bücher zu Gemüte zu führen. Die 2016 erschienene Autobiographie hat den offensichtlichen Vorteil, dass sie mit der Zeit Trapattonis als irischer Nationaltrainer und seinen zwei Jahren bei Red Bull Salzburg zwei hochspannende Stationen beinhaltet, die im 2006er Buch von Schlammerl/Theiner naturgemäß noch keine Berücksichtigung finden konnten. Daneben besteht durch die beiden Bücher die Möglichkeit, weitere Kapitel der Karriere des Italieners, die hierzulande auf besondere Aufmerksamkeit stoßen dürften, quasi nebeneinander zu legen: Da sind zum einen die Jahre als Trainer bei Inter Mailand (1986 - 1991), zunächst mit Karl-Heinz Rummenigge, später mit Lothar Matthäus, Andreas Brehme und Jürgen Klinsmann. Dann natürlich die beiden Abschnitte bem FC Bayern München (1994/95 und 1996/98 mit einem Meistertitel und einem Pokalsieg) und das unglückliche Intermezzo beim VfB Stuttgart (2005/06).

Die Autobiographie hat stärkere und schwächere Momente. Manchmal geht der "Mister", wie Trapattoni in Italien genannt wird, mit ein paar lapidaren Worten über ganze Monate hinweg ("Im ersten Jahr gewann ich meinen x-ten nationalen Meistertitel (mit Salzburg - TB)". Und dann wird es wieder sehr atmosphärisch und hochspannend, etwa wenn er im Detail berichtet, wie er 2006 im Urlaub den Tessiner Scout Gerry Gerosa vom FC Basel kennenlernte, über ihn mit der Präsidentin des Klubs ins Gespräch kam und schon ein Vorvertrag für ein Engagement Traps bei dem Schweizer Spitzenklub unterzeichnet wurde, sich die Sache dann aber doch zerschlug und Gerosa den Konakt zu Red Bull Salzburg beziehungsweise dessen Berater, einem gewissen Franz Beckenbauer, herstellte. Das Problem dort: Salzburg hatte mit Lothar Matthäus bereits einen Trainer für die neue Saison. Trapattoni schildert recht genau, wie die Gespräche mit Beckenbauer und Red-Bull-Boss Mateschitz liefen, wie Matthäus ins zweite Glied zurücktreten musste und wie dies kommuniziert (oder besser nicht kommuniziert) wurde. Legt man hier nun noch die diesbezüglichen Erinnerungen von Lothar Matthäus in seiner Autobiographie "Ganz oder gar nicht" daneben, entsteht ein hochinteressantes Bild, wie zufällig und erratisch mitunter Entscheidungen getroffen und Schlüsselpositionen im Fußball besetzt werden. Störend in der Autobiographie sind mitunter die allzu ... nun ja ... zurechtgerückt klingenden Dialoge ("Meiner lieber Kalle, altes Haus!" - redet Trapattoni wirklich so?), die mich zweifeln lassen, wie es um die sonstige Akuratheit der Erinnerungen des Italieners ausschaut.

Da passt es ganz gut, dass mit dem Buch aus Österreich noch ein hier und da vielleicht objektiveres, wenngleich naturgemäß aus größerer Distanz geschriebenes Werk existiert. Das Buch erschien zu Beginn von Trapattonis Salzburg-Abenteuer und kann, was selbiges angeht, nur noch ein paar Fotos und (durchaus treffende) Ausblicke beisteuern. Bei den zurückliegenden Stationen mag man hier und da die österreichische Brille (statt der deutschen) merken - so kommt Karl-Heinz Rummenigge bei Trapattonis Inter-Mailand-Zeit nur in einer dürren Aufzählung vor, die dramatische Niederlage gegen den FC Bayern München (1:3) im Herbst 1988 gar nicht. Aber dennoch ist das Buch eine faire, interessante, sehr schön lesbare, hier und da vielleicht ebenfalls etwas zu knappe Zusammenfassung der beeindruckenden Karriere eines der erfolgreichsten europäischen Vereinstrainer aller Zeiten.

Elisabeth Schlammerl/Egon Theiner: "Trapattoni", egoth Verlag

Giovanni Trapattoni: "Ich habe noch nicht fertig!", Verlag Die Werkstatt

Dienstag, 10. September 2024

Heißer Herbst: Anstehende Neuerscheinungen

Die Welt der Fußballbücher ist schon eine verrückte: Manchmal passiert gefühlt über Monate oder Jahre rein gar nichts Spannendes. Da erscheinen nur schnell heruntergeschriebene, absolut belanglose "Fanbücher" zu irgendwelchen gerade aktuellen Stars (Kane, Mbappé, Musiala etc.), indifferentes Zeug wie "Die 100 besten Spiele/Spieler/Tore/you name it" oder Werke wie "100 Dinge, die Sie über [Verein Ihrer Wahl einsetzen] noch nicht wussten". Bücher wie eine Mahlzeit bei McDonald's: Geht schon mal, die ersten Bissen schmecken auch halbwegs, aber hinterher ärgert man sich. 
 
Und dann gibt es Phasen, da kommen innerhalb weniger Wochen gleich drei Bücher auf den Markt, die allesamt schon seit Jahren auf meiner "Wieso gibt es eigentlich keine Biographie von....?"-Liste stehen. "Dann" ist genau jetzt: Der Herbst dürfte ein hochspannender werden, denn mit Andreas Möller, Norbert Nachtweih und Klaus Augenthaler bringen drei ganz Große der Bundesliga ihre längst überfälligen Erinnerungen auf den Markt. Den Anfang macht Welt- und Europameister Andreas Möller am 25. September 2024 mit "15 Sekunden Wembley" (Dieter Sattler, Verlag Die Werkstatt). Ein paar Tage später, am 1. Oktober 2024, folgt dann Bayern-Legende Klaus Augenthaler mit "Immer nur rot-weiß gedacht" (Albrecht Breitschuh, Arete Verlag). Und am 5. Oktober 2025 erscheint Norbert Nachtweihs "Zwischen zwei Welten: Meine deutsch-deutsche Fußballgeschichte" (Mathias Liebing, Edel Sports). 

Ich persönlich freue mich auf Buch Nr. 3 am meisten, weil Ex-DDR-Juniorennationalspieler Nachtweih mit seiner abenteuerlichen Republik-Flucht während einer Türkeireise, der Zeit bei der Eintracht, den großen Jahren beim FC Bayern - so um 1988 galt er als bester Libero Deutschlands, besser als der seinerzeit verletzte Augenthaler - und schließlich dem Karriereausklang beim AS Cannes und in Mannheim mutmaßlich die spannendsten Geschichten zu bieten hat. Er hat Jupp Heynckes in seiner frühen Trainerphase erlebt und gehört zu den wenigen Spielern, die nicht gut auf ihn zu sprechen sind. Zuvor hat er unter Alt-Meister Udo Lattek trainiert. Wenn er ein guter Erzähler ist (beziehungsweise es seinem Ghostwriter gelungen ist, die entsprechenden Stories aus ihm herauszuziehen), dann sollten uns hier interessante Erinnerungen erwarten. Leider hat Nachtweih wie etliche andere Bundesligastars den größten Teil seines Vermögens mit Bauherrenmodellen verbrannt, weshalb wir wohl auch mit dem einen oder anderen deprimierenden Kapitel rechnen müssen.  

Bei Augenthaler bin ich gespannt, wieviel Raum er neben seiner großen Karriere als Spieler und langjähriger Kapitän des FC Bayern seinen Jahren als Co-Trainer in München und als Trainer unter anderem in Graz und Leverkusen widmet. Und Andreas Möller, Ende der 80er Jahre neben Olaf Thon die größe Hoffnung des deutschen Fußballs, gehört zu den wenigen Spielern, die sowohl Welt- als auch Europameister wurden, er war Nationalspieler unter Franz Beckenbauer und Berti Vogts, hat sowohl für Schalke als auch Dortmund gespielt und zudem eine Weile im Ausland - auch der Mann sollte verdammt viel zu berichten haben. Kurz und gut: Der Herbst kann kommen!

Andreas Möller: "15 Sekunden Wembley", Verlag Die Werkstatt

Klaus Augenthaler: "Immer nur rot-weiß gedacht", Arete Verlag

Norbert Nachtweih: "Zwischen zwei Welten - Meine deutsch-deutsche Fußballgeschichte", Edel Sports

Update 19. September 2024: Da waren es nur noch zwei! Ich habe gerade den Hinweis bekommen, dass das Andreas-Möller-Buch nun erst im Herbst 2025 erscheinen wird. Schade, aber Klaus Augenthaler und Norbert Nachtweih sind ja noch im Rennen. Und das erste Rezensionsexemplar ist heute schon eingegangen. Demnächst erscheint hier die Besprechung von Norbert Nachtweihs Biographie "Zwischen zwei Welten".