Freitag, 24. Oktober 2025

Wilde Achterbahn-Fahrt mit Thomas Schaaf

Den Spieler Thomas Schaaf hatte ich in der Schublade "Fußballerische Dutzendgesichter" abgelegt. Ein fleißiger, aber unauffälliger Arbeiter - und dann auch noch einer im Trikot von Werder Bremen, und zwar ausgerechnet jenem Team der Rehhagel-Ära, das meinen Bayern in meiner ersten richtigen Saison (1987/88) den Titel wegschnappte. Später, als Schaaf an gleicher Wirkungsstätte als Trainer agierte, sah ich das mit der Meisterschaft 1988 und auch vieles andere im Verhältnis der beiden Klubs längst etwas differenzierter. Aber allzu intensiv verfolgte ich seinen Weg gleichwohl nicht - und entsprechend zurückhaltend klappte ich nun seine von Daniel Cottäus verfasste Biographie (Verlag Die Werkstatt) auf. Nur um höchst angenehm überrascht zu werden. Denn Cottäus findet im Buch von Beginn an einen wunderbar atmosphärischen und gleichzeitig lockerleichten Ton, der den Leser sofort einfängt. Ich erlebe mit, wie Schaaf als C-Jugend-Spieler Wolfgang Rolff begegnet, einem späteren langjährigen Bundesliga-Kollegen und Weggefährten. Ich bin dabei, wenn beide mit A-Jugend-Nationaltrainer Dietrich Weise ins ferne Wolgograd reisen und vorher strenge Benimmregeln ("Keine Jeans!") erhalten. Schaafs Kindheit in den 1970er Jahren, die Stimmung jener Zeit - das alles wird überaus lebendig. Angesichts von noch über 300 vor mir liegenden Seiten wuchs meine Vorfreude mit jedem Umblättern. 
 
Aber dann - wie bei einer Achterbahn-Fahrt, wo man sich gerade noch auf dem Weg nach oben wähnt und unvermittelt wieder abwärts rast -  kommen die Kapitel über Schaafs Jahre in Werders Profiteam. Und die fallen in meinen Augen etwas enttäuschend aus. Ich hatte das Gefühl, dass ich zu wenig Neues erfahre, es mitunter zu durcheinander und - gemessen daran, dass Cottäus weit über dreißig Stunden mit Schaaf zusammensaß - zu wenig ins Detail geht. Beim zweiten Lesen habe ich dann gemerkt, dass es auch hier sehr wohl wunderschöne Anekdoten und Innenansichten gibt, etwa über Gastspiele des Teams in Tokio, Gehaltsverhandlungen in griechischen Restaurants oder eine 24-Stunden-Anreise nach Moskau, die Schaaf über Wilna nicht etwa in die russische Hauptstadt, sondern an den Abflugort Bremen zurückbringt. Aber in meiner Erinnerung bleibt vor allem, dass das Buch häufig genau dort, wo eine Positionierung des Insiders Schaaf nahegelegen hätte, schweigt: Wie veränderte sich das Verhältnis Otto Rehhagels zur Klubführung, zu Manager Willi Lemke und zur Mannschaft in seinen letzten Monaten in Bremen? Wie standen sich 1993 der egozentrische Neuzugang Mario Basler und der Rest des Teams gegenüber? Welche Rolle spielte Trainer-Gattin Beate Rehhagel im Klub? Hinzu kommt, dass sich Cottäus mitunter einen unnötigen Ausflug über den Spielfeldrand hinaus gönnt, etwa wenn allzu breit die sattsam bekannte Geschichte von Günter Schabowskis Mauerfall-Pressekonferenz noch einmal erzählt wird. Und manchmal wartet man auf etwas, etwa das zweite "Wunder von der Weser" - Werders legendärer 5:0-Sieg gegen den BFC Dynamo im Europapokal 1988 nach einem 0:3 im Hinspiel -, das dann erst im Jahr darauf erzählt wird. Inzwischen blätterte ich die Seiten einigermaßen missmutig um. 

Doch mit einem Mal geht es auf der Achterbahn wieder steil bergauf: Denn nun kommen die Jahre Schaafs als Nachwuchs- und Cheftrainer, und es ist, als hätte man einen Schalter umgelegt. Plötzlich geht wieder alles: Einblicke, Analysen, Atmosphäre vom Feinsten. Schaafs Erinnerungen bringen - jedenfalls für mich  - die erste differenzierende Betrachtung der Amtszeit von Aad de Mos in Bremen und dazu herrliche Ankekdoten, etwa wenn de Moos am Montag zum Familienvater Schaaf meint: "Pass auf, du musst am Donnerstag zu einer Spielerboeobachtung nach Brasilien fliegen." Es gibt hochspannende Schilderungen, wie Schaafs Samstag nach einem Spiel (zumal nach einem verlorenen) und der anschließende Sonntag aussehen. Wir kehren zurück in eine Zeit, in der Jounalisten den Bremer Chefcoach unter seiner Privatnummer anriefen, öfter mal seine Frau dran war ("Der Thomas saugt gerade sein Auto aus. Er ruft Sie zurück.") und Schaafs Äußerungen später ohne jegliche Autorisierung in Druck gingen. Heute ist so etwas undenkbar. Wir erfahren, wie Schaafs Spieler Torsten Frings ob eines vermeintlich perfekten Transfers nach Italien schon einen Mietvertrag für ein Haus in Turin unterschrieb, um dann doch nicht zu wechseln, und wie die Medien nach Schaafs Ende in Bremen dem Coach eine Flucht in sein "Ferienhaus in Salzburg" unterstellten, obwohl es ein solches Domizil nie gab. Auch Schaafs eher unglückliche Auswärtsspiele, die beiden Trainerstationen in Frankfurt und Hannover, werden zwar kurz, aber in meinen Augen hervorragend beschrieben.

Am Ende dieser Achterbahnfahrt war ich vollumfänglich versöhnt und hochzufrieden mit einer Biographie, die meine Sammlung von Büchern über Werder Bremen und seine Protagonisten (Rehhagel, Lemke, Fischer, Ailton, Borowka, Legat, Klose) wahrhaft bereichert. Klare Kaufempfehlung!

Daniel Cottäus: "Thomas Schaaf: Die Biographie", Verlag Die Werkstatt

Mittwoch, 8. Oktober 2025

Das "fuma": Eine kostbare Perle der Fußballromantik

Wir haben es an anderer Stelle schon wiederholt besprochen: Was Fußballzeitschriften angeht, haben wir es in Deutschland gar nicht so schlecht. Mit dem "kicker", der "Sport-Bild", "11Freunde" und dem Frauenfußballmagazin "FFußball" gibt es gefühlt für jeden Geschmack etwas. Und doch denke ich sehr oft und mit viel Wehmut an ein Heft, das in der Spätphase der Fußballromantik ab Mitte der 1980er Jahre seine Blütezeit erlebte und mehr oder weniger mit dem Bosman-Urteil vor knapp 30 Jahren wieder vom Markt verschwand. Die Rede ist vom legendären "Fußball-Magazin" (Eigenschreibweise: "fußball-magazin") aus dem Hause "kicker". In Ergänzung seines seriösen, manchmal als etwas trocken wahrgenommenen und auf das wochenaktuelle Geschehen fokussierten Flaggschiffs, seinerzeit noch mit schwarz-weißem Innenteil, brachte der Nürnberger Olympia-Verlag ab 1977 ein knallbuntes Magazin mit markigen Schlagzeilen ("Den Jüngsten beißen die Hunde") auf den Markt. Das "fuma" sollte die Menschen zeigen, die sich hinter der Fassade prominenter Fußballer und Trainer verbargen. Bundesligastars öffneten ihre Häuser und Wohnungen für Homestories, stellten ihre Autos vor, beantworteten im Rahmen der Aktion "Fragen Sie Ihren Star!" Leserfragen oder gaben ausführliche Interviews, die - ganz im Geist der damaligen Zeit - wesentlich offener und unverblümter ausfielen, als es heute auch nur ansatzweise denkbar wäre. Charakteristisch für das "fuma" war dabei stets ein wohlwollender, positiver Blick auf die Bundesliga und ihre Protagonisten - nie wurde ein Spieler bloßgestellt, nie sein Unglück ausgeschlachtet, nie ein privater Fehltritt zum Skandal aufgeblasen. Im Gegenteil, Akteure, die durch Verletzungen oder Formkrisen gebeutelt waren oder die das Leben anderweitig herumgeschubst hatte, erhielten im "fuma" die Gelegenheit, über ihr Seelenleben zu sprechen und sich für einen Neuanfang in Stellung zu bringen. Allerdings war das Magazin bei allem Wohlwollen keineswegs zahnlos oder blauäugig. Das miese Geschäft mit Bauherrenmodellen oder kommerzielle Fehlentwicklungen im Fußball wurden angeprangert und Vereine, Spieler und Trainer durchaus auch kritisiert, aber eben nie von oben herab, nie ehrverletzend. Die Macher hatten auch keine Scheu, vermeintlich heiße Eisen anzufassen. So gab es im Dezember 1987 beispielsweise eine Titelstory über Toni Schumacher und Uli Stein ("Torhüter, die in ihr Verderben stürzten"), Norbert Nachtweih wurde im März 1989 unter der Schlagzeile "So erlosch meine Liebe zu den Bayern" porträtiert und Andreas Brehme verkündete im August 1990: "Heute lache ich Hoeneß aus".

Zu den besonderen Highlights eines jeden Hefts gehörten für mich stets die auf fast schon rührende Weise bemühten Fotos und Überschriften. So saß Souleymane Sane (der Vater von Leroy und der weitaus interessantere der Sanes) im Dezember-Heft 1987 vor einem riesigen Stück Torte mit Sahne - und unter der Überschrift: "...aber bitte mit Sa(h)ne". Ex-Bayer und Neu-Hamburger Armin Eck wurde im September 1989 als "Ein Eck ohne Ecken" vorgestellt, "Kobra" Wegmann warnte im gleichen Heft "Hütet Euch vor meinem Biß!" und ein Bericht über einen eskalierten Streit zwischen Thomas von Heesen und seinem Berater Holger Klemme erhielt die Schlagzeile "Als Thommy in der Klemme steckte". Gerade die Homestories  des "fuma" machen in der Rückschau auch eines sehr schön deutlich: Die Kicker in den 1980er Jahren waren ungeachtet der schon damals verbreiteten Kritik an ihren vermeintlich zu hohen Gehältern von der heutigen Entrücktheit etlicher Profis, von Goldsteaks und Wochenendtrips zur Pariser Fashion Week so weit entfernt wie vom Mond. Beispiel gefällig?

In der Märzausgabe 1991 erschien im "fuma" ein Artikel über den Düsseldorfer Libero Ralf Loose mit mehreren Fotos aus dem privaten Bereich des Kickers. Bei der Aufnahme links (Bildzitat/ © 1991 fuma/Wende) lautete die Beschreibung: "Frühstücke wie ein König!". Nun schauen wir uns das Foto mal etwas genauer an: Loose und seine Frau sitzen in offensichtlich beengten Verhältnissen an einem kleinen Ikea-Tisch. Darauf sieht man zwei Platzdeckchen, zwei Frühstücksteller und zwei Kaffeetassen, augenscheinlich leer. Außerdem eine angefangene Packung Brot in Plastikfolie aus dem Supermarkt sowie je ein Glas Marmelade und Honig, beides ebenfalls Massenprodukte vom Discounter. Oh ja, eine wahrhaft königliche Mahlzeit...

Ein weiteres Markenzeichen des Heftes - und das habe ich ganz ohne Augenzwinkern geliebt - waren die Legionärsreportagen. Das "fuma" besuchte frühere Bundesligastars, die es ins Ausland gezogen hatte, und zeigte, wie die Kicker in ihrer neuen Heimat lebten und arbeiteten. Gerd Müller in Fort Lauderdale, Hansi Müller in Innsbruck, Harald Kohr in Zürich, Dieter Schatzschneider in Graz, Toni Schumacher in Istanbul, Dieter Müller in Bordeaux und so weiter und so fort. Das fand man damals in dieser Form in keiner anderen Zeitschrift.

Leider gab es offensichtlich nicht genug Leser (und vor allem nicht genug Anzeigenkäufer - siehe dazu das Interview mit Harald Kaiser unten), die das "fuma" in gleicher Weise  verehrten wie ich. Im Frühjahr 1991 wurde die monatliche Erscheinungsweise beendet. Künftig kam das Heft nur noch zweimal pro Jahr, wobei ein roter Faden und ein klares Konzept jedenfalls für mich nicht mehr so recht erkennbar waren. Bis 1996 dümpelte das "fuma" dann mit irgendwie halbherzigen Hin- beziehungsweise Rückrundenbilanzen vor sich hin, ehe es gänzlich aus den Regalen verschwand. Heute kann man mit etwas Glück ältere Ausgaben des Magazins bei Ebay, Kleinanzeigen oder auf einer anderen Plattform für einen fairen Preis bekommen. Um es sich anschließend mit einer Tasse Kakao auf dem Sofa bequem zu machen und in die Zeit der Fußballromantik einzutauchen. 
 
Die passende Einstimmung darauf gibt es hier:

"Wenn wir die 100.000 überschritten haben,
haben wir gefeiert!"

Interview mit dem langjährigen "fuma"-Redakteur Harald Kaiser

Harald Kaiser war ab 1980 knapp vierzig Jahre als Redakteur für den "kicker" tätig – mit einem mehrjährigen Abstecher zum "fußball-magazin". Heute arbeitet er als Autor und freier Schriftsteller und hat unter anderem die 2023 im Verlag Die Werkstatt erschienene Felix-Magath-Biographie "Gegensätzliches" sowie zuletzt ein Buch über die ewige Rivalität zwischen dem 1. FC Nürnberg und Greuther Fürth ("Das fränkische Lokalderby", ars vivendi Verlag) verfasst. Das Fußballbücher-Magazin sprach mit ihm über seine Zeit beim "fuma".

Herr Kaiser, Sie haben die Hochphase des "fußball-magazin" in der zweiten Hälfte der 80er Jahre in verantwortlicher Position miterlebt und mitgestaltet. Wie war die Arbeit organisiert?

Solange das "fußball-magazin" in einem zweimonatlichen Turnus erschien, war Wolfgang Rothenburger der alleinige Redakteur des Heftes. Die Beiträge stammten von ihm, von "kicker"-Redakteuren oder freien Mitarbeitern. Nach der Umstellung auf eine monatliche Arbeitsweise war der Arbeitsaufwand von einem Redakteur allein nicht mehr zu bewältigen. Der Verlag stellte Wolfgang Rothenburger – nacheinander – zunächst zwei externe Kollegen zur Seite, mit denen er sich aber nicht so gut verstand. Schließlich wurde ich gefragt, ob ich die Aufgabe übernehmen möchte.

Mussten Sie lange über das Angebot nachdenken? 

Ja, es war durchaus eine schwere Entscheidung für mich. Als Redakteur hatte ich beim "kicker" seinerzeit den FC Bayern München betreut. Im deutschen Fußball gab es damals und gibt es auch heute keine größere Aufgabe für einen Journalisten. Der Verlag ist mir aber in den Verhandlungen sehr entgegengekommen. Ich durfte Woche für Woche ein Bundesligaspiel meiner Wahl im süddeutschen Raum besuchen, ich durfte zu sämtlichen Länderspielen in Deutschland fahren und auch zu sämtlichen großen Turnieren wie Europa- und Weltmeisterschaften. Ab 1. Juli 1986 habe ich parallel für "kicker" und "fußball-magazin" gearbeitet, ab 1988 dann ausschließlich für das "fußball-magazin", auch wenn ich noch gelegentlich Interviews für den "kicker" gemacht habe.

Wie eng waren die Redaktionen von "kicker" und "fußball-magazin" in inhaltlicher und organisatorischer Hinsicht verbunden?

Beim "fußball-magazin" gab es, wie gesagt, Wolfgang Rothenburger als Chef und mich als Redakteur, später kam dann noch ein weiterer Redakteur hinzu. Wir waren bei der Themenfindung völlig autark und im Haus auch räumlich von den Redakteuren des "kicker" getrennt. Aber natürlich gab es ganz normale kollegiale Kontakte zu den anderen Mitarbeitern. Wir sind auch samstags oft gemeinsam zu den Spielen gefahren.

Ich habe beim Lesen älterer Ausgaben mitunter den Eindruck, dass ein Spieler, der beispielsweise im "kicker" in einem größeren Artikel vorkam, wenig später gern auch im "fußball-magazin" Gegenstand eines Beitrages war. Gab es eine solche Art von gezielter "Nachnutzung"?

Nein, ich kann insbesondere ausschließen, dass ein Termin doppelt ausgeschlachtet wurde. Aber wie gesagt haben etliche "kicker"-Redakteure Artikel für das Magazin verfasst – und natürlich haben sie dafür ihre bereits bestehenden Kontakte genutzt.

Charakteristisch für das "fußball-magazin" war der stets väterlich-wohlwollende und positive Blick auf einzelne Spieler und die Vorstellung des Menschen hinter dem Fußballer. Um so mehr ist mir ein eher galliger Artikel des späteren "Sport-Bild"-Redakteurs Ulrich Kühne-Hellmessen über den 1986 geflüchteten Dresdner Stürmer Frank Lippmann im Gedächtnis geblieben. Dieser habe offenbar "keine Lust zum Sichquälen, keinen Willen zum Engagement", ihm sei "der gelbe Krankenschein lieber als die blauen Flecken am Bein". Nach seiner Flucht in den Westen habe er sich vor allem mit Luxusartikeln und Statussymbolen eingedeckt.  Wurde seinerzeit in der Redaktion über derartige Ausreißer diskutiert?

Ich habe mir den Artikel noch einmal angesehen und muss Ihnen, was Ihre Einschätzung angeht, durchaus recht geben. Allerdings kann mich an kein Gespräch mit dem Uli Kühne-Hellmessen über diesen Beitrag erinnern oder daran, dass das bei uns irgendwie ein Thema war. Frank Lippmann hat ja später gesagt, dass seine Karriere nach seiner schweren Verletzung im Grunde vorbei war. Vielleicht hat Uli das damals im Gespräch schon irgendwie gespürt und ja letztlich recht behalten.

Sie haben fast 40 Jahre beim "kicker" beziehungsweise zwischendurch für das "fußball-magazin" gearbeitet und in dieser Zeit etliche Weggefährten gehabt, die in gleicher Weise wie Sie feste Größen des deutschen Fußballjournalismus sind oder waren: Frank Lußem, Carlo Wild, der bereits erwähnte Ulrich Kühne-Hellmessen…

Frank Lußem und ich haben 1980 gemeinsam beim "kicker" begonnen – wir waren damals die ersten Volontäre, die der Verlag eingestellt hat. Er hat dann in der West-Redaktion, die damals in Remscheid angesiedelt war, gearbeitet. Natürlich haben wir uns dann jenseits der zweimal jährlich stattfindenden Ranglistenkonferenzen des "kicker", wenn alle Redakteure für zwei Tage nach Nürnberg kamen, nicht mehr so oft gesehen. Aber zum Beispiel waren wir zusammen beim für den Ausgang der Meisterschaft entscheidenden Spiel des 1. FC Köln gegen den FC Bayern im Mai 1989 (1:3). Carlo Wild hingegen hat in der Nürnberger Redaktion gearbeitet, er ist ein guter Freund von mir, auch heute noch. Mit dem Uli Kühne-Hellmessen habe ich mich damals ebenfalls sehr gut verstanden, aber wie das immer ist im Berufsleben: Wenn einer weiterzieht, verliert man sich ein Stück weit aus den Augen. Wir haben uns aber auch, als er zur "Sport-Bild" gewechselt ist, noch ab und zu gesehen, bei den großen Turnieren, bei der EM 1988 zum Beispiel oder der WM 1990.

Für mich als Leser waren die Stories über deutsche Legionäre – Schuster in Barcelona, Förster in Marseille, Klinsmann in Mailand – immer die Highlights eines Hefts. Waren die entsprechenden Auslandsdienstreisen entsprechend begehrte Aufgaben innerhalb der Redaktion mit einem Erstzugriffsrecht der Chefs?

Nein, überhaupt nicht. Das hat sich ganz klar danach gerichtet, wer zu dem ins Ausland gewechselten Spieler früher in der Bundesliga den besten Kontakt hatte. So habe ich beispielsweise Artikel über Lothar Matthäus und Andreas Brehme in Mailand gemacht, da ich sie aus ihrer Münchner Zeit kannte. Aber es macht ja gar keinen Sinn, wenn ich zum Bernd Schuster nach Barcelona fliege, obwohl ich den überhaupt nicht kenne und gar keinen Draht zu ihm habe. Und Wolfgang Rothenburger als Chef hat sich ganz sicher nicht um Auslandsdienstreisen gerissen. Er stand damals ja auch schon kurz vor der Pensionierung.

Wie intensiv haben Sie als Redakteur damals die Auflagenentwicklung des "fußball-magazin" verfolgt?

Sehr intensiv, das war ja das mit das Interessanteste. Wir haben natürlich immer geschaut, wie die Verkäufe waren. Wenn wir die 100.000-Marke mal überschritten haben, was durchaus einige Male vorkam, dann haben wir gefeiert. Es gab bestimmt drei bis vier Ausgaben pro Jahr, bei denen wir im sechsstelligen Bereich landeten. Heute sind solche Zahlen utopisch.

Weshalb wurde der Erscheinungsturnus des "fußball-magazin" ab 1991 sukzessive vergrößert, bis es schließlich 1996 ganz eingestellt wurde?

Das hatte mit der Auflage nichts zu tun, sondern allein mit den Anzeigenverkäufen. Die Leute, die die Anzeigen für das "fußball-magazin" verkauft haben, haben dies auch für den "kicker" getan. Da sie teilweise auf Provisionsbasis gearbeitet haben, war es für sie natürlich attraktiver, Anzeigen für den auflagenstärkeren "kicker" zu verkaufen. Sie haben dann oft erst am Ende eines Gesprächs erwähnt, dass es da auch noch ein monatlich erscheinendes Heft gibt. Dass wir nie jemanden hatten, der exklusiv nur für unser Heft Anzeigen verkauft hat, war in meinen Augen der größte Fehler. Ich selbst bin 1993 zurück zum "kicker" gegangen.

Einige Jahre zuvor, im Frühjahr 1989, war mit "Sport-Bild" ein Konkurrenzblatt lanciert worden. Wie war Ihr Blick auf die "Sport-Bild"?

Ulrich Kühne-Hellmessen, über den wir hier ja schon gesprochen haben, ist damals zur "Sport-Bild" gewechselt. Ich hatte seinerzeit auch ein Angebot und hätte dort weitaus mehr verdienen können, habe mich aber dafür entschieden, beim "kicker" zu bleiben. Natürlich war die "Sport-Bild" mittwochs damals für uns Pflichtlektüre. Und sicher haben wir uns manchmal bei dem Gedanken ertappt: "Diese Geschichte hätten wir eigentlich auch haben können." Weitaus öfter aber war mein Gedanke: "Gut, dass ich da nicht arbeite."

Und wie war es bei dem Magazin "11Freunde", das reichlich zehn Jahre später auf den Markt kam?

Als Monatszeitschrift bewegte sich "11Freunde" ja in einer ganz anderen Sphäre als der "kicker". Anders als bei "Sport-Bild" dachte ich damals öfters: "Super gemacht!" Aber das Heft war in keiner Weise eine Konkurrenz zum "kicker".

Herr Kaiser, herzlichen Dank für das Gespräch!

(Das Interview führte Tim Bender.)

Freitag, 3. Oktober 2025

Andy Möller: Starke Szenen, aber ein zu schnelles Ende

Auf die Biographie von Andreas Möller hatte ich mich sehr gefreut. So sehr, dass ich beim Verlag ein volles Jahr vor dem Erscheingstermin nach einem Besprechungsexemplar fragte. Über einen wie ihn musste es einfach ein Buch geben. Man findet nur wenige deutsche Fußballer mit einer ähnlichen Erfolgsbilanz: Weltmeister 1990, Europameister 1996, Champions-League-Sieger, UEFA-Pokal-Sieger, Deutscher Meister, DFB-Pokal-Sieger - und das sind nur die wichtigsten Titel. Möller galt Mitte der 1980er Jahre als eines der größten Talente des deutschen Fußballs und stand folgerichtig schon bald auf der berüchtigten "Schwarzen Liste" der Bundesliga. Und praktisch jeder einzelne seiner späteren Transfers innerhalb Deutschlands (zwei Stationen in Frankfurt, zwei in Dortmund, eine bei Schalke 04) sowie ins Ausland (Juventus Turin) war umstritten und Gegenstand hitziger Diskussionen. Da sollte es einiges zu erzählen geben. Tja, und da die Zeit zwar mitunter langsam, aber eben doch vergeht, war das Jahr irgendwann rum: Im September kam "Andy Möller: 15 Sekunden Wembley" (Verlag Die Werkstatt) endlich auf den Markt.

Die Kollegen vom Magazin "11Freunde" waren nach der Lektüre allerdings nur mäßig begeistert. "Etwas oberflächlich" sei das Werk, mäkelte Florian Nussdorfer im letzten Heft, "nicht viel mehr als Floskeln" habe Autor Dieter Sattler aus seinem Sujet herausgeholt. Das kann ich indes überhaupt nicht bestätigen. "15 Sekunden Wembley" ist ein unter vielerlei Aspekten lesenswertes und hochinformatives Buch. Gleichzeitig bietet es eine schöne Gelegenheit, einmal darüber nachzudenken, was gelungene von weniger gelungenen Biographien unterscheidet. Wer über die Karriere eines Fußballers schreibt, wird nicht umhinkommen, ein paar wikipediaartige Informationen aufzunehmen: X spielte hier und dort, schoss dieses und jenes Tor, feierte solche und solche Erfolge. Aber dafür brauchte man schon in der Vergangenheit nicht unbedingt ein Buch - und inzwischen kann ich mir diese Daten in wenigen Sekunden von einer passablen KI-Anwendung in Prosaform zusammenstellen lassen. Was also sollte eine Biographie darüber hinaus leisten? Meines Erachtens sollte sie exklusive Innenansichten bieten, persönliche Wertungen, subjektive Versionen streitiger Sachverhalte, Einschätzungen über Mitspieler und Trainer - und/oder eine wirklich tiefgehende Persönlichkeitsstudie, wie sie beispielsweise Mathias Schneider mit "Löw: Die Biographie" gelungen ist.

Und wenn ich mir jetzt mit diesem Maßstab mal das Andy-Möller-Buch vornehme, ist ohne Wenn und Aber zu konstatieren: Die Innenansichten, Versionen und Wertungen bekomme ich hier sehr wohl. So gab es beispielsweise bislang nicht allzu viele - nach meiner Kenntnis null - Plädoyers pro Klaus Gerster. Anfangs Jugendtrainer und später persönlicher Berater Möllers, teilweise aber gleichzeitig auch Manager des jeweiligen Vereins - da waren Konflikte vorprogrammiert. In der seinerzeitigen Berichterstattung kam der "Schwarze Abt" in der Regel schlecht weg, als windiger Geschäftemacher und gewissenloser Profiteur des naiven Jungstars. Für mich war es hochspannend, nun einmal Möllers deutlich wohlwollendere Version zu lesen. Auch seine Ausführungen etwa über sein Verhältnis zu Torwart Uli Stein oder über das arrogante Auftreten des Noch-Spielers und Managers in spe Wolfgang Kraus bei Eintracht Frankfurt, sein erstaunlich kühler Blick auf seinen frühen Förderer Berti Vogts, die Umstände seines "Treueschwurs" in Dortmund 1989, seine Version des obskuren Optionsvertrages mit Juventus Turin oder die Begründung, warum er bei Borussia nicht unter dem Jungtrainer Matthias Sammer spiele wollte - all das sind Informationen, die mir so keine KI liefert und die eine Biographie wertvoll machen. Das heißt wohlgemerkt nicht, dass ich alles, was ich hier lese, zwingend für unumstößlich und vollständig halte - aber es ist eben Möllers persönlicher Blick auf die Dinge, der für ein Gesamtbild unerlässlich ist. Und, ja, hier und da gibt es sicherlich Lücken. So hätte mich zum Beispiel schon interessiert, ob sich Möller - wie damals berichtet wurde - zur Erfüllung der Juventus-Optionsklausel aus dem Vertrag mit Eintracht Frankfurt "herauskaufen" musste. Seinerzeit war von fünf Millionen DM die Rede - auch für einen fürstlich entlohnten Bundesligastar  Anfang der 90er Jahre eine riesige Summe. Und es ist ein klein wenig schade, dass es im Buch zwar ein eigenes Kapitel "Die Schwalbe" zum deshalb berühmt gewordenen Spiel Dortmund - KSC (2:1) im Jahr 1995 gibt, aber Möllers preisverdächtige Wortschöpfung "Schutzschwalbe" kein einziges Mal vorkommt. Nur wenige Menschen können für sich in Anspruch nehmen, den deutschen Sprachschatz bereichert zu haben - und dann auch noch mit einem so wunderschönen Begriff, der eigentlich nur aus dem Mund eines Juristen hätte kommen können. Ich jedenfalls muss immer breit grinsen, wenn ich ihn lese oder höre - und hätte mich gefreut, wenn es im Buch dazu eine Erläuterung gegeben hätte. Aber das sind eher Feinheiten und Geschmacksfragen.

Allerdings hielt "15 Sekunden Wembley" auch für mich eine kleine echte Enttäuschung parat - und zwar ganz am Ende. Denn Andy Möller blickt ja nicht nur auf eine großartige Karriere als Spieler zurück, sondern auch auf einige Jahre als Trainer. Die waren vielleicht nicht so glamourös, aber mit Sicherheit hochinteressant, gerade aus Sicht eines Spielers, der einst zu den ganz Großen gehörte. Möller stand als Chef in der Ober- und in der Regionalliga an der Seitenlinie und war zwei Jahre Co-Trainer der ungarischen Nationalmannschaft. Und vor allem über letzteres hätte ich nur zu gern etwas gelesen. Wie kam er zu dem Job? Wie war es für den einstigen Ballzauberer, unter seinem ehemaligen Teamkameraden, dem biederen Arbeiter und "Wasserträger" Bernd Storck, zu arbeiten? Was verdient man als Co-Trainer Ungarns? Ist das ein Full-Time-Job? Wie sah sein Arbeitsalltag aus? Hat Möller in dieser Zeit in Budapest gewohnt oder ist er immer nur anlassabhängig eingeflogen? Ja, es hätte viel zu erzählen gegeben - aber Dieter Sattler handelt diese ebenso wie alle anderen Trainerstationen Möllers in insgesamt fünf dürren Sätzen im Epilog ab. Das nenne ich eine vergebene Chance.

Aber Sattler und Möller hatten zuvor so viele starke Szenen im Spiel, pardon, im Buch, dass ich "15 Sekunden Wembley" gleichwohl uneingeschränkt empfehle. Gerade im Regal jener, die mehr oder weniger mit den Weltmeistern von 1990 erwachsen und älter geworden sind, sollte es nicht fehlen.

Dieter Sattler: "Andeas Möller: 15 Sekunden Wembley", Verlag Die Werkstatt

Montag, 29. September 2025

Wunderschöner Dachbodenfund: Reiner Calmund in Mexiko

(KM) Hier ist wieder mal ein überaus leckerer Snack für zwischendurch: Weit über zwanzig Jahre alt, im Buchhandel längst vergriffen, aber auf einschlägigen Plattformen für kleines Geld zu haben - und einfach nur wunderbare Unterhaltung: "Gefährlicher Strafraum: Die Geschichte eines Transfers" von Jürgen von Einem (KS Verlag). Der gelernte Journalist und langjährige Sportbeauftragte des Bayer-Konzerns von Einem verarbeitet in dieser bitterbösen Satire seine enge Zusammenarbeit mit Reiner Calmund, der im Buch in Form des nachnamenlosen Bundesliga-Managers Reinhold (Leitsatz: "Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.") ein literarisches Denkmal erhält. Begleitet von dem Lebenskünstler-Journalisten Carlos, der als Stichwortgeber dient, fliegt Reinhold nach Mexiko-City, um den Transfer des begnadeten Stürmertalents Jaime Ortiz perfekt zu machen. 

Die Reise, die im Flugzeug nach Miami mit einem Upgrade in die Erste Klasse optimal beginnt, wird zu einer herrlichen Abfolge opulenter Mahlzeiten, feuchtfröhlicher Abende, hartleibiger Verhandlungen mit rauhbeinigen Präsidenten und traumhafter Momente der Entspannung im Sonnenuntergang von Acapulco. Geführt von einem landeskundigen deutschen Expatriate lernen Reinhold und Carlos das schöne und zugleich höchst zwielichtige Mexiko kennen. Der mit allen Wassern gewaschene Manager besucht das Objekt seiner Begierde in dessen Wohnung - mit Geschenken für die Kinder unter dem Arm - und den Präsidenten des (scheinbar gar nicht) verkaufswilligen Vereins in dessen feudaler Villa im noblen Viertel Pedregal. Nicht alles läuft so, wie Reinhold es sich gedacht hat, aber darauf kommt es gar nicht an. Denn hier ist ganz klar der Weg das Ziel.

Jürgen von Einem erweist sich zum einen als intimer Kenner Mexikos - was die auf den ersten Blick ungewöhnliche Ortsverlagerung erklärt; bekanntermaßen war Reiner Calmund vorzugsweise in Brasilien unterwegs - und zum anderen als überaus genauer Beobachter. Egal ob es um Gated Communities, die Rolle der Presse, das Fußball-Business im WM-Gastgeberland von 1986, den Umgang mit der Polizei, das organisierte (und das weniger organisierte) Verbrechen oder einheimische Spezialitäten zum Frühstück, Mittag- und Abendessen geht - hier weiß jemand, worüber er schreibt. Am interessantesten waren für mich die Verhandlungen, die Reinhold mit dem mexikanischen Klubboss und dessen Vorstandskollegen führt, weil sie bei aller Überspitzung tief blicken lassen, wie sich derartige Szenen in der Realität abspielen oder zumindest seinerzeit abgespielt haben. Etwas verwundert hat mich, dass Jürgen von Einem mit diesem Buch bei einem so kleinen Verlag gelandet ist. Zwar liest sich das Buch hier und da für einen Journalisten etwas sperrig und ungelenk - etwa, wenn Reinhold "den letzten Sandwich" verspeist -, aber dennoch hätte es seinerzeit ohne Weiteres ins Programm der Großen der Branche gepasst. Es ist ein herrlicher (und informativer) Lesespass für zwischendurch, den ich mit großer Freude weiterempfehle.

 Jürgen von Einem: "Gefährlicher Strafraum: Die Geschichte eines Transfers", KS Verlag

Freitag, 19. September 2025

Keinen Cent! Eine Erwiderung auf "Wir verdienen mehr!"

Die ehemalige Torhüterin des FC Bayern München, Kathrin Längert, hat - nach eigenem Bekunden "mit viel Wut im Bauch" - ein Buch über Frauen im Profifußball geschrieben: "Wir verdienen mehr!" (Verlag Die Werkstatt). Es ist eine emotionale Streitschrift. Nach der Lektüre hatte wiederum ich ordentlich Wut im Bauch und dachte: "Na gut - Streit kannst Du haben!" Schon lange hatte mich kein Buch mehr derart aufgebracht. Das letzte war - Achtung, nichts aus dem Fußball - "Komm doch mal" von Joy Delima. Die niederländische Schauspielerin berichtet darin über ihr reichlich verkorkstes (Sex-)Leben, an dem selbstredend immer nur die anderen, vorzugsweise die Männer, schuld sind, Bereitschaft, für das eigene Leben Verantwortung zu übernehmen? Fehlanzeige. Vermutlich habe ich hier Parallelen gesehen - und wahrscheinlich liegen hier auch die Gründe für meinen Ärger. Ein befreundeter Journalist hatte mir Längerts Buch mit den Worten "Es geht nur ums Fett!" gegeben. Das stimmt - und vor allem eine Tatsache zieht sich wie ein roter Faden durch Kathrin Längerts Streitschrift: Sie möchte - ohne eigenes wirtschaftliches Risiko - fremdes Geld ausgeben. Geld, das zuvor andere verdienen mussten.
 
Der Frauenfußball kann cool und wunderbar sein, wenn und soweit er - das erkennt auch Längert an - die Fehlentwicklungen des Männerfußballs vermeidet. Er ist nahbar, er ist zugänglich, er ist gewaltfrei und familienfreundlich, er ist erschwinglich und oft genug macht es einfach nur Freude, ihn zu erleben. Peinlich und unangenehm wird es meist dann, wenn Frauen im Fußball versuchen, ihre männlichen Pendants zu kopieren. Zu den nervigeren Parts des Männerfußballs gehört beispielsweise der Jubel nach einem Tor: Einstudierter Torjubel, Signature-Torjubel, Torjubel, den man hinterher erst mal allen erklären muss. Und was musste ich bei der Frauen-WM 2023 in Australien lesen: "Alexandra Popp erklärt ihren Torjubel". So etwas lege ich gleich zum Altpapier.

Aber zurück zum Buch: Natürlich hat Kathrin Längert mit vielem recht. Frauen haben - gerade in der Anfangszeit des Sports - so einiges an Benachteiligungen und Demütigungen und purem Sexismus erfahren und erleiden müssen. Witze über die Freuden des Trikottauschs bei Frauen tauchten seinerzeit ohne jegliches schlechtes Gewissen in den Sportzeitungen auf, und über das berühmte Kaffeeservice des DFB wollen wir an dieser Stelle gar nicht reden. Aber der Frauenfußball ist inzwischen auf einem wirklich vielversprechenden Weg. Es gibt extrem spannende Projekte wie das des FC Viktoria Berlin. In immer mehr Ländern entstehende starke Frauen-Ligen. Immer mehr hochkarätige Investoren stecken ihr Geld ganz gezielt in den Frauenfußball. In Kanada ist seit einigen Monaten eine Frauen-Profi-Liga (Northern Super League) am Start, die den Spielerinnen ein höheres Grundgehalt garantiert als ihr Pendant den Männern (Canadian Premier League). In Deutschland gibt es ein Magazin nur für den Frauenfußball. Das alles sind Entwicklungen, die jedenfalls bei mir pure Freude auslösen. Aber über all diese zart und vielversprechend sprießenden Pflanzen fährt Kathrin Längert mit einer Dampfwalze und tritt gefühlt in jedes Fettnäpfchen der Frauen-und-Fußball-Diskussion, das auf dem Weg herumsteht. 
 
Schauen wir es uns mal an:

1. Der "ekelhafte sexuelle Übergriff"

Ich habe vor Lektüre des Buches eine Wette mit mir selbst abgeschlossen - und gewonnen: Ja, natürlich thematisiert Kathrin Längert das Verhalten des spanischen Fußballfunktionärs Luis Rubiales, der bei der WM 2023 während der Siegerehrung die Spielerin Jennifer Hermoso auf den Mund küsste. Und natürlich ist es auch nach Sichtweise von Frau Längert ein "sexueller Übergriff" und ein "ekelhaftes Verhalten". Es fehlte eigentlich nur noch der in der damaligen Diskussion gängige Hinweis, dass Rubiales dafür "ins Gefängnis" gehöre. Mal eine Einordnung aus Juristensicht: Als Ersttäter kann ich in Deutschland jemanden ziemlich brutal zusammenschlagen, durchaus auch mit bleibenden Schäden, ohne deshalb ins Gefängnis zu müssen. Aber für einen Kuss schon? Zumal das, was Rubiales (im Überschwang des Siegesjubels nach einem WM-Finale!) getan hat, im Sport - jedenfalls unter Beteiligten gleichen Geschlechts - seit Jahrzehnten zum normalen, gängigen und vollumfänglich akzeptierten Verhalten gehört.
 
Jeder kann bei YouTube Clips anschauen, in denen sich Volleyballspielerinnen gelegentlich einer Auswechslung so ausgiebig den Po tätscheln, dass der Film in den USA vermutlich eine Altersfreigabe bräuchte. Man sieht, wie sich jubelnde Fußballer (natürlich ungefragt!) auf Stirn, Wange oder Mund küssen oder der Trainer einem Kicker einen aufmunternden Klaps auf den Allerwertesten gibt. Niemand fand das bisher beanstandenswert - und die Frage, was davon eben nicht mehr geht, wenn sich plötzlich unterschiedliche Geschlechter, also ein Funktionär und eine Spielerin (oder umgekehrt) gegenüberstehen, ist ja wirklich spannend. Aber bitte eine Diskussion ohne Hysterie und ohne Scheinheiligkeit. Denn offenbar gelten die strengen Anforderungen nicht immer und für jeden. DFB-Trainer Christian Wück hat bei der EM 2025 Torhüterin Ann-Katrin Berger nach dem gewonnenen Elfmeterschießen im Viertelfinale gegen Frankreich innigst umarmt. Ich bezweifele, dass er vorher erst noch schnell gefragt hat, ob sie damit einverstanden ist. Vorwürfe, dass es sich hier um einen ungebührlichen sexuellen Übergriff handelt, waren hinterher nicht zu vernehmen.

2. Der Fußball als Existenzgrundlage

Kathrin Längert beklagt mit bitteren Worten, dass sie als Spielerin nicht in der Lage war, von ihrem Job als Fußballerin zu leben. Sie verlange "eine Entlohnung, die es [den Spielerinnen] erlaubt, ihrem Sport professionell nachzugehen, ohne von Existenzängsten geplagt zu sein, und die es ihnen ermöglicht, geringe Summen für eine Altersvorsorge und/oder eine berufliche Qualifizierung nach der Fußballkarriere beiseitezulegen." Schließlich sei ihr genau das in "einer kapitalistischen Gesellschaft versprochen" worden: "Dass nämlich harte Arbeit und beruflicher Erfolg unweigerlich zu persönlichem Wohlstand und gesellschaftlicher Anerkennung führen."

Der Wunsch ist verständlich, aber töricht, die Begründung purer Unsinn. Natürlich wünscht und gönnt man es jedem Menschen, dass er seinen Lebensunterhalt mit seiner größten Leidenschaft verdienen kann. Was gibt es Schöneres? Aber das setzt eben voraus, dass diese Leidenschaft geeignet ist, entsprechende Einnahmen zu generieren. Jeder Verfasser romantischer Gedichte kennt das Problem. Auch die fünffache Weltmeisterin in Rythmischer Sportgymnastik oder der Europameister im Kugelstoßen würden gern von ihrem Sport leben. Aber sie tun und können es nicht, weil es - man darf es bedauern - nicht genügend Menschen gibt, die sich für diesen Sport interessieren. Und die Formel "Harte Arbeit = Wohlstand" ist nun wirklich rührend. Kathrin Längert sollte mal die Krankenschwester oder den Altenpfleger ihres Vertrauens fragen, wie es um deren Wohlstand bestellt ist. Mir würden noch etliche weitere Berufsgruppen einfallen, die hier weit vor den Fußballerinnen zum Zuge kommen müssten.

3. Höhere Gehälter für Frauen

Zunächst nähert sich Kathrin Längert dem Thema einigermaßen vorsichtig. Ja, sie spreche zwar von "equal pay", aber damit sei ja keineswegs gemeint, dass Frauen "dieselben schwindelerregenden Beträge [...] bekommen wie die Männer."  Vielmehr solle es nur um eine angemessene Entlohnung gehen. Weiter hinten im  Buch klingt das schon etwas offensiver: "Wir wollen unseren gerechtfertigten Platz am Tisch und unseren Teil des Kuchens. Warum sollten wir zehn oder 20 Prozent akzeptieren, wenn 50 Prozent gerecht sind?" Das Dumme ist nur: Es geht nicht um "ihren" Teil des Kuchens, sondern um den Kuchen anderer, um das Geld, das andere zuvor schwer verdienen mussten. 
 
Zur Einordnung: Die Männermannschaft des VfL Bochum hatte in der Saison 2024/25 rund 430.000 Zuschauer. Die Frauen-Bundesliga hatte im gleichen Jahr 355.000. Ein einziger Männerklub - und obendrein die "graue Maus" aus dem Ruhrgebiet - lockt also mehr Fans an als die gesamte Frauenliga! Der Umsatz der Männer-Bundesliga lag 2022/23 bei 3,80 Milliarden Euro. Der der Frauen bei 25 Millionen. Das sind weniger als 0,7 Prozent! Folglich können auch die Gehälter der Spielerinnen nur weniger als 0,7 Prozent jener der Männer betragen. Denn wie jedes Geschäft kann auch der Frauenfußball nur das Geld ausgeben, das zuvor verdient wurde. In den USA sind zwei Frauenprofi-Ligen - die Women's United Soccer Association (WUSA) und die Women's Professional Soccer (WPS) - an genau dieser Herausforderung gescheitert und in die Insolvenz gerutscht. Deren Spielerinnen standen anschließend auf der Straße. Das weiß natürlich auch Kathrin Längert. Und kommt zu dem Schluss, dass Frauen deshalb mit Geld bezahlt werden sollten, das durch andere verdient wurde. Ohne lästige Gedanken, ob sich etwas rechnet, ohne eigenes Risiko. Klingt zunächst hier und da noch Bitterkeit an, weil Fernsehsender nicht gegen jede wirtschaftliche Vernunft für Frauenspiele Summen zahlen wollen, die sie nie durch Webung refinanzieren können, lässt Längert schließlich die Katze aus dem Sack: Die höheren Gehälter der Frauen sollten doch bitteschön durch die Männer finanziert werden. Diese müssten eben "auf Privilegien verzichten", wie es bei ihr heißt: "Brauchen die Männer wirklich 400.000 Euro Prämie für einen Europameistertitel?" Brauchen sie vermutlich nicht. Aber wenn sie etwas davon abgeben sollen, wieso nicht erst einmal an die Krankenschwester und den Altenpfleger (siehe oben)? 
 
Nein, die Frauen verdienen, was sie verdienen - und keinen Cent mehr! Soll heißen: Das Geld muss erstmal durch sie selbst eingespielt werden - durch Ticketverkäufe, Sponsoring, Fernseheinnahmen, Trikots. Und wie es dann verteilt wird, wieviel in die Infrastruktur, in den Nachwuchs und in die Gehälter geht, das ist normaler Streit wie bei den Männern, der ausgefochten werden muss. Und wenn, das ist ja bei der derzeitigen Entwicklung nicht ausgeschlossen, irgendwann einmal die Einnahmen und Gehälter der Frauen jene der Männer weit übersteigen, dann wäre das wunderbar - und niemand käme auf die Idee, ihnen vorzuschlagen, dass sie den Männern etwas abgeben müssten.

So, meine Wut ist erstmal raus. Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass Kathrin Längert eigentlich einen ganz guten Job gemacht hat. Denn ein Buch, das wütend macht und an dem man sich reibt, das Reaktionen provoziert und zu Diskussionen einlädt, ist nicht das schlechteste. Insofern habe ich mich über "Wir verdienen mehr!" trotz meines Ärgers sehr gefreut und empfehle es gern weiter.

Kathrin Längert: "Wir verdienen mehr!", Werkstatt Verlag

Donnerstag, 11. September 2025

Der neue Falk: Leider das bessere Transfermarkt-Buch

Stammleser unseres Magazins wissen: Christian Falk, einst "Sport-Bild"-Chefreporter und selbsternannter Bayern-Insider, inzwischen zum Sport-Chef der "Bild"-Gruppe aufgestiegen, ist in meinen Augen nicht das sympathischste Exemplar unter den deutschen Sportjournalisten. Allzu selbstgefällig präsentierte er sich in seinen beiden ersten Büchern über seine Zeit als Bayern-Reporter (Besprechungen siehe hier und hier und hier). Missen möchte ich die beiden Werke indes trotzdem nicht, vermitteln sie doch wunderbare Einblicke in den Alltag eines Boulevard-Sportjournalisten, die Arbeit der "Sport-Bild"-Redaktion und  Falks Interaktionen mit Funktionären und Spielern des FC Bayern.

Nun ist mit "Transfer-Insider: Die Geheimnisse hinter den Millionendeals" das dritte Buch des Journalisten erschienen. Nachdem wir hier vor kurzem Max Ropers Debüt "Deadline Day: Warum der Transfermarkt uns Fußball-Fans so fesselt" besprochen haben, stellt sich Falk mit seinem mehr oder weniger dem gleichen Thema gewidmeten Buch dem direkten Vergleich. Und - es schmerzt, aber Ehre, wem Ehre gebührt - er gewinnt dieses Duell leider deutlich.  Das liegt in erster Linie daran, dass "Transfer-Insider" exakt das liefert, was ich bei "Deadline Day" vermisst habe: Nähe zu den Protagonisten und zum Geschehen. Hier sitze ich mit am Tisch, wenn Hasan Salihamidžić mit Real Madrids Sportdirektor José Ángel Sánchez über einen Wechsel des Marokkaners Achraf Hakimi verhandelt und geduldig beobachtet, wie es der Spanier mit dem ältesten Trick der Welt versucht ("Das kann ich nicht allein entscheiden. Dafür muss ich den Präsidenten anrufen.") So hat Brian Clough schon vor 50 Jahren Transferverhandlungen geführt. Ich bin dabei, wenn  Bayerns Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen mit dem Chef der Tottenham Hotspurs, Daniel Levy, im noblen Londoner "Arts Club" oder im Fünf-Sterne-Luxushotel "The Berkeley" um Harry Kane feilscht und sich später am Telefon des allzu dreisten Nachkoberns des Tottenham-Bosses erwehren muss. Genau diese Gespräche und Verhandlungen sind es, die den Transfermarkt in meinen Augen so faszinierend machen. 

Aber der Reihe nach. "Transfer-Insider" startet nämlich keineswegs furios, sondern wenig vielversprechend mit einem öligen Grußwort von Philipp Lahm. Die auffällige Nähe Falks zum ehemaligen Kapitän des FC Bayern und der Nationalelf hat uns hier schon an anderer Stelle beschäftigt. Vermutlich würden es die beiden dem Grunde nach sogar unterschreiben, wenn ich sage, dass sich hier zwei aalglatte Karrieristen gefunden haben. Das macht die einleitenden Worte Lahms im Buch aber keineswegs sympathischer. In erster Linie sind sie eine nicht im üblichen Duktus des einstigen Verteidigers verfasste unangenehme Lobhudelei auf den Autor: "Ich kenne ihn aus analogen Zeiten, und seine Texte werden heute noch regelmäßig gedruckt. Seit Jahren checkt er zudem als 'Mr. True', wer beim FC Bayern und andernorts kommt und geht, welcher Trainer fliegt und wer auf ihn folgen wird. Er muss gute Kontakte haben – ich schätze, seine Trefferquote liegt nicht wesentlich unter 100 Prozent."

Aber gut, so viele Grußworte, in denen man kritische Worte über den Autor liest, gibt es dann auch wieder nicht. Also Augen zu und durch. Als nächstes stellt Falk den italienischen Journalisten Fabrizio Romano als Begründer und Guru des Transfer-Journalismus vor, nach meinem Eindruck aber in erster Linie, um sich mit einem geschickten Spiel über Bande - ein englischer Journalist ruft an, weil er eine Story über Romano und ihn, Falk, machen will - in der gleichen Liga der Insider einzuordnen. Seufz! Was dann folgt, ist indes eine wirklich spannende, lesenswerte Abfolge von illustrativen Transferanekdoten und Fragebogenantworten bekannter Transferinsider - von Romano bis Florian Plettenberg. Was das Buch für mich zusätzlich reizvoll macht, ist seine FC-Bayern-Lastigkeit. Denn natürlich berichtet Falk in erster Linie aus dem Biotop, in dem er zu Hause ist. Es geht um Enthüllungen hier und Falschmeldungen dort, die Wahrheit hinter diesem und jenem Transfer beziehungsweise diesem und jenem Transfergerücht. Auch das mochte ich: Falk widmet sich Wechseln, die nie stattgefunden haben, aber eben angedacht waren oder sogar bereits verhandelt wurden, dann aber gescheitert sind: Ronaldo und der FC Bayern, Haaland und der FC Bayern, Bellingham und der FC Bayern und so weiter. Ich finde so etwas hochspannend.

Nebenbei wird einem beim Lesen auch klar, wie ungeschickt der FC Bayern in den vergangenen Jahren auf dem Transfermarkt agiert und so sein berühmtes Festgeldkonto mutmaßlich arg dezimiert hat. Da sind gar nicht nur die großen sportlichen Fehlentscheidungen wie der 50-Millionen-Euro-Mann João Palhinha, für den der neue Trainer Vincent Kompany keine Verwendung hatte. Sondern eben auch Transfers wie der von Harry Kane, der sportlich zweifellos wertvoll, aber mit 100 Millionen Euro ein Jahr vor Vertragsende auch verdammt teuer war, wohingegen Spieler aus dem eigenen Kader oft erstaunlich günstig abgegeben wurden, siehe etwa Mathys Tel (45 Millionen statt der angestrebten 60 Millionen). 

Gleichzeitig machen Falks Beispiele aber auch sehr schön deutlich, wie schnelllebig und unvorhersehbar und - siehe Woltemade - teils hysterisch der Transfermarkt ist: Im oben genanten Fall des Marokkaners Achraf Hakimi wollte Reals Maddrid unverschämt erscheinende 70 Millionen Euro Ablöse - der FC Bayern aber keinesfalls mehr als 45 Millionen zahlen. Der Deal platzte, die Königlichen hatten sich verzockt und ließen den Spieler kurz darauf für 43 Millionen zu Inter Mailand ziehen. Den Italienern aber wiederum gelang es, Hakimi nur ein Jahr später an Paris Saint-Germain zu verkaufen - für satte 68 Millionen Euro. Und keiner weiß, ob die Marktwertentwicklung ähnlich verlaufen wäre, wenn der Verteidiger bei Real geblieben oder zu Bayern München gewechselt wäre. Auch das macht die große Faszination des Transfermarktes aus, und Falk versteht es, diese Geschichten zu erzählen.

Zu mäkeln habe ich natürlich auch, aber gemessen daran, dass wir über ein Buch von Christian Falk sprechen, erstaunlich wenig. Als überflüssig und unnötig habe ich bei den Fragebögen die Rubrik "Wer sind für Sie die drei größten Fußballer aller Zeiten?" empfunden. Denn das hat mit dem eigentlichen Geschäft und vor allem der Expertise der Transfer-Insider rein gar nichts zu tun - hier sind sie Fans wie du und ich und im Grunde genauso unbedarft. Bei der Rubrik "Meine bittersten Falschmeldungen" nennen sowohl Falk als auch die von ihm befragten Kollegen bevorzugt Beispiele, die "eigentlich" ja gar keine Falschmeldungen waren, aber so richtig verdenken kann man ihnen das auch nicht. Und natürlich frage ich mich bei den geschilderten Dialogen mitunter, woher der Autor wissen will, was Hasan Salihamidžić wortwörtlich zu Thiago ob dessen Wechselabsicht nach Liverpool gesagt hat. Aber ein paar stilistische Freiheiten würde ich Falk im Interesse des Leseflusses hier schon zugestehen wollen. Beim abschließenden Verzeichnis der Spielerberater, das sich aufgrund der vielen Querverweise zwar etwas sperrig liest, aber aus gleichem Grund auch hochinformativ ist, fiel mir das Fehlen von Vizeweltmeister Karlheinz Förster auf, der als Spielerberater immerhin in einen spektakulären Rechtsstreit verwickelt war. Aber Falk sagt ja selbst, dass das Verzeichnis keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt - und irgendeiner wird immer fehlen.

Kurz und gut: Sympathisch ist mir Christian Falk immer noch nicht, aber auch sein drittes Buch lohnt sich. Klare Empfehlung!

Christian Falk: "Transfer-Insider: Die Geheimnisse hinter den Millionendeals", Riva Verlag

Samstag, 30. August 2025

Philipp Köster und die Zukunft der Fußball-Printmagazine

(KL) Der Streaming-Dienst DAZN produzierte im Jahr 2020 anlässlich des 100jährigen Jubiläums des "Kicker" eine vierteilige Serie über das Nürnberger Sportmagazin. Darin kamen neben diversen Protagonisten aus dem Fußball-Business - von Matthias Sammer über Jürgen Klopp bis Uli Hoeneß - erfreulicherweise auch die unmittelbaren Konkurrenten des Blattes zu Wort, für "Sport-Bild" der damalige Chefredakteur Matthias Brüggelmann und für "11Freunde" Gründer und Chef Philipp Köster. Letzterer hatte eine klare Meinung zur Zukunft seiner Branche: In zehn Jahren, so Köster, werde es "keines dieser [Fußball]-Printmagazine mehr geben", teilte er mit. Er sei überzeugt, dass "die Zukunft des 'Kicker' nur im Digitalen [liege] und nicht im Print." Vermutlich werden ihm da nur wenige seiner Mitstreiter widersprechen. In der DAZN-Serie stieß auch der damalige "Kicker"-Chef Jörg Jakob mehr oder weniger ins gleiche Horn: Der bisherige analoge Vertriebsweg, eine Information auf Papier zu drucken, dieses zu verpacken, ins Auto zu laden und durch die Landschaft zu fahren, sei zweifellos endlich. Wer sich die Auflagenentwicklung des Heftes anschaut, wer beobachtet, wie es zunehmend schwieriger wird, selbst in größeren Städten am Erscheinungstag ein Printexemplar zu bekommen - aus den meisten Supermarktregalen ist der "Kicker" längst verschwunden, an kleineren Bahnhöfen findet man montags häufig noch die Ausgabe vom letzten Donnerstag und Zeitschriftenläden haben immer öfter nur noch ein oder zwei Verlegenheitsexemplare -, der wird nicht umhinkommen, sich dieser Einschätzung anzuschließen, wenn auch schweren Herzens.

Ich hätte es allerdings bevorzugt, wenn Philipp Köster etwas weniger vergnügt gewesen wäre bei seiner Prognose. Denn er benennt zwar das Problem, das sämtliche Sportmagazine, auch sein eigenes, haben beziehungsweise über kurz oder lang haben werden. Doch leider hat keiner der Anbieter eine wirklich passende Lösung parat, um das digitale Lesen dem analogen gleichzustellen. Bis heute fehlt es hierfür insbesondere an einem geeigneten Device. Hinzu kommen ein paar andere Unzulänglichkeiten, die sich die Verlage derzeit noch leisten. Nachdem Köster den gedruckten Sportmagazinen bereits 2020 (nur) noch ein Jahrzehnt gab, bleiben also womöglich gerade mal noch fünf Jahre, um die heutigen Print-Titel in eine "Digital-only"-Welt zu überführen. Und da ist noch einiges an Hausaufgaben zu erledigen.
 
Hier sind meine drei zwingenden Anforderungen an die Lektüre eines der derzeitigen Printausgabe ebenbürtigen digitalen Sportmagazins:
 
1. Ein klassisches Magazin, kein Portal
 
Auch wenn es irgendwann mal keine Printausgabe von "11Freunde", "Sport-Bild" oder "Kicker" mehr geben sollte, die digital abgebildet wird, möchte ich meine Informationen zwingend in Magazinform und in einer Datei erhalten, also eine in sich geschlossene, fertige und unveränderliche Ausgabe mit einem festen Erscheinungstag, mit einer Titelseite und einem Inhaltsverzeichnis, einer festen Seitenzahl und sämtlichen Artikeln im Volltext. Ich will kein News- oder Social-Media-Portal mit bloßen Linksammlungen, die ich jeweils mühsam einzeln anklicken muss.

Transfermarkt beispielsweise ist (nur) ein solches Portal. Da gibt es früh drei, vier News, am späten Vormittag vier weitere, dann kommen nach dem Mittag wieder welche und abends vielleicht auch noch ein paar. Das ermöglicht natürlich eine weitaus aktuellere Berichterstattung, keine Frage. Aber es ist kein Ersatz für ein Sportmagazin - und ich habe weder Zeit noch Lust, permanent auf der Transfermarkt-Seite unterwegs zu sein, um nach etwaigen Neuigkeiten Ausschau zu halten, mich mit grauseliger Werbung zumüllen zu lassen und mir einen steifen Zeigefinger einzuhandeln, weil ich immerzu irgendwelche Links anklicken muss.
 
2. Uneingeschränkte Offline-Verfügbarkeit
 
Das digitale Magazin muss zwingend auch offline verfügbar, also downloadbar sein. "11Freunde" und "Sport-Bild" sind in digitaler Form als PDF erhältlich - das ist immerhin etwas, wenngleich mit den bekannten Nachteilen einer PDF-Datei (u.a. keine Formatanpassung an das jeweilige Device). Die digitale Ausgabe des "Kicker" hingegen ist mit einem Kicker+-Abo nur online über die Kicker-Homepage verfügbar - und das ist ein absolutes No-go! 
 
Zum einen will ich mein Sportmagazin auch dann ungestört lesen können, wenn ich im Zug von Berlin nach Hamburg sitze und gerade durchs mecklenburgische Niemandsland ohne Mobilfunkempfang fahre. Ich möchte eine digitale Ausgabe, die ich bezahlt habe, auch "besitzen" und nicht Gefahr laufen, dass der spektakuläre Aufmacher über - sagen wir - den Woltemade-Transfer zwei Stunden nach Veröffentlichung klammheimlich zurückgezogen wird, weil das Magazin eine einstweilige Verfügung kassiert hat. Vor allem aber möchte ich mein Sportmagazin unbeobachtet lesen können. Ich will nicht, dass irgendjemand in irgendeinem Verlagshaus jeden meiner Mausklicks protokollieren und genauestens tracken kann, welche Artikel ich wann wie lange über welche IP-Adresse lese, welche Beiträge ich einfach überspringe, mittels welcher Stichwörter ich in einer Ausgabe nach bestimmten Informationen suche und so weiter. Kurz: Ich will kein gläserner Leser sein.
 
3.  Ein geeignetes Device

Damit kommen wir schon zur dritten, der schwierigsten und derzeit technisch leider noch nicht erfüllbaren Anforderung - dem passenden Device. 

Ich will das Sportmagazin meiner Wahl so wie bisher überall lesen - in der Straßenbahn, in der Badewanne, im Bett, auf dem Klo oder am Meer. Damit scheiden Laptops oder gar PCs schon mal aus. Eine Zeitschrift auf dem Smartphone zu lesen ist ein schlechter Witz. Und die derzeit erhältlichen Tablets sind entweder zu klein oder zu schwer (zum Teil 1,5 kg!), zu dick und zu unhandlich. Zudem genügt ein Tablet nicht meinen sonstigen Bedarfen, wenn ich beruflich unterwegs bin - das heißt, ich brauche so oder so ein Notebook. Dann will ich aber nicht zusätzlich noch ein großes Tablet mitschleppen müssen. Und, nein, ein Convertible ist hier auch keine Lösung, die Dinger sind zu komplex und deshalb zu anfällig. Außerdem muss das Device zum Lesen eines Sportmagazins ein Gebrauchsgegenstand sein, kein Wertgegenstand, also kein Tablet mit einem drei- oder womöglich gar vierstelligen Preis. Ich will es am Strand nutzen können, ohne ständig Angst zu haben, dass es in den Sand fällt oder nass wird, ich will es im Zug, wenn ich zur Toilette gehe, auch einfach mal liegenlassen können und so weiter. Also ein Device, das nicht permanent wie ein Schatz bewacht werden muss und jederzeit zu ersetzen ist. Last but not least: Ich verbringe sowieso zuviel Zeit am Bildschirm, hätte also gern etwas Augenschonendes. Deshalb würde ich einen E-Ink-Reader bevorzugen, natürlich einen mit Farbanzeige.

Vor einigen Jahren gab es nach meiner Erinnerung mal Experimente mit hauchdünnen, faltbaren Tablets, die Zeitungspapier nachempfunden waren. Leider scheint das in eine Sackgasse geführt zu haben, jedenfalls war zuletzt nichts mehr davon zu hören. Aber in meinen Augen ist das nach wie vor der einzig denkbare Weg in die Zukunft: Ein sehr dünnes (5 mm), sehr leichtes (250 g), faltbares E-Ink-Device mit Farbdisplay, das um die 50 Euro kostet und aufgeklappt eine reguläre "Kicker"-Seite gut darstellt (also 16 oder gar 17 Zoll). Er verfügt über eine integrierte Drahtlosverbindung wie der Kindle von Amazon, über die ich am Erscheingstag pünktlich und automatisch die neueste Ausgabe des Sportmagazins meiner Wahl bekomme. Einmal auf dem Gerät, ist das Heft "meins" und mir uneingeschränkt zugänglich, auch ohne Internetverbindung.

Wenn, ja - wenn diese drei Bedingungen vollständig erfüllt werden, könnte ich mir vorstellen, Fußballmagazine (nur noch) digital zu lesen. Die auf Printausgaben gerichteten Produktions- und Vertriebsprozesse könnten dann entfallen, die Verlage erhebliche Kosten sparen und sich so fit für die Zukunft machen. Aber bis dahin ist es wie gesagt noch ein weiter Weg - und fünf Jahre gehen schnell vorbei. 
 
Also, liebe Blattmacher in Nürnberg ("Kicker") und Berlin ("Sport-Bild", "11Freunde"): Haltet Euch ran! Und bis Ihr soweit seid, bleibe ich bei der Printausgabe.

Montag, 25. August 2025

Deadline Day: Das Begleitbuch zu Transfermarkt.de

Schon mehrere Autoren haben sich an einem Buch über den für Fußballfans wohl spannendsten Marktplatz der Welt versucht. Da ist Alan Gernons "The Transfer Market: The Inside Stories" oder "Done Deal: An Insider's Guide to Football Contracts, Multi-Million Pound Transfers and Premier League Big Business" von Daniel Geey oder auch Jim Whites "Deadline Day: The Inside Story Of Football’s Transfer Window". Allerdings hat mich keines dieser Bücher wirklich überzeugt. Zu schematisch, zu lehrbuchhaft, zu steril, zu weit weg vom Geschehen - und naturgemäß mit dem Schwerpunkt auf dem englischen Fußball, der mich auch nicht übermäßig interessiert. Da kam mir das erste Buch des langjährigen Transfermarkt.de-Mitarbeiters Max Ropers - "Deadline Day: Warum der Transfermarkt uns Fußball-Fans so fesselt" (Ullstein) - gerade recht.
 
 Über Transfermarkt.de haben wir schon an anderer Stelle gesprochen. Wer sich für Spielerwechsel und die Gerüchte um diese Wechsel, für Marktwerte, Ablösesummen und Beteiligungsklauseln in all ihren Facetten interessiert, kommt an der Seite kaum vorbei. Zudem ist es Transfermarkt.de in ähnlich großartiger Weise wie Wikipedia gelungen, eine Community aufzubauen, die für diese Seite lebt und sie trägt. Anmerkung am Rande: Umso unverständlicher ist in meinen Augen der teils ignorante und arrogante Umgang mit den Nutzern. Ein Leser unseres Magazins und langjähriger Account-Holder bei TM berichtete mir neulich, dass er sich wegen eines Newsletters - den gab es mal, der wurde aber vor ein paar Jahren stillschweigend eingestampft - an die Transfermarkt-Redaktion gewandt habe. Er wurde noch nicht einmal einer Antwort für würdig befunden. So bindet man Kunden...

Aber zurück zum Buch - beziehungsweise zum Autor: Ropers hat bei Transfermarkt, also einer ursprünglich von Fans für Fans ins Leben gerufenen Seite, gearbeitet, für sein Buch aber zusätzlich auch etliche Interviews geführt. Er steht mithin, so mein Eindruck, an der recht spannenden Schnittstelle zwischen Fan und Insider, ohne dass "Deadline Day" allerdings wirklich exklusive Innenansichten vermittelt. Dafür kommen zu viele Informationen aus zweiter Hand, aus dem "Kicker" und aus "Sport-Bild" und diversen Fußballbüchern, und dafür waren die Interviews zu sehr auf Analysen und Wertungen gerichtet. Aber als unterhaltsame und sehr schön lesbare Draufsicht auf den Transfermarkt taugt "Deadline Day" allemal - und das deutlich mehr als die oben genannten englischsprachigen Vorläufer.
 
Ropers widmet sich zunächst den historischen Anfängen des Transfergeschehens und der Zäsur durch das Bosman-Urteil, beschäftigt sich dann mit den Transfer-Rahmenbedingungen und -strategien deutscher Klubs und wechselt schließlich in die Premier League. Das alles gelingt mal mehr, mal weniger gut. So mochte ich die galante, federleichte Art, wie Ropers mich von einem Bundesligaklub zum nächsten führt und mit wenigen Strichen schöne und präzise Skizzen aufs Papier wirft. An anderen Stellen vermisste ich allerdings ein wenig den roten Faden und die Herstellung von Zusammenhängen. Zudem hatte ich den Eindruck, dass der Autor - vielleicht altersbedingt - zu allem, was in Deutschland vor dem Bosman-Urteil passierte, wenig bis keinen Bezug hat. Denn Transfers gab es in der Bundesliga seit ihrem Bestehen. Und im Grunde war die Zeit vor Bosman noch spannender, denn Spieler kosteten - aus heutiger Sicht unvorstellbar - auch nach Vertragsende noch Ablöse. Damals waren Vereine in der klar stärkeren Position. Entsprechend feindselig beäugten und bekämpften sie die Pioniere unter den Spielerberatern, die ihren Klienten zu vorteilhafteren Konditionen verhalfen. Das hätte Stoff für interessante Geschichten geliefert. Doch Wolfgang Fahrian, Norbert Pflippen oder Holger Klemme kommen bei Ropers praktisch nicht vor. Und einige Einordnungen des Autors halte ich zudem schlicht für falsch. Es stimmt nicht, dass sich die Vereine damals langfristige Verträge mit Spielern "nicht leisten" konnten. Sie hatten gar kein Interesse, sich derart zu binden, weil sie - siehe oben - auch nach Vertragsende noch Ablöse kassierten. Und es ist auch nicht richtig, dass der FC Bayern 1984 Kalle Rummenigge ganz dringend verkaufen "musste". Manager Uli Hoeneß hat vielmehr einen Gig getanzt, als die Mailänder mit ihrem sensationellen 11-Millionen-DM-Angebot für den sportlich längst auf dem absteigenden Ast befindlichen Star kamen: "Dafür hätten wir den Kalle auch in einer Sänfte über die Alpen getragen", wurde Hoeneß hinterher zitiert. Apropos Manager: Die, so der Autor, hätten früher, als es noch keine Kaderplaner, Sportvorstände usw. gab, als Mädchen für alles einen 24-7-Job gehabt. Das war damals gar nicht mein Eindruck - im Gegenteil, Uli Hoeneß wirkte nie gänzlich ausgelastet. Und Ropers weist wenige Zeilen später selbst darauf hin, dass Reiner Calmund in den 90er Jahren "monatelang in Brasilien Spieler gescoutet" habe. Mit 24-7 an der Heimatfront hätte das kaum funktioniert. Noch einmal einige Seiten später, Ropers ist schon bei der Premier League, huldigt er Jürgen Klopp dafür, dass dieser erkannt habe, dass die individuelle Klasse eines Spielers vom Erfolg des jeweiligen Vereins zu trennen ist und deshalb bei Absteigern oder Vereinen, bei denen es gerade nicht läuft, großartige Kicker zu Schnäppchenpreisen zu bekommen sind. Alles schön und gut, aber Otto Rehhagel hat schon vor vierzig Jahren nach diesem Prinzip eingekauft (Mirko Votava, Manfred Burgsmüller, Klaus Allofs etc.). Alles nicht so neu also.

Last but not least hätte ich mir durchaus etwas mehr Nähe zum Geschehen und zu den Protagonisten gewünscht, um - siehe oben - die Faszination des Transfermarktes noch stärker zu spüren. Die "Süddeutsche" hat neulich ein längeres Interview mit Markus Krösche (Eintracht Frankfurt) geführt und mit wenigen Fragen jene Art von Informationen aus ihm herausgeholt, die ich hochspannend finde und auch im Buch gern gelesen hätte: Beispielsweise dass der größte Teil der Transferverhandlungen nicht etwa persönlich, sondern per E-Mail stattfindet. Dass es eine überschaubare Welt ist, in der man sich immer mal wieder trifft, und deshalb Deals ohne Verlierer die besten sind. Dass Krösche anstrebt, Transfers innerhalb von zehn Tagen abzuwickeln, um keine Neverending-Story daraus werden zu lassen. Oder dass er zufällig genau zu der Zeit, als Frankfurt und Liverpool über den Ekitiké-Wechsel pokerten, auf der gleichen griechischen Insel Familienurlaub wie sein Liverpooler Pendant Richard Hughes gemacht habe: "Wir waren nur zwei Stunden entfernt und hätten uns treffen können, haben wir aber nicht.".
 
Fazit: "Deadline Day" ist nicht ohne Schwächen, aber unter dem Strich dennoch ein sehr gelungenes und lesenswertes Debüt. Interessanterweise erscheint in den nächsten Tagen ein echtes Konkurrenzprodukt: Christian Falk, Sportchef der "Bild"-Gruppe und selbsternannter Bayern-Insider, der bei uns im Fußballbücher-Magazin schon wiederholte Erwähnung fand (siehe hier und hier und hier), bringt sein drittes Buch auf den Markt: "Transfer-Insider: Die Geheimnisse hinter den Millionendeals. Mr True packt aus". Wir sind gespannt!
 
Max Ropers: "Deadline Day: Warum der Transfermarkt uns Fußball-Fans so fesselt", Ullstein

Freitag, 22. August 2025

Daniel Hechter: Lückenhafte Erinnerungen eines Präsidenten

(KM) Ein wenig plagte mich das schlechte Gewissen, als ich Daniel Hechters Autobiographie "Mode, politique, PSG et autres coups de gueule" (zu deutsch etwa: "Mode, Politik, PSG und andere Kontroversen") in die Hand nahm. Denn es war von vornherein klar, dass mich an dem fast 500 Seiten dicken Buch ganze zwei Kapitel interessieren würden. Ich wollte nichts über Daniel Hechter, den Modezaren, lesen, nichts über den millionenschweren Jetsetter und Playboy mit protziger Villa in Saint Tropez, nichts über den Teilzeitpolitiker, der für irgendein südfranzösisches Regionalparlament kandidiert. Nein, mich interessierte ausschließlich der Fußballfunktionär Daniel Hechter, der gleich zweimal als Vereinspräsident agierte - einmal, in den siebziger Jahren, bei Paris Saint-Germain (1974 - 1978) und dann ab Mitte der 1980er Jahre bei Racing Straßburg (1986 - 1990). Hierzu sollte es im Buch zwei eigene Kapitel geben, und nur die wollte ich haben.

Hechters Ära bei Paris Saint-Germain ist, obwohl noch länger zurückliegend, im Gedächtnis der Fußballwelt weitaus präsenter. Das dürfte nicht zuletzt an den unrühmlichen Umständen liegen, unter denen seine Präsidentschaft seinerzeit zu Ende ging, Umstände, die noch heute als die "Schwarze-Kasse-Affäre" bekannt sind. Zur Finanzierung von "inoffiziellen" Spielerprämien - damals galten im französischen Fußball für Ausländer strenge Gehaltsobergrenzen (laut Hechter 12.000 Francs pro Monat), die die Verpflichtung von Klassespielern praktisch unmöglich machten (die Hechter zufolge wiederum eher 40.000 Francs verdienten) - wurden Tickets schwarz verkauft. So kam es, dass ein Spiel im "Prinzenpark" offiziell von (nur) 38.000 Fans besucht wurde, obwohl das Stadion mit einer Kapazität von über 50.000 für alle ersichtlich rappelvoll war. Laut Hechter, der damals sogar ein Buch nur über seine Pariser Zeit veröffentlichte ("Le football business", 1979) war diese Art der Finanzierung in der gesamten französischen Liga Usus. Aber wie das so ist im Leben: Erwischt wurde nur er, und die Sache schaukelte sich im Laufe der folgenden Monate immer weiter hoch, bis Hechter 1978 schließlich vom französischen Fußballverband lebenslang (!) gesperrt wurde. Interessanterweise schildert der Modezar diese wilde Zeit in seiner 2013 veröffentlichten Biographie weitaus anschaulicher und lebendiger als in dem unmittelbar nach seinem Rücktritt erschienen o.g. Buch "Le football business". Auch für den deutschen Leser gibt es den einen oder anderen interessanten Funfact: So will Hechter 1977 mit Franz Beckenbauer in München über einen Wechsel nach Paris verhandelt und sogar bereits die Zusage des "Kaisers" erhalten haben. Doch der Wechsel scheiterte am Veto des französischen Radiosenders RTL, seinerzeit einflussreicher Hauptsponsor des Klubs. Diese und andere Anekdoten machen das Pariser Kapitel zu einer durchaus lohnenden Lektüre.

Mich allerdings interessierte die zweite Ära Hechters im französischen Fußball viel mehr. Mitte der 80er Jahre, die lebenslange Sperre war inzwischen vom Tisch, ließ er sich überreden, erst als Unterstützer und Mäzen und später dann in verantwortlicher Position als Präsident beim elsäsisschen Traditionsklub Racing Straßburg einzusteigen. Und hier gab es noch deutlich engere Verbindungen zum deutschen Fußball. Denn Hechter verpflichtete 1989 mit Wolfgang Rolff und Thomas Allofs zwei Ex-Nationalspieler nahezu im Zenit ihrer Karriere. Allofs war gerade mit 17 Treffern Torschützenkönig der Bundesliga und Vizemeister mit dem 1. FC Köln geworden, Rolff hatte im Jahr zuvor mit Bayer Leverkusen sensationell den Uefa-Pokal gegen Espanyol Barelona gewonnen. Als die Verträge mit den deutschen Stars verhandelt und geschlossen wurden, spielte Straßburg noch in der ersten Liga - und alle Beteiligten gingen davon aus, dass der Verein zumindest über die Relegation die Klasse halten würde. Doch das misslang gegen Stade Brest (2:2, 0:1) - und Allofs und Rolff fanden sich bei Dienstantritt im Juli 1989 unvermittelt in den Niederungen der zweiten französischen Liga wieder. Und, mehr noch, der Allofs-Transfer wurde zu einem der größten Missverständnisse der deutsch-französischen Fußball-Geschichte. Der Torjäger, beraten vom ebenso umtriebigen wie geschäftstüchtigen Spielervermittler Holger Klemme, hatte eine Klausel in seinem Vertrag mit dem 1. FC Köln, wonach bei einem Wechsel zu einem anderen Verein die Ablösesumme 1,6 Millionen DM betrage und ein "eventueller Mehrerlös" zwischen Verein und Spieler geteilt werde. In der Folgezeit kam es zu einem heftigen Streit zwischen altem und neuem Klub sowie Allofs. Denn während die einen aus der Vereinbarung eine fest vereinbarte Ablöse herauslasen (und Hechter wollte keinen Pfennig mehr zahlen als diese 1,6 Millionen DM), gingen die Kölner von einem Mindestbetrag aus, der es ihnen unbenommen ließ, deutlich mehr zu fordern. Was sie auch taten. Nun gehören derartige Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von Vertragsklauseln an sich zum normalen juristischen Geschäft. Nie verstanden habe ich indes, wieso Allofs gleichwohl bereits elf Spiele (zwei Tore) im Trikot der Elsässer absolviert hatte, eine Spielgenehmigung also offenbar vorlag, ehe der Streit eskalierte, der Klub Allofs suspendierte und dieser nach etlichen Irrungen und Wirrungen im Winter 1990 nach Deutschland zurückkehrte und bei Fortuna Düsseldorf anheuerte.

Über genau diesen Transfer, die Missverständnisse zwischen Hechter und Köln und die Rolle Rolffs als Anführer des in der zweiten Liga um den sofortigen Wiederaufstieg kämpfenden Racing-Teams wollte ich etwas aus erster Hand erfahren - und vor allem deshalb hatte ich zu ""Mode, politique, PSG et autres coups de gueule" gegriffen. Und wurde bitter enttäuscht. Zwar erwähnt Hechter die Verpflichtung der beiden Deutschen - bei ihm sind es noch aktuelle Nationalspieler, geschenkt -, doch er verlegt sie kurzerhand ins Jahr 1988 und verliert kein einziges weiteres Wort (!) über all das, was dann folgte. Das ist jammerschade, denn gerade seine Sichtweise wäre für mich von riesigem Interesse gewesen. So verliert er sich in vagen Erinnerungen und arger Larmoyanz über die Elsässer, die "wollen, was sie nicht haben, aber wenn sie es haben, wollen sie es nicht mehr". Denn die Zeit des  schillernden Modezaren fand auch in Straßburg unter Krächen und Skandalen und finanziellen Turbulenzen ein jähes Ende, die Parallelen zur Pariser Zeit sind unübersehbar. 

Zweifellos ein interessantes Stück französische Fußballgeschichte, aber die Erinnerungen sind doch arg lückenhaft, und meine Erwartungen aus deutscher Sicht waren leider deutlich höher.

Daniel Hechter: "Mode, politique, PSG et autres coups de gueule", Pygmalion

Sonntag, 10. August 2025

Das geht deutlich besser: Ein Blick auf die Saudi Pro League

"Wieso gibt es ein solches Buch nicht auf dem deutschen Markt?", habe ich mich gefragt, als ich voller Vorfreude Ryan Mersons in Spanien erschienenes Buch "La burbuja saudí" (zu deutsch etwa: "Die saudische Blase") in die Hand nahm. Die Saudi Professional League (SPL) ist spätestens seit Cristiano Ronaldos spektakulärem Wechsel zum Al-Nassr FC und dem anschließenden Exodus weiterer europäischer und südamerikanischer Altstars nach Saudi-Arabien als neue schwergewichtige Akteurin auf dem Transfermarkt in aller Munde. Der mit 10 Millionen Euro (netto!) bestverdienende deutsche Fußballtrainer überhaupt - Matthias Jaissle, zuvor RB Salzburg - arbeitet dort und hat mit Al Ahli SFC gerade die asiatische Champions League gewonnen. Dies könnte übrigens dazu führen, dass er demnächst 20 Millionen pro Jahr bekommt. Bei Al Ahli arbeitet mit Torwarttrainer Alexander Bade auch ein weiterer Deutscher. Dem gebürtigen Berliner tritt man sicher nicht zu nahe, wenn man festhält, dass er nicht zur ersten oder zweiten Reihe deutscher Trainer gehört, auch wenn er immerhin schon auf die Stationen Austria Wien und Ferencváros Budapest verweisen kann. Nun hat er in Saudi-Arabien möglicherweise den ersten richtig attraktiven Vertrag seiner Karriere unterschrieben.
 
Diese deutschen Bezüge und dazu die Riege an Weltstars - Neymar, Ronaldo, Mané, Benzema und so weiter -, die ihren Weg in die SPL und dort keineswegs alle ihr Glück gefunden haben, müssten doch für genügend Interesse an einem Buch über die SPL sorgen. Ihre Gründung und Geschichte, die Einflüsse ausländischer Trainer, die Rolle des saudischen Public Investment Fonds, der Transfer Ronaldos und ein Blick auf den Alltag der Legionäre in Saudi-Arabien - für mich wäre das hochspannend. Die "Sport-Bild", die naturgemäß viel schneller reagieren kann, hat es für den Zeitschriftenmarkt vorgemacht. Dort gab es ab 2023 gleich mehrere große Artikel über die Klubs in der SPL, über die dorthin gewechselten Ausländer und deren Gehälter, über den Besuch eines Spiels der SPL und so weiter. Das waren richtig gute, unterhaltsame Geschichten, und genauso etwas hätte ich mir als Buch gewünscht, etwas ausführlicher und vertiefter als die "Sport-Bild"-Beiträge natürlich, aber im Grunde genau das.

Ein solches Buch gibt es auf dem deutschen Markt jedoch (bisher) nicht und leider - meine Enttäuschung war riesig - ist auch Mersons Werk kein solches Buch. Wenngleich im Aufbau durchaus nahe an dem, was ich mir vorgestellt habe, ist es eine unfassbar trockene, abstrakte und theoretische Lektüre. Da ist im Stile eines Lehrbuchs von Transformation und Diversifizierung die Rede, von "fundierten Transferentscheidungen" und von "langfristiger Nachhaltigkeit" und ähnlichem. Aber es gibt keine Farbe, keine Bilder, keine Geschichten - und konkrete Personen kommen auch nur vor, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Hinzu kommt eine wirklich schlimme Redundanz - nahezu jeder Gedanke wird einmal, zweimal, dreimal wiederholt, egal ob es um die schwindende Attraktivität der SPL bei zunehmendem Gefälle zwischen den Klubs oder die Rolle des Fußballs beim Kampf um Gleichberechtigung geht. Stellenweise ist es so schlimm, dass ich mich gefragt habe, ob der Autor bei der Erstellung des Buches einen Teil der Arbeit einem KI-Tool überlassen und den Text nicht ordentlich schlussredigiert hat.

Unter dem Strich kann ich das Buch leider gar nicht empfehlen, weil es eines nicht ist: Ein spannender, unterhaltsamer Einblick in eine exotische, bunte Welt mit schwerreichen Klubs, die der englischen Premier League mühelos Paroli bieten können, und mit alternden Stars, die für aberwitzige Gehälter und bei sengender Hitze ihr noch immer großartiges Können zeigen und die SPL auf der fußballerischen Weltkarte etablieren.
 
Ryan Merson: "La burbuja saudí", Kindle Direct Publishing