Donnerstag, 11. September 2025

Der neue Falk: Leider das bessere Transfermarkt-Buch

Stammleser unseres Magazins wissen: Christian Falk, einst "Sport-Bild"-Chefreporter und selbsternannter Bayern-Insider, inzwischen zum Sport-Chef der "Bild"-Gruppe aufgestiegen, ist in meinen Augen nicht das sympathischste Exemplar unter den deutschen Sportjournalisten. Allzu selbstgefällig präsentierte er sich in seinen beiden ersten Büchern über seine Zeit als Bayern-Reporter (Besprechungen siehe hier und hier und hier). Missen möchte ich die beiden Werke indes trotzdem nicht, vermitteln sie doch wunderbare Einblicke in den Alltag eines Boulevard-Sportjournalisten, die Arbeit der "Sport-Bild"-Redaktion und  Falks Interaktionen mit Funktionären und Spielern des FC Bayern.

Nun ist mit "Transfer-Insider: Die Geheimnisse hinter den Millionendeals" das dritte Buch des Journalisten erschienen. Nachdem wir hier vor kurzem Max Ropers Debüt "Deadline Day: Warum der Transfermarkt uns Fußball-Fans so fesselt" besprochen haben, stellt sich Falk mit seinem mehr oder weniger dem gleichen Thema gewidmeten Buch dem direkten Vergleich. Und - es schmerzt, aber Ehre, wem Ehre gebührt - er gewinnt dieses Duell leider deutlich.  Das liegt in erster Linie daran, dass "Transfer-Insider" exakt das liefert, was ich bei "Deadline Day" vermisst habe: Nähe zu den Protagonisten und zum Geschehen. Hier sitze ich mit am Tisch, wenn Hasan Salihamidžić mit Real Madrids Sportdirektor José Ángel Sánchez über einen Wechsel des Marokkaners Achraf Hakimi verhandelt und geduldig beobachtet, wie es der Spanier mit dem ältesten Trick der Welt versucht ("Das kann ich nicht allein entscheiden. Dafür muss ich den Präsidenten anrufen.") So hat Brian Clough schon vor 50 Jahren Transferverhandlungen geführt. Ich bin dabei, wenn  Bayerns Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen mit dem Chef der Tottenham Hotspurs, Daniel Levy, im noblen Londoner "Arts Club" oder im Fünf-Sterne-Luxushotel "The Berkeley" um Harry Kane feilscht und sich später am Telefon des allzu dreisten Nachkoberns des Tottenham-Bosses erwehren muss. Genau diese Gespräche und Verhandlungen sind es, die den Transfermarkt in meinen Augen so faszinierend machen. 

Aber der Reihe nach. "Transfer-Insider" startet nämlich keineswegs furios, sondern wenig vielversprechend mit einem öligen Grußwort von Philipp Lahm. Die auffällige Nähe Falks zum ehemaligen Kapitän des FC Bayern und der Nationalelf hat uns hier schon an anderer Stelle beschäftigt. Vermutlich würden es die beiden dem Grunde nach sogar unterschreiben, wenn ich sage, dass sich hier zwei aalglatte Karrieristen gefunden haben. Das macht die einleitenden Worte Lahms im Buch aber keineswegs sympathischer. In erster Linie sind sie eine nicht im üblichen Duktus des einstigen Verteidigers verfasste unangenehme Lobhudelei auf den Autor: "Ich kenne ihn aus analogen Zeiten, und seine Texte werden heute noch regelmäßig gedruckt. Seit Jahren checkt er zudem als 'Mr. True', wer beim FC Bayern und andernorts kommt und geht, welcher Trainer fliegt und wer auf ihn folgen wird. Er muss gute Kontakte haben – ich schätze, seine Trefferquote liegt nicht wesentlich unter 100 Prozent."

Aber gut, so viele Grußworte, in denen man kritische Worte über den Autor liest, gibt es dann auch wieder nicht. Also Augen zu und durch. Als nächstes stellt Falk den italienischen Journalisten Fabrizio Romano als Begründer und Guru des Transfer-Journalismus vor, nach meinem Eindruck aber in erster Linie, um sich mit einem geschickten Spiel über Bande - ein englischer Journalist ruft an, weil er eine Story über Romano und ihn, Falk, machen will - in der gleichen Liga der Insider einzuordnen. Seufz! Was dann folgt, ist indes eine wirklich spannende, lesenswerte Abfolge von illustrativen Transferanekdoten und Fragebogenantworten bekannter Transferinsider - von Romano bis Florian Plettenberg. Was das Buch für mich zusätzlich reizvoll macht, ist seine FC-Bayern-Lastigkeit. Denn natürlich berichtet Falk in erster Linie aus dem Biotop, in dem er zu Hause ist. Es geht um Enthüllungen hier und Falschmeldungen dort, die Wahrheit hinter diesem und jenem Transfer beziehungsweise diesem und jenem Transfergerücht. Auch das mochte ich: Falk widmet sich Wechseln, die nie stattgefunden haben, aber eben angedacht waren oder sogar bereits verhandelt wurden, dann aber gescheitert sind: Ronaldo und der FC Bayern, Haaland und der FC Bayern, Bellingham und der FC Bayern und so weiter. Ich finde so etwas hochspannend.

Nebenbei wird einem beim Lesen auch klar, wie ungeschickt der FC Bayern in den vergangenen Jahren auf dem Transfermarkt agiert und so sein berühmtes Festgeldkonto mutmaßlich arg dezimiert hat. Da sind gar nicht nur die großen sportlichen Fehlentscheidungen wie der 50-Millionen-Euro-Mann João Palhinha, für den der neue Trainer Vincent Kompany keine Verwendung hatte. Sondern eben auch Transfers wie der von Harry Kane, der sportlich zweifellos wertvoll, aber mit 100 Millionen Euro ein Jahr vor Vertragsende auch verdammt teuer war, wohingegen Spieler aus dem eigenen Kader oft erstaunlich günstig abgegeben wurden, siehe etwa Mathys Tel (45 Millionen statt der angestrebten 60 Millionen). 

Gleichzeitig machen Falks Beispiele aber auch sehr schön deutlich, wie schnelllebig und unvorhersehbar und - siehe Woltemade - teils hysterisch der Transfermarkt ist: Im oben genanten Fall des Marokkaners Achraf Hakimi wollte Reals Maddrid unverschämt erscheinende 70 Millionen Euro Ablöse - der FC Bayern aber keinesfalls mehr als 45 Millionen zahlen. Der Deal platzte, die Königlichen hatten sich verzockt und ließen den Spieler kurz darauf für 43 Millionen zu Inter Mailand ziehen. Den Italienern aber wiederum gelang es, Hakimi nur ein Jahr später an Paris Saint-Germain zu verkaufen - für satte 68 Millionen Euro. Und keiner weiß, ob die Marktwertentwicklung ähnlich verlaufen wäre, wenn der Verteidiger bei Real geblieben oder zu Bayern München gewechselt wäre. Auch das macht die große Faszination des Transfermarktes aus, und Falk versteht es, diese Geschichten zu erzählen.

Zu mäkeln habe ich natürlich auch, aber gemessen daran, dass wir über ein Buch von Christian Falk sprechen, erstaunlich wenig. Als überflüssig und unnötig habe ich bei den Fragebögen die Rubrik "Wer sind für Sie die drei größten Fußballer aller Zeiten?" empfunden. Denn das hat mit dem eigentlichen Geschäft und vor allem der Expertise der Transfer-Insider rein gar nichts zu tun - hier sind sie Fans wie du und ich und im Grunde genauso unbedarft. Bei der Rubrik "Meine bittersten Falschmeldungen" nennen sowohl Falk als auch die von ihm befragten Kollegen bevorzugt Beispiele, die "eigentlich" ja gar keine Falschmeldungen waren, aber so richtig verdenken kann man ihnen das auch nicht. Und natürlich frage ich mich bei den geschilderten Dialogen mitunter, woher der Autor wissen will, was Hasan Salihamidžić wortwörtlich zu Thiago ob dessen Wechselabsicht nach Liverpool gesagt hat. Aber ein paar stilistische Freiheiten würde ich Falk im Interesse des Leseflusses hier schon zugestehen wollen. Beim abschließenden Verzeichnis der Spielerberater, das sich aufgrund der vielen Querverweise zwar etwas sperrig liest, aber aus gleichem Grund auch hochinformativ ist, fiel mir das Fehlen von Vizeweltmeister Karlheinz Förster auf, der als Spielerberater immerhin in einen spektakulären Rechtsstreit verwickelt war. Aber Falk sagt ja selbst, dass das Verzeichnis keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt - und irgendeiner wird immer fehlen.

Kurz und gut: Sympathisch ist mir Christian Falk immer noch nicht, aber auch sein drittes Buch lohnt sich. Klare Empfehlung!

Christian Falk: "Transfer-Insider: Die Geheimnisse hinter den Millionendeals", Riva Verlag

Samstag, 30. August 2025

Philipp Köster und die Zukunft der Fußball-Printmagazine

(KL) Der Streaming-Dienst DAZN produzierte im Jahr 2020 anlässlich des 100jährigen Jubiläums des "Kicker" eine vierteilige Serie über das Nürnberger Sportmagazin. Darin kamen neben diversen Protagonisten aus dem Fußball-Business - von Matthias Sammer über Jürgen Klopp bis Uli Hoeneß - erfreulicherweise auch die unmittelbaren Konkurrenten des Blattes zu Wort, für "Sport-Bild" der damalige Chefredakteur Matthias Brüggelmann und für "11Freunde" Gründer und Chef Philipp Köster. Letzterer hatte eine klare Meinung zur Zukunft seiner Branche: In zehn Jahren, so Köster, werde es "keines dieser [Fußball]-Printmagazine mehr geben", teilte er mit. Er sei überzeugt, dass "die Zukunft des 'Kicker' nur im Digitalen [liege] und nicht im Print." Vermutlich werden ihm da nur wenige seiner Mitstreiter widersprechen. In der DAZN-Serie stieß auch der damalige "Kicker"-Chef Jörg Jakob mehr oder weniger ins gleiche Horn: Der bisherige analoge Vertriebsweg, eine Information auf Papier zu drucken, dieses zu verpacken, ins Auto zu laden und durch die Landschaft zu fahren, sei zweifellos endlich. Wer sich die Auflagenentwicklung des Heftes anschaut, wer beobachtet, wie es zunehmend schwieriger wird, selbst in größeren Städten am Erscheinungstag ein Printexemplar zu bekommen - aus den meisten Supermarktregalen ist der "Kicker" längst verschwunden, an kleineren Bahnhöfen findet man montags häufig noch die Ausgabe vom letzten Donnerstag und Zeitschriftenläden haben immer öfter nur noch ein oder zwei Verlegenheitsexemplare -, der wird nicht umhinkommen, sich dieser Einschätzung anzuschließen, wenn auch schweren Herzens.

Ich hätte es allerdings bevorzugt, wenn Philipp Köster etwas weniger vergnügt gewesen wäre bei seiner Prognose. Denn er benennt zwar das Problem, das sämtliche Sportmagazine, auch sein eigenes, haben beziehungsweise über kurz oder lang haben werden. Doch leider hat keiner der Anbieter eine wirklich passende Lösung parat, um das digitale Lesen dem analogen gleichzustellen. Bis heute fehlt es hierfür insbesondere an einem geeigneten Device. Hinzu kommen ein paar andere Unzulänglichkeiten, die sich die Verlage derzeit noch leisten. Nachdem Köster den gedruckten Sportmagazinen bereits 2020 (nur) noch ein Jahrzehnt gab, bleiben also womöglich gerade mal noch fünf Jahre, um die heutigen Print-Titel in eine "Digital-only"-Welt zu überführen. Und da ist noch einiges an Hausaufgaben zu erledigen.
 
Hier sind meine drei zwingenden Anforderungen an die Lektüre eines der derzeitigen Printausgabe ebenbürtigen digitalen Sportmagazins:
 
1. Ein klassisches Magazin, kein Portal
 
Auch wenn es irgendwann mal keine Printausgabe von "11Freunde", "Sport-Bild" oder "Kicker" mehr geben sollte, die digital abgebildet wird, möchte ich meine Informationen zwingend in Magazinform und in einer Datei erhalten, also eine in sich geschlossene, fertige und unveränderliche Ausgabe mit einem festen Erscheinungstag, mit einer Titelseite und einem Inhaltsverzeichnis, einer festen Seitenzahl und sämtlichen Artikeln im Volltext. Ich will kein News- oder Social-Media-Portal mit bloßen Linksammlungen, die ich jeweils mühsam einzeln anklicken muss.

Transfermarkt beispielsweise ist (nur) ein solches Portal. Da gibt es früh drei, vier News, am späten Vormittag vier weitere, dann kommen nach dem Mittag wieder welche und abends vielleicht auch noch ein paar. Das ermöglicht natürlich eine weitaus aktuellere Berichterstattung, keine Frage. Aber es ist kein Ersatz für ein Sportmagazin - und ich habe weder Zeit noch Lust, permanent auf der Transfermarkt-Seite unterwegs zu sein, um nach etwaigen Neuigkeiten Ausschau zu halten, mich mit grauseliger Werbung zumüllen zu lassen und mir einen steifen Zeigefinger einzuhandeln, weil ich immerzu irgendwelche Links anklicken muss.
 
2. Uneingeschränkte Offline-Verfügbarkeit
 
Das digitale Magazin muss zwingend auch offline verfügbar, also downloadbar sein. "11Freunde" und "Sport-Bild" sind in digitaler Form als PDF erhältlich - das ist immerhin etwas, wenngleich mit den bekannten Nachteilen einer PDF-Datei (u.a. keine Formatanpassung an das jeweilige Device). Die digitale Ausgabe des "Kicker" hingegen ist mit einem Kicker+-Abo nur online über die Kicker-Homepage verfügbar - und das ist ein absolutes No-go! 
 
Zum einen will ich mein Sportmagazin auch dann ungestört lesen können, wenn ich im Zug von Berlin nach Hamburg sitze und gerade durchs mecklenburgische Niemandsland ohne Mobilfunkempfang fahre. Ich möchte eine digitale Ausgabe, die ich bezahlt habe, auch "besitzen" und nicht Gefahr laufen, dass der spektakuläre Aufmacher über - sagen wir - den Woltemade-Transfer zwei Stunden nach Veröffentlichung klammheimlich zurückgezogen wird, weil das Magazin eine einstweilige Verfügung kassiert hat. Vor allem aber möchte ich mein Sportmagazin unbeobachtet lesen können. Ich will nicht, dass irgendjemand in irgendeinem Verlagshaus jeden meiner Mausklicks protokollieren und genauestens tracken kann, welche Artikel ich wann wie lange über welche IP-Adresse lese, welche Beiträge ich einfach überspringe, mittels welcher Stichwörter ich in einer Ausgabe nach bestimmten Informationen suche und so weiter. Kurz: Ich will kein gläserner Leser sein.
 
3.  Ein geeignetes Device

Damit kommen wir schon zur dritten, der schwierigsten und derzeit technisch leider noch nicht erfüllbaren Anforderung - dem passenden Device. 

Ich will das Sportmagazin meiner Wahl so wie bisher überall lesen - in der Straßenbahn, in der Badewanne, im Bett, auf dem Klo oder am Meer. Damit scheiden Laptops oder gar PCs schon mal aus. Eine Zeitschrift auf dem Smartphone zu lesen ist ein schlechter Witz. Und die derzeit erhältlichen Tablets sind entweder zu klein oder zu schwer (zum Teil 1,5 kg!), zu dick und zu unhandlich. Zudem genügt ein Tablet nicht meinen sonstigen Bedarfen, wenn ich beruflich unterwegs bin - das heißt, ich brauche so oder so ein Notebook. Dann will ich aber nicht zusätzlich noch ein großes Tablet mitschleppen müssen. Und, nein, ein Convertible ist hier auch keine Lösung, die Dinger sind zu komplex und deshalb zu anfällig. Außerdem muss das Device zum Lesen eines Sportmagazins ein Gebrauchsgegenstand sein, kein Wertgegenstand, also kein Tablet mit einem drei- oder womöglich gar vierstelligen Preis. Ich will es am Strand nutzen können, ohne ständig Angst zu haben, dass es in den Sand fällt oder nass wird, ich will es im Zug, wenn ich zur Toilette gehe, auch einfach mal liegenlassen können und so weiter. Also ein Device, das nicht permanent wie ein Schatz bewacht werden muss und jederzeit zu ersetzen ist. Last but not least: Ich verbringe sowieso zuviel Zeit am Bildschirm, hätte also gern etwas Augenschonendes. Deshalb würde ich einen E-Ink-Reader bevorzugen, natürlich einen mit Farbanzeige.

Vor einigen Jahren gab es nach meiner Erinnerung mal Experimente mit hauchdünnen, faltbaren Tablets, die Zeitungspapier nachempfunden waren. Leider scheint das in eine Sackgasse geführt zu haben, jedenfalls war zuletzt nichts mehr davon zu hören. Aber in meinen Augen ist das nach wie vor der einzig denkbare Weg in die Zukunft: Ein sehr dünnes (5 mm), sehr leichtes (250 g), faltbares E-Ink-Device mit Farbdisplay, das um die 50 Euro kostet und aufgeklappt eine reguläre "Kicker"-Seite gut darstellt (also 16 oder gar 17 Zoll). Er verfügt über eine integrierte Drahtlosverbindung wie der Kindle von Amazon, über die ich am Erscheingstag pünktlich und automatisch die neueste Ausgabe des Sportmagazins meiner Wahl bekomme. Einmal auf dem Gerät, ist das Heft "meins" und mir uneingeschränkt zugänglich, auch ohne Internetverbindung.

Wenn, ja - wenn diese drei Bedingungen vollständig erfüllt werden, könnte ich mir vorstellen, Fußballmagazine (nur noch) digital zu lesen. Die auf Printausgaben gerichteten Produktions- und Vertriebsprozesse könnten dann entfallen, die Verlage erhebliche Kosten sparen und sich so fit für die Zukunft machen. Aber bis dahin ist es wie gesagt noch ein weiter Weg - und fünf Jahre gehen schnell vorbei. 
 
Also, liebe Blattmacher in Nürnberg ("Kicker") und Berlin ("Sport-Bild", "11Freunde"): Haltet Euch ran! Und bis Ihr soweit seid, bleibe ich bei der Printausgabe.

Montag, 25. August 2025

Deadline Day: Das Begleitbuch zu Transfermarkt.de

Schon mehrere Autoren haben sich an einem Buch über den für Fußballfans wohl spannendsten Marktplatz der Welt versucht. Da ist Alan Gernons "The Transfer Market: The Inside Stories" oder "Done Deal: An Insider's Guide to Football Contracts, Multi-Million Pound Transfers and Premier League Big Business" von Daniel Geey oder auch Jim Whites "Deadline Day: The Inside Story Of Football’s Transfer Window". Allerdings hat mich keines dieser Bücher wirklich überzeugt. Zu schematisch, zu lehrbuchhaft, zu steril, zu weit weg vom Geschehen - und naturgemäß mit dem Schwerpunkt auf dem englischen Fußball, der mich auch nicht übermäßig interessiert. Da kam mir das erste Buch des langjährigen Transfermarkt.de-Mitarbeiters Max Ropers - "Deadline Day: Warum der Transfermarkt uns Fußball-Fans so fesselt" (Ullstein) - gerade recht.
 
 Über Transfermarkt.de haben wir schon an anderer Stelle gesprochen. Wer sich für Spielerwechsel und die Gerüchte um diese Wechsel, für Marktwerte, Ablösesummen und Beteiligungsklauseln in all ihren Facetten interessiert, kommt an der Seite kaum vorbei. Zudem ist es Transfermarkt.de in ähnlich großartiger Weise wie Wikipedia gelungen, eine Community aufzubauen, die für diese Seite lebt und sie trägt. Anmerkung am Rande: Umso unverständlicher ist in meinen Augen der teils ignorante und arrogante Umgang mit den Nutzern. Ein Leser unseres Magazins und langjähriger Account-Holder bei TM berichtete mir neulich, dass er sich wegen eines Newsletters - den gab es mal, der wurde aber vor ein paar Jahren stillschweigend eingestampft - an die Transfermarkt-Redaktion gewandt habe. Er wurde noch nicht einmal einer Antwort für würdig befunden. So bindet man Kunden...

Aber zurück zum Buch - beziehungsweise zum Autor: Ropers hat bei Transfermarkt, also einer ursprünglich von Fans für Fans ins Leben gerufenen Seite, gearbeitet, für sein Buch aber zusätzlich auch etliche Interviews geführt. Er steht mithin, so mein Eindruck, an der recht spannenden Schnittstelle zwischen Fan und Insider, ohne dass "Deadline Day" allerdings wirklich exklusive Innenansichten vermittelt. Dafür kommen zu viele Informationen aus zweiter Hand, aus dem "Kicker" und aus "Sport-Bild" und diversen Fußballbüchern, und dafür waren die Interviews zu sehr auf Analysen und Wertungen gerichtet. Aber als unterhaltsame und sehr schön lesbare Draufsicht auf den Transfermarkt taugt "Deadline Day" allemal - und das deutlich mehr als die oben genannten englischsprachigen Vorläufer.
 
Ropers widmet sich zunächst den historischen Anfängen des Transfergeschehens und der Zäsur durch das Bosman-Urteil, beschäftigt sich dann mit den Transfer-Rahmenbedingungen und -strategien deutscher Klubs und wechselt schließlich in die Premier League. Das alles gelingt mal mehr, mal weniger gut. So mochte ich die galante, federleichte Art, wie Ropers mich von einem Bundesligaklub zum nächsten führt und mit wenigen Strichen schöne und präzise Skizzen aufs Papier wirft. An anderen Stellen vermisste ich allerdings ein wenig den roten Faden und die Herstellung von Zusammenhängen. Zudem hatte ich den Eindruck, dass der Autor - vielleicht altersbedingt - zu allem, was in Deutschland vor dem Bosman-Urteil passierte, wenig bis keinen Bezug hat. Denn Transfers gab es in der Bundesliga seit ihrem Bestehen. Und im Grunde war die Zeit vor Bosman noch spannender, denn Spieler kosteten - aus heutiger Sicht unvorstellbar - auch nach Vertragsende noch Ablöse. Damals waren Vereine in der klar stärkeren Position. Entsprechend feindselig beäugten und bekämpften sie die Pioniere unter den Spielerberatern, die ihren Klienten zu vorteilhafteren Konditionen verhalfen. Das hätte Stoff für interessante Geschichten geliefert. Doch Wolfgang Fahrian, Norbert Pflippen oder Holger Klemme kommen bei Ropers praktisch nicht vor. Und einige Einordnungen des Autors halte ich zudem schlicht für falsch. Es stimmt nicht, dass sich die Vereine damals langfristige Verträge mit Spielern "nicht leisten" konnten. Sie hatten gar kein Interesse, sich derart zu binden, weil sie - siehe oben - auch nach Vertragsende noch Ablöse kassierten. Und es ist auch nicht richtig, dass der FC Bayern 1984 Kalle Rummenigge ganz dringend verkaufen "musste". Manager Uli Hoeneß hat vielmehr einen Gig getanzt, als die Mailänder mit ihrem sensationellen 11-Millionen-DM-Angebot für den sportlich längst auf dem absteigenden Ast befindlichen Star kamen: "Dafür hätten wir den Kalle auch in einer Sänfte über die Alpen getragen", wurde Hoeneß hinterher zitiert. Apropos Manager: Die, so der Autor, hätten früher, als es noch keine Kaderplaner, Sportvorstände usw. gab, als Mädchen für alles einen 24-7-Job gehabt. Das war damals gar nicht mein Eindruck - im Gegenteil, Uli Hoeneß wirkte nie gänzlich ausgelastet. Und Ropers weist wenige Zeilen später selbst darauf hin, dass Reiner Calmund in den 90er Jahren "monatelang in Brasilien Spieler gescoutet" habe. Mit 24-7 an der Heimatfront hätte das kaum funktioniert. Noch einmal einige Seiten später, Ropers ist schon bei der Premier League, huldigt er Jürgen Klopp dafür, dass dieser erkannt habe, dass die individuelle Klasse eines Spielers vom Erfolg des jeweiligen Vereins zu trennen ist und deshalb bei Absteigern oder Vereinen, bei denen es gerade nicht läuft, großartige Kicker zu Schnäppchenpreisen zu bekommen sind. Alles schön und gut, aber Otto Rehhagel hat schon vor vierzig Jahren nach diesem Prinzip eingekauft (Mirko Votava, Manfred Burgsmüller, Klaus Allofs etc.). Alles nicht so neu also.

Last but not least hätte ich mir durchaus etwas mehr Nähe zum Geschehen und zu den Protagonisten gewünscht, um - siehe oben - die Faszination des Transfermarktes noch stärker zu spüren. Die "Süddeutsche" hat neulich ein längeres Interview mit Markus Krösche (Eintracht Frankfurt) geführt und mit wenigen Fragen jene Art von Informationen aus ihm herausgeholt, die ich hochspannend finde und auch im Buch gern gelesen hätte: Beispielsweise dass der größte Teil der Transferverhandlungen nicht etwa persönlich, sondern per E-Mail stattfindet. Dass es eine überschaubare Welt ist, in der man sich immer mal wieder trifft, und deshalb Deals ohne Verlierer die besten sind. Dass Krösche anstrebt, Transfers innerhalb von zehn Tagen abzuwickeln, um keine Neverending-Story daraus werden zu lassen. Oder dass er zufällig genau zu der Zeit, als Frankfurt und Liverpool über den Ekitiké-Wechsel pokerten, auf der gleichen griechischen Insel Familienurlaub wie sein Liverpooler Pendant Richard Hughes gemacht habe: "Wir waren nur zwei Stunden entfernt und hätten uns treffen können, haben wir aber nicht.".
 
Fazit: "Deadline Day" ist nicht ohne Schwächen, aber unter dem Strich dennoch ein sehr gelungenes und lesenswertes Debüt. Interessanterweise erscheint in den nächsten Tagen ein echtes Konkurrenzprodukt: Christian Falk, Sportchef der "Bild"-Gruppe und selbsternannter Bayern-Insider, der bei uns im Fußballbücher-Magazin schon wiederholte Erwähnung fand (siehe hier und hier und hier), bringt sein drittes Buch auf den Markt: "Transfer-Insider: Die Geheimnisse hinter den Millionendeals. Mr True packt aus". Wir sind gespannt!
 
Max Ropers: "Deadline Day: Warum der Transfermarkt uns Fußball-Fans so fesselt", Ullstein

Freitag, 22. August 2025

Daniel Hechter: Lückenhafte Erinnerungen eines Präsidenten

(KM) Ein wenig plagte mich das schlechte Gewissen, als ich Daniel Hechters Autobiographie "Mode, politique, PSG et autres coups de gueule" (zu deutsch etwa: "Mode, Politik, PSG und andere Kontroversen") in die Hand nahm. Denn es war von vornherein klar, dass mich an dem fast 500 Seiten dicken Buch ganze zwei Kapitel interessieren würden. Ich wollte nichts über Daniel Hechter, den Modezaren, lesen, nichts über den millionenschweren Jetsetter und Playboy mit protziger Villa in Saint Tropez, nichts über den Teilzeitpolitiker, der für irgendein südfranzösisches Regionalparlament kandidiert. Nein, mich interessierte ausschließlich der Fußballfunktionär Daniel Hechter, der gleich zweimal als Vereinspräsident agierte - einmal, in den siebziger Jahren, bei Paris Saint-Germain (1974 - 1978) und dann ab Mitte der 1980er Jahre bei Racing Straßburg (1986 - 1990). Hierzu sollte es im Buch zwei eigene Kapitel geben, und nur die wollte ich haben.

Hechters Ära bei Paris Saint-Germain ist, obwohl noch länger zurückliegend, im Gedächtnis der Fußballwelt weitaus präsenter. Das dürfte nicht zuletzt an den unrühmlichen Umständen liegen, unter denen seine Präsidentschaft seinerzeit zu Ende ging, Umstände, die noch heute als die "Schwarze-Kasse-Affäre" bekannt sind. Zur Finanzierung von "inoffiziellen" Spielerprämien - damals galten im französischen Fußball für Ausländer strenge Gehaltsobergrenzen (laut Hechter 12.000 Francs pro Monat), die die Verpflichtung von Klassespielern praktisch unmöglich machten (die Hechter zufolge wiederum eher 40.000 Francs verdienten) - wurden Tickets schwarz verkauft. So kam es, dass ein Spiel im "Prinzenpark" offiziell von (nur) 38.000 Fans besucht wurde, obwohl das Stadion mit einer Kapazität von über 50.000 für alle ersichtlich rappelvoll war. Laut Hechter, der damals sogar ein Buch nur über seine Pariser Zeit veröffentlichte ("Le football business", 1979) war diese Art der Finanzierung in der gesamten französischen Liga Usus. Aber wie das so ist im Leben: Erwischt wurde nur er, und die Sache schaukelte sich im Laufe der folgenden Monate immer weiter hoch, bis Hechter 1978 schließlich vom französischen Fußballverband lebenslang (!) gesperrt wurde. Interessanterweise schildert der Modezar diese wilde Zeit in seiner 2013 veröffentlichten Biographie weitaus anschaulicher und lebendiger als in dem unmittelbar nach seinem Rücktritt erschienen o.g. Buch "Le football business". Auch für den deutschen Leser gibt es den einen oder anderen interessanten Funfact: So will Hechter 1977 mit Franz Beckenbauer in München über einen Wechsel nach Paris verhandelt und sogar bereits die Zusage des "Kaisers" erhalten haben. Doch der Wechsel scheiterte am Veto des französischen Radiosenders RTL, seinerzeit einflussreicher Hauptsponsor des Klubs. Diese und andere Anekdoten machen das Pariser Kapitel zu einer durchaus lohnenden Lektüre.

Mich allerdings interessierte die zweite Ära Hechters im französischen Fußball viel mehr. Mitte der 80er Jahre, die lebenslange Sperre war inzwischen vom Tisch, ließ er sich überreden, erst als Unterstützer und Mäzen und später dann in verantwortlicher Position als Präsident beim elsäsisschen Traditionsklub Racing Straßburg einzusteigen. Und hier gab es noch deutlich engere Verbindungen zum deutschen Fußball. Denn Hechter verpflichtete 1989 mit Wolfgang Rolff und Thomas Allofs zwei Ex-Nationalspieler nahezu im Zenit ihrer Karriere. Allofs war gerade mit 17 Treffern Torschützenkönig der Bundesliga und Vizemeister mit dem 1. FC Köln geworden, Rolff hatte im Jahr zuvor mit Bayer Leverkusen sensationell den Uefa-Pokal gegen Espanyol Barelona gewonnen. Als die Verträge mit den deutschen Stars verhandelt und geschlossen wurden, spielte Straßburg noch in der ersten Liga - und alle Beteiligten gingen davon aus, dass der Verein zumindest über die Relegation die Klasse halten würde. Doch das misslang gegen Stade Brest (2:2, 0:1) - und Allofs und Rolff fanden sich bei Dienstantritt im Juli 1989 unvermittelt in den Niederungen der zweiten französischen Liga wieder. Und, mehr noch, der Allofs-Transfer wurde zu einem der größten Missverständnisse der deutsch-französischen Fußball-Geschichte. Der Torjäger, beraten vom ebenso umtriebigen wie geschäftstüchtigen Spielervermittler Holger Klemme, hatte eine Klausel in seinem Vertrag mit dem 1. FC Köln, wonach bei einem Wechsel zu einem anderen Verein die Ablösesumme 1,6 Millionen DM betrage und ein "eventueller Mehrerlös" zwischen Verein und Spieler geteilt werde. In der Folgezeit kam es zu einem heftigen Streit zwischen altem und neuem Klub sowie Allofs. Denn während die einen aus der Vereinbarung eine fest vereinbarte Ablöse herauslasen (und Hechter wollte keinen Pfennig mehr zahlen als diese 1,6 Millionen DM), gingen die Kölner von einem Mindestbetrag aus, der es ihnen unbenommen ließ, deutlich mehr zu fordern. Was sie auch taten. Nun gehören derartige Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung von Vertragsklauseln an sich zum normalen juristischen Geschäft. Nie verstanden habe ich indes, wieso Allofs gleichwohl bereits elf Spiele (zwei Tore) im Trikot der Elsässer absolviert hatte, eine Spielgenehmigung also offenbar vorlag, ehe der Streit eskalierte, der Klub Allofs suspendierte und dieser nach etlichen Irrungen und Wirrungen im Winter 1990 nach Deutschland zurückkehrte und bei Fortuna Düsseldorf anheuerte.

Über genau diesen Transfer, die Missverständnisse zwischen Hechter und Köln und die Rolle Rolffs als Anführer des in der zweiten Liga um den sofortigen Wiederaufstieg kämpfenden Racing-Teams wollte ich etwas aus erster Hand erfahren - und vor allem deshalb hatte ich zu ""Mode, politique, PSG et autres coups de gueule" gegriffen. Und wurde bitter enttäuscht. Zwar erwähnt Hechter die Verpflichtung der beiden Deutschen - bei ihm sind es noch aktuelle Nationalspieler, geschenkt -, doch er verlegt sie kurzerhand ins Jahr 1988 und verliert kein einziges weiteres Wort (!) über all das, was dann folgte. Das ist jammerschade, denn gerade seine Sichtweise wäre für mich von riesigem Interesse gewesen. So verliert er sich in vagen Erinnerungen und arger Larmoyanz über die Elsässer, die "wollen, was sie nicht haben, aber wenn sie es haben, wollen sie es nicht mehr". Denn die Zeit des  schillernden Modezaren fand auch in Straßburg unter Krächen und Skandalen und finanziellen Turbulenzen ein jähes Ende, die Parallelen zur Pariser Zeit sind unübersehbar. 

Zweifellos ein interessantes Stück französische Fußballgeschichte, aber die Erinnerungen sind doch arg lückenhaft, und meine Erwartungen aus deutscher Sicht waren leider deutlich höher.

Daniel Hechter: "Mode, politique, PSG et autres coups de gueule", Pygmalion

Sonntag, 10. August 2025

Das geht deutlich besser: Ein Blick auf die Saudi Pro League

"Wieso gibt es ein solches Buch nicht auf dem deutschen Markt?", habe ich mich gefragt, als ich voller Vorfreude Ryan Mersons in Spanien erschienenes Buch "La burbuja saudí" (zu deutsch etwa: "Die saudische Blase") in die Hand nahm. Die Saudi Professional League (SPL) ist spätestens seit Cristiano Ronaldos spektakulärem Wechsel zum Al-Nassr FC und dem anschließenden Exodus weiterer europäischer und südamerikanischer Altstars nach Saudi-Arabien als neue schwergewichtige Akteurin auf dem Transfermarkt in aller Munde. Der mit 10 Millionen Euro (netto!) bestverdienende deutsche Fußballtrainer überhaupt - Matthias Jaissle, zuvor RB Salzburg - arbeitet dort und hat mit Al Ahli SFC gerade die asiatische Champions League gewonnen. Dies könnte übrigens dazu führen, dass er demnächst 20 Millionen pro Jahr bekommt. Bei Al Ahli arbeitet mit Torwarttrainer Alexander Bade auch ein weiterer Deutscher. Dem gebürtigen Berliner tritt man sicher nicht zu nahe, wenn man festhält, dass er nicht zur ersten oder zweiten Reihe deutscher Trainer gehört, auch wenn er immerhin schon auf die Stationen Austria Wien und Ferencváros Budapest verweisen kann. Nun hat er in Saudi-Arabien möglicherweise den ersten richtig attraktiven Vertrag seiner Karriere unterschrieben.
 
Diese deutschen Bezüge und dazu die Riege an Weltstars - Neymar, Ronaldo, Mané, Benzema und so weiter -, die ihren Weg in die SPL und dort keineswegs alle ihr Glück gefunden haben, müssten doch für genügend Interesse an einem Buch über die SPL sorgen. Ihre Gründung und Geschichte, die Einflüsse ausländischer Trainer, die Rolle des saudischen Public Investment Fonds, der Transfer Ronaldos und ein Blick auf den Alltag der Legionäre in Saudi-Arabien - für mich wäre das hochspannend. Die "Sport-Bild", die naturgemäß viel schneller reagieren kann, hat es für den Zeitschriftenmarkt vorgemacht. Dort gab es ab 2023 gleich mehrere große Artikel über die Klubs in der SPL, über die dorthin gewechselten Ausländer und deren Gehälter, über den Besuch eines Spiels der SPL und so weiter. Das waren richtig gute, unterhaltsame Geschichten, und genauso etwas hätte ich mir als Buch gewünscht, etwas ausführlicher und vertiefter als die "Sport-Bild"-Beiträge natürlich, aber im Grunde genau das.

Ein solches Buch gibt es auf dem deutschen Markt jedoch (bisher) nicht und leider - meine Enttäuschung war riesig - ist auch Mersons Werk kein solches Buch. Wenngleich im Aufbau durchaus nahe an dem, was ich mir vorgestellt habe, ist es eine unfassbar trockene, abstrakte und theoretische Lektüre. Da ist im Stile eines Lehrbuchs von Transformation und Diversifizierung die Rede, von "fundierten Transferentscheidungen" und von "langfristiger Nachhaltigkeit" und ähnlichem. Aber es gibt keine Farbe, keine Bilder, keine Geschichten - und konkrete Personen kommen auch nur vor, wenn es sich gar nicht vermeiden lässt. Hinzu kommt eine wirklich schlimme Redundanz - nahezu jeder Gedanke wird einmal, zweimal, dreimal wiederholt, egal ob es um die schwindende Attraktivität der SPL bei zunehmendem Gefälle zwischen den Klubs oder die Rolle des Fußballs beim Kampf um Gleichberechtigung geht. Stellenweise ist es so schlimm, dass ich mich gefragt habe, ob der Autor bei der Erstellung des Buches einen Teil der Arbeit einem KI-Tool überlassen und den Text nicht ordentlich schlussredigiert hat.

Unter dem Strich kann ich das Buch leider gar nicht empfehlen, weil es eines nicht ist: Ein spannender, unterhaltsamer Einblick in eine exotische, bunte Welt mit schwerreichen Klubs, die der englischen Premier League mühelos Paroli bieten können, und mit alternden Stars, die für aberwitzige Gehälter und bei sengender Hitze ihr noch immer großartiges Können zeigen und die SPL auf der fußballerischen Weltkarte etablieren.
 
Ryan Merson: "La burbuja saudí", Kindle Direct Publishing

Donnerstag, 7. August 2025

Frank Mill: Ein weiterer unerwarteter Abschied

Biographien von Franz Beckenbauer, Andreas Brehme, Christoph Daum - die Zahl der (meist schon etwas älteren) Bücher, die wir anlässlich des Todes des jeweiligen Sujets wieder aus dem Regal holen, nimmt in deprimierender Weise zu. Jetzt ist mit Frank Mill der nächste unserer 1990er Weltmeister viel zu früh von uns gegangen - und wir wollen auch ihm hier in bestmöglicher Weise gedenken, nämlich mit einem Blick in die 2017 im Verlag Die Werkstatt erschienene Biographie "Das Schlitzohr des deutschen Fußballs" von Frank Lehmkuhl.  

Ich habe das Buch bestimmt schon drei-, viermal gelesen, obwohl ich mit Frank Mill nie so wirklich warm geworden bin. Lehmkuhls Buch ist, ähnlich wie beispielsweise die Peter-Neururer-Biographie von Thomas Lötz, eines dieser Bücher, die - ohne irgendwie sensationell zu sein - bleibende Erinnerungen an bestimmte Personen, bestimmte Phasen des deutschen Fußballs und das Selbstverständnis der Bundesliga und ihrer Akteure in dieser Zeit schaffen und deshalb jedenfalls für mich sehr wichtig sind. Lehmkuhl nimmt sich mit Sorgfalt Mills Stationen vor - bei Rot-Weiß Essen, in Gladbach, natürlich die Dortmunder Zeit und dann den Ausklang in Düsseldorf. Mills schwieriges Verhältnis zur Nationalelf bekommt ein eigenes Kapitel, ebenso der dritte Platz bei Olympia 1988. Interessanterweise war die Zeit unter Hannes Löhr für Mill ebenso wie für seinen - leider auch schon verstorbenen - Kumpel Wolfram Wuttke die wohl schönste in einem deutschen Auswahlteam.

Das Buch ist eine unterhaltsame Rückschau auf Mills beeindruckende Karriere, locker geschrieben und, wenn man nicht gerade ein eingefleischter und mit allen Fakten vertrauter Fan des Stürmers ist, auch informativ. Ich hätte mir allerdings noch mehr - wesentlich mehr - Einblicke in Mills Gedankenwelt, seine Empfindungen und Erinnerungen und Eindrücke gewünscht, gerade was seinen Blick auf und sein Verhältnis zu einstigen Kollegen und Konkurrenten angeht. Obwohl er mit schöner Regelmäßigkeit traf, obwohl er einen legendären Ruf als "mit allen Abwässern geschwaschenes" (Norbert Dickel) Schlitzohr und als Efmeterschinder hatte, war er bei seinen Trainern ja nie gänzlich unumstritten. Immer wieder wurden ihm andere, vermeintlich hochkarätigere Stürmer vor die Nase gesetzt oder zumindest zur Seite gestellt. Wie war sein Verhältnis zu denen, was dachte er über sie und die jeweilige Konkurrenzsituation, der er sich nach meiner Erinnerung durchaus auch mit harten Bandagen stellte? Davon erfährt man leider wenig bis nichts. Der Name Fleming Povlsen kommt im Buch ein einziges Mal vor, der Name Stéphane Chapuisat ebenfalls. Der 1989 für knapp zwei Millionen Euro vom FC Bayern verpflichtete Jürgen Wegmann taucht - jedenfalls in diesem Kontext - gar nicht auf, von Sternschnuppen wie Mark Strudal ganz zu schweigen. Selbst ein Michael Rummenigge findet nur vergleichsweise kurze Erwähnung. Hier wären mehr Nähe, mehr Einblicke wünschenswert gewesen.

Als Erinnerung an einen der besten Bundesligastürmer der achtziger Jahre ist das Buch gleichwohl wunderbar. Machen Sie es gut, Herr Mill!

Frank Lehmkuhl: "Frank Mill: Das Schlitzohr des deutschen Fußballs", Verlag Die Werkstatt

Sonntag, 3. August 2025

"Fanprofit": Wunderbare Idee, ausbaufähige Umsetzung

Der Autor Moritz Heigwer ist noch relativ jung, Anfang dreißig, auf den kursierenden Autorenfotos wirkt er sogar noch etwas jünger.  Er hatte eine Idee für ein Buch über die bestehenden Möglichkeiten, als Fan mit seinem Lieblingssport Geld zu verdienen - doch er hat es nicht bei der Idee belassen, sondern hat sich, abends nach getaner Arbeit als Risikomanager in einem Medizintechnikunternehmen, hingesetzt, hat recherchiert und geschrieben und redigiert und umgeschrieben und dann Bilder und Grafiken beigefügt und das Ganze als Selfpublishing-Projekt bei KDP zu einem 370 Seiten umfassenden Buch ("Fanprofit: Profit für die Fans") gemacht. Allein das ist für mich schon ein Grund zur Freude. Es gehört viel Zähigkeit und Durchhaltevermögen dazu, ein Buchprojekt dieser Art wirklich zu Ende zu bringen, zumal neben den regulären Alltagspflichten und ohne einen Verlag an der Seite, ohne ein professionelles Lektorat, ohne Mitstreiter, die sich beruflich mit der Vermarktung von Büchern befassen - und ohne die Aussicht, damit nennenswert Geld zu verdienen. Und deshalb ziehe ich schon einmal vorab den Hut, noch ehe ich die erste Seite gelesen habe. Und, ja, mir ist wohl bewusst, dass - seit die Verlage ihre Rolle als Gatekeeper eingebüßt haben - jeder, wirklich jeder Schund als Selfpublishing-Projekt veröffentlicht werden kann. Aber über so ein Buch reden wir hier nicht, auch wenn ich gleich noch ein wenig mäkeln werde.

Fangen wir mal mit der Buchidee an. Denn die ist großartig. Während Spieler, Trainer, Manager und Spielerberater mit dem Fußball Millionen verdienen - und ich gönne ihnen jeden Cent! -, stehen Fans in der Regel am abgebenden Ende: Sie bezahlen für Tickets und für Trikots, für Auswärtsreisen, Stadionbesichtigungen, TV-Abos und natürlich auch für die Bratwurst und das Bier in der Halbzeitpause. Warum also nicht mal der Frage nachgehen, ob und welche Möglichkeiten ein Fan hat, sein Wissen rund um den Fußball in einen kleinen oder größeren Nebenverdienst umzumünzen. Was gäbe es Besseres, als mit dem schönsten Hobby der Welt auch noch Geld zu verdienen? Und, wie Heigwer in "Fan-Profit" darlegt, gibt es da so einige Möglichkeiten: Sportwetten, Vereinsaktien, Sammelkarten, Beteiligungen an Fußball-Start-ups, NFT`s, Fußball-Bücher, Fußball-Blogs (soso!) und so weiter. Der Autor widmet sich jedem der möglichen Investments mit seinen Vor- und Nachteilen, Möglichkeiten und Grenzen, Chancen und Risiken.

Und genau hier fangen leider auch die Probleme an. Denn Heigwer kann sich nicht für eine gleichbleibende Flughöhe entscheiden und findet, schlimmer noch, nach meinem Eindruck nur selten die richtige. So pendelt das Buch zwischen allgemeinen und in dieser Form leider völlig nutzlosen Disclaimer-Sätzen a la "Ein Buch kann sowohl im Wert steigen als auch fallen.", Binsenweisheiten wie "Lege nicht alle Eier in einen Korb!" und holprigen Allgemeinplätzen ("Diese Art von Blogs kann auch eine Marke aufbauen und sich als Autorität in ihrem Bereich etablieren, was sich in Werbe- und Sponsoring-Möglichkeiten niederschlagen kann.") einerseits und höchst detaillierten, aber dennoch abstrakten Berechnungen von Wahrscheinlichkeitswerten sowie einem Loblied auf den Zinseszinseffekt andererseits. Der Erkenntnisgewinn bleibt hier überschaubar und die Lesbarkeit leidet, wenn die Ausführungen etwas allzu Lehrbuchhaftes bekommen, leider ebenfalls. Am anschaulichsten ist Heigwer noch dort, wo er über ganz konkrete eigene Erfahrungen berichtet, nämlich beim Kauf und Verkauf von NFT's beim Soare-Fantasy-Manager-Spiel. Hier erfährt der Leser, wie Heigwer erst Messi und Kimmich verpflichete, den Argentinier ob seines drohenden Abgangs von Paris Saint-Germain ein Jahr später aber wieder verkaufte und wie er kontinuierlich kleine Gewinne erwirtschaftete. Solche konkreten Beispiele und Erfahrungen hätte ich mir auch an anderer Stelle gewünscht. Wie man beispielsweise hochspannend, pointiert und ungeheuer unterhaltsam über die Gewinnchancen bei Sportwetten schreibt (bzw. spricht - soweit ersichtlich, ist nur eine Audiobook-Ausgabe verfügbar), hat Jörg Bochow mit "Sportwetten-Millionär: Mit Sportwetten viel Geld verlieren und noch mehr gewinnen" bewiesen. Und Mike Hager hat das gleiche für NFT's geleistet ("Reich mit NFTs: Investieren in Non-Fungible Tokens"), wengleich nicht ganz mit Bochows Spirit. Das Hauptverdienst von "Fanprofit" dürfte letztlich darin bestehen, alle fußballbezogenen Verdienstmöglichkeiten einmal zusammengetragen und mit kurzen Themenaufrissen aufgelistet zu haben. Das ist nicht schlecht, aber da war deutlich mehr drin.

Moritz Heigwer: "Fanprofit: Profit für die Fans", Kindle Direct Publishing 

Mittwoch, 30. Juli 2025

Football Dynamo: Ein Blick auf die russische Premier League

(KL) Seit Russland im Februar 2022 die Ukraine überfallen hat, ist es auch von der fußballerischen Landkarte weitgehend verschwunden. Zog die dortige Premier League mit ihren finanzkräftigen Klubeigentümern und Mäzenen zuvor auch zahlreiche deutsche Spieler und Trainer an - von Kevin Kurányi über Benedikt Höwedes bis hin zu Dietmar Beiersdorfer, Markus Gisdol, Sandro Schwarz und Daniel Farke -, sind Engagements in Moskau inzwischen moralisch bedenklich und wirtschaftlich schwierig. Als Sandro Schwarz seine Zelte bei Lokomotive Moskau nach Kriegsausbruch nicht umgehend abbrach, riet ihm der "Kicker", seine "blutbesudelten Rubel" doch bitte an die Ukraine-Hilfe zu spenden. Es geht auch weniger melodramatisch: Im Juni 2025 gab der schweizerische Trainer Fabio Celestini seinen Wechsel zum Armeesportklub ZSKA Moskau bekannt - laut "11Freunde" für das Fünffache seines bisherigen Gehalts beim FC Basel. Der "Blick" wies darauf hin, dass es für Celestini aufgrund der aktuellen Sanktionen schwierig werden dürfte, dieses Geld aus Russland heraus und in westliche Staaten hineinzubringen. Es bleibt abzuwarten, wie der Schweizer dieses Dilemma löst.

Fakt aber ist: Zumindest für ein paar Jahre dachte man, dass die russische Premier League ein neues, sportlich reizvolles und finanziell attraktives Eldorado für deutsche Kicker - und zwar nicht nur für angehende Fußballrentner - werden könnte. Für mich war das damals Anlass, dieser Liga etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Einen guten Einstieg bot der britische Journalist Marc Bennetts mit seinem 2008 erschienen Buch "Football Dynamo - Modern Russia And The Peoples Game", das die Entwicklung der Premier League nach dem Zerfall der Sowjetunion und die Rolle der russischen Nationalelf beleuchtet. Bennetts beginnt mit der Hauptstadt Moskau, in der unter anderem die Traditionsklubs Spartak, Dynamo, ZSKA, Lokomotive und Torpedo beheimatet sind. Dann zieht er weiter nach St. Petersburg und schließlich in die Provinz und berichtet gleichzeitig, wie sich der russische Fußballverband nach etlichen Misserfolgen im Sommer 2006 schweren Herzens zur Verpflichtung eines Ausländers - Guus Hiddink - durchrang und erste Anfangserfolge bei der Europameisterschaft 2008 feierte. Er spricht über Eintrittsgelder und die Eingewöhnungsschwierigkeiten ausländischer Spieler, lässt Fans zu Wort kommen und nimmt sich auch so brisanter Themen wie etwa dem "Match-fixing" an.

Der Leser erhält durch das Buch nicht nur einen Überblick über die Entwicklung des  Fußballs zwischen Wolga und Ural, sondern erfährt auch viel über die "russische Seele" und das Lebensgefühl der Menschen. Bennetts, der selbst mit einer Russin verheiratet ist, schildert seine (oft schwierigen) Recherchen - Treffen mit Klubpräsidenten und Spielern, Besuche in gut bewachten Trainingskomplexen, die oft wiederholten und mitunter vergeblichen Interviewanfragen. Teilweise erhielt er von seinen Gesprächspartnern auch "wohlmeinende" Ratschläge wie jenen, sich doch lieber auf den Fußball an sich zu beschränken und die Skandale unbeachtet zu lassen. Seine stärksten Momente hat das Buch bei der Schilderung dieser und ähnlicher Situationen. Etwa, wenn der Leser erfährt, dass der neuverpflichtete Nationaltrainer Guus Hiddink an seinem ersten Arbeitstag im "Schlabberloook" und in Sandalen erschien - für viele ein Unding, denn, so Bennetts, "Russians are sticklers for dress codes". Oder bei der Schilderung, wie Präsident Putin das Team von ZSKA Moskau nach dem UEFA-Cup-Sieg 2005 in seiner Datscha empfing. Obgleich er sich bekanntlich bei jeder Gelegenheit als "sportlicher" Staatsmann geriert (gern mit freiem Oberkörper), ist Putin überraschenderweise kein Fußballfan. In seinen ersten Jahren als Präsident, so Bennetts, habe er zwar gelegentlich einige Spiele besucht, inzwischen aber längst darauf verzichtet, irgendein echtes Interesse an dem Sport zu heucheln. Als er die Kicker von ZSKA empfing, hielt er zunächst eine kurze Rede, um dann ein wenig mit einem ihm gereichten Ball herumzujonglieren. Obwohl er ihn nur einige wenige Male in der Luft halten konnte, applaudierten die Spieler höflich - und die Brasilianer im Team grinsten betreten, "als der Führer des größten Landes der Welt Fußballfertigkeiten zeigte, mit denen sich jedes fünfjährige Mädchen an den Stränden daheim blamieren würde".

Mein Problem mit derartigen Passagen war, dass es ihrer zu wenige sind. Über weite Strecken bleibt Bennetts' Buch zu distanziert, zu wenig atmosphärisch. Ich sehe die supermodernen Trainingszentren nicht, in denen die Spieler vor den Partien kaserniert werden. Ich sehe nicht, wie die Legionäre in Moskau oder in der Provinz leben. Stattdessen finden sich, mitunter ein wenig wahllos aneinander gereiht, kurze geschichtliche Abrisse, schematische Schilderungen von Spielen, etwas bemüht anmutende Verweise auf die russische Literatur und Ausflüge in die Politik, die häufig überhaupt keinen oder bestenfalls einen entfernten Bezug zum Sujet haben. So erfährt der Leser, dass der frühere sowjetische Geheimdienstchef Berija auf Moskauer Straßen von seinen Schergen ihm gefallende Frauen aufsammeln ließ, die er später in seiner Wohnung vergewaltigte, und dass viele Jahre später bei der Renovierung seiner Residenz überall Skelette gefunden wurden. Der Leser wird auch darüber informiert, dass in der russischen Armee Rekrutenmisshandlungen gang und gäbe sind und in einem besonders schlimmen Fall Ende 2005 die Amputation beider Beine und der Genitalien eines Soldaten erfolgen musste. Das alles ist furchtbar und grausam, hat aber in einem Buch über den russischen Fußball nichts zu suchen. Ohnehin gelingt dem Autor die notwendige Selbstbeschränkung nicht. Zu viel will er in die dreihundert Seiten hineinpacken, zu sehr will er dem Leser "sein" Russland zeigen, als dass wirkliche Dichte oder gar Spannung erzeugt werden könnten. Dennoch lohnt die Lektüre, weil es ein vergleichbares Konkurrenzwerk zum russischen Fußball auch fast zwanzig Jahre nach Erscheinen des Buches nicht gibt.

Wie gesagt, derzeit ist die russische Premier League wie so viele andere Dinge aus diesem einst faszinierenden Land vom Radar verschwunden, das war unvermeidbar angesichts der Gräueltaten in der Ukraine. Aber es wird eine Zeit nach diesem sinnlosen Krieg kommen, nach Putin, Medwedew und Co. und nach all dem, was Russland derzeit von der zivilisierten Welt trennt. Und dann, irgendwann, wird das Land, das so großartige Fußballer wie Lew Jaschin hervorgebracht hat, vielleicht auch wieder eine Wahlheimat deutscher Kicker. Bis dahin müssen wir uns mit Büchern wie dem hier begnügen.

Marc Bennetts: "Football Dynamo - Modern Russia And The Peoples Game", Virgin Books

Montag, 28. Juli 2025

Jörg Berger: Wanderer zwischen den Welten

(KL) Vom FC Carl Zeiss Jena und der zweiten Mannschaft des Halleschen FC über die DDR-Jugendauswahl, Darmstadt 98 und Fortuna Düsseldorf, Eintracht Frankfurt und Schalke 04 bis hin zum FC Basel und dem westtürkischen Club Bursaspor: Der 2010 leider viel zu früh verstorbene Fußballtrainer Jörg Berger blickte auf eine schillernde Karriere zurück. Ein Jahr vor seinem Tod erschien seine Autobiographie "Meine zwei Halbzeiten: Ein Leben in Ost und West", die sich auch heute, fünfzehn Jahre später, immer noch wunderbar liest. Wer sich für die Bundesliga interessiert, für den Alltag eines Trainers in der DDR-Oberliga beziehungsweise -Liga, in der Bundesliga und im Ausland, für die typischen Umgewöhnungsschwierigkeiten der aus der DDR geflüchteten Fußballer und - leider - auch für den Umgang mit der Diagnose "Krebs", dem ist Jörg Bergers Buch wärmstens zu empfehlen.

Auch wenn ich stellenweise den leisen Verdacht hatte, Bergers Ghostwriterin sei Katja Kessler, die bekanntlich Dieter Bohlens Biographie "Nichts als die Wahrheit" schrieb, wirkt das Buch erfreulich authentisch. Natürlich fragt man sich bei Dialogen, die dreißig Jahre zurückliegen, immer, wie exakt sie wiedergegeben sind. Natürlich beschleicht einen mitunter der Eindruck, dass Jörg Berger seine Aufmüpfigkeit gegenüber den DDR-Oberen hier und da ein wenig zu seinen Gunsten nuanciert hat. Aber nichts wirkt erfunden oder allzu sehr geschönt. Gut, es gibt Passagen, die ein wenig ermüden, etwa, wenn er allzu detailliert schildert, wie hiflos und überfordert er als "gelernter DDR-Bürger" nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik im Umgang mit Politessen, Parkautomaten und Straßenbahntüren, die sich nur auf Knopfdruck öffneten, war. Jörg Berger ist es jedoch recht gut gelungen, in seinen Beschreibungen Geist und Stimmung der jeweiligen Zeit wiederzugeben, selbst wenn dies mitunter - aus heutiger Sicht - unfreiwillig komisch wirkt. So berichtet Berger beispielsweise über seine Ausbildung in einer Baubrigade, in der er - dies darf zwischen den Zeilen gelesen werden - mit seinen Reisen als Fußballer in den Westen tüchtig angab. Einmal, so führt er aus, "erschien ich nach einer West-Reise mit einem hellblauen T-Shirt zur Arbeit. Ich fand mich ganz toll darin. Alle blickten mich an, doch von Bewunderung keine Spur. Stattdessen war Fremdheit, Irritation, auch Ablehnung in ihren Gesichtern zu lesen. 'Was ist denn los?', fragte ich. 'Habe ich die Pest?'" Keineswegs. Der kleine Jörg, der den angehenden Fußballstar offenbar nur allzu gern heraushängen ließ, musste sich von seinen Kollegen belehren lassen: "Hellblau ist doch die Farbe der Schwulen." Eilig zog er das Hemd aus. "Nie wieder kaufte ich mir danach etwas Hellblaues."

Die eigentliche Stärke des Buches liegt allerdings in anderen Passagen. Bergers Anfangszeit als Trainer in der DDR, seine atemberaubende Flucht und sein Neuanfang als Trainer im Westen mit der allgegenwärtigen Angst vor dem langen Arm der Staatssicherheit, all das ist wunderbar packend geschrieben. Dabei wartet er durchaus mit interessanten Einsichten auf. So habe ich all die Jahre nicht verstanden, dass DDR-Trainer, die an der DHfK in Leipzig eine international geschätzte Ausbildung absolviert hatten, nach ihrer Flucht in den Westen trotzdem an der DSHS in Köln den dortigen Schmalspurlehrgang belegen (und zuvor die A-Lizenz erwerben) mussten, wenn sie als Bundesligatrainer arbeiten wollten. Einen Lehrgang übrigens, bei dem Bücher aus der DDR verwendet wurden, wie Berger etwas angesäuert erzählt. Aber er beschwert sich nicht. Sondern räumt ein: "Es waren die Vorgaben des DFB, die dazu führen, dass ich die nötige Härte und das Durchsetzungsvermögen entwickelte, um mich in der Bundesliga als Trainer zu behaupten." Leider geht Berger über spätere Stationen seiner Karriere sehr schnell hinweg. So ist ihm seine Zeit beim FC Basel gerade mal sechs Zeilen wert, die Zeit beim Karlsruher SC sogar nur einen Halbsatz. Das ist sehr schde, denn eine Analyse seines dortigen Scheiterns hätte mich sehr interessiert. Das Schlusskapitel ist seinem Kampf gegen den Krebs gewidmet.

Jörg Berger: "Meine zwei Halbzeiten: Ein Leben in Ost und West", Rowohlt

Dienstag, 8. Juli 2025

Leider zu steril: Ein Blick auf den Fußball in Frankreich

(KL) Der französische Fußball fasziniert mich schon deshalb, weil er seit jeher ein Sehnsuchtsort deutscher Legionäre war. Nicht nur Bundesliga-Stars der ersten Garde wie Karlheinz Förster (Olympique Marseille), Klaus Allofs (ebenfalls Olympique Marseille, später Girondins Bordeaux), Pierre Littbarski (Racing Paris), Rudi Völler (Olympique Marseille) oder Jürgen Klinsmann (AS Monaco) zog es in die seinerzeitige Division 1 und heutige Ligue 1. Auch für die zweite, dritte und sogar vierte Reihe des deutschen Fußballs fanden sich im Nachbarland zahlungswillige Klubs. Ich denke da an Dieter Müller (Girondins Bordeaux), Thomas Allofs (Racing Straßburg), Norbert Nachtweih (AS Cannes), Wolfgang Rolff (Racing Straßburg), Uwe Reinders (Girondins Bordeaux und Stade Rennes) oder Roland Wohlfarth (AS Saint-Etienne), aber eben auch an Kicker wie Walter Kelsch (Racing Straßburg), Thomas Remark (Olympique Lyon) und Peter Reichert (FC Toulouse). Und die Konditionen im Nachbarland? Als Manfred Kaltz 1989 im (sehr späten) Spätherbst seiner Karriere zu Girondins Bordeaux wechselte, berichtet die Sport-Bild, dass er dort ein Jahresgehalt von umgerechnet 500.000 DM netto erhalte. Netto! 1989 war das eine sensationell hohe Summe, zumal für einen 36jährigen. So ganz habe ich das der Sport-Bild damals zwar nicht abgenommen, aber ich wollte es gern glauben - und habe mich für Manfred Kaltz riesig gefreut. Ich sah ihn, den großen alten Schweiger des HSV, mit einem Glas Rotwein entspannt am Atlantik sitzen, seine letzten Fußballtage in der deutlich ruhigeren Division 1 genießen und Monat für Monat einen überaus gesunden Scheck über rund 40.000 DM kassieren. Zugegeben, so ganz ging das nicht auf, weder für das HSV-Urgestein noch für etliche andere Frankreich-Legionäre. Kaltz fand sich, als bei Girondins ein neuer Trainer mit anderen Vorstellungen kam, schon bald beim FC Mulhouse im Elsaß wieder, mit dem er 1990 abstieg, Thomas Allofs' Abenteuer bei Racing Straßbourg währte wegen eines Streits um die Ablösesumme nur wenige Monate, und Pierre Littbarski war während seines kurzen Paris-Gastspiels nach eigenem Bekunden zumeist todunglücklich. Selbst der große Franz Beckenbauer, dem sonst alles gelang, verließ Marseille 1991 nach nur zwölf Monaten Amtszeit als Trainer beziehungsweise Sportdirektor ohne den erhofften Europapokalsieg und vergleichsweise desillusioniert.

Dennoch übt das Fußballland Frankreich bis heute einen enormen Reiz auf deutsche Kicker und Trainer aus. Und deshalb freute ich mich auf das Buch "Va-Va-Voom: The Modern History of French Football" von Tom Williams, das letztes Jahr bei Bloomsbury Sport erschienen ist. Sicher, einen Grund, den deutschen Legionären besondere Beachtung zu schenken, hatte der Londoner Journalist bei seiner Länderschau nicht. Aber der französische Fußball bietet ja auch so genug Berichtenswertes: Da war die große Zeit von Olympique Marseille mit seinem ebenso schillernden wie maßlosen Eigentümer Bernard Tapie, da war die Ära von Girondins Bordeaux mit seinem charismatischen und dominanten Präsidenten Claude Bez und da war zum Beispiel der FC Sochaux, der Peugeot-Werksklub aus einem 3.500-Seelen-Dorf, der sich erstaunlich lange in der ersten Liga hielt, dort kleinere Erfolge feierte und mit Stephane Paille eines der größten Stürmertalente der 80er Jahre hervorbrachte, an dem einst sogar der FC Bayern interessiert war.

Williams macht es so, wie ich es auch gemacht hätte - er hechelt die Entwicklung des französischen Fußballs seit den dreißiger Jahren nicht chronologisch durch, sondern widmet sich schlaglichtartig einzelnen Standorten: Bordeaux, Marseille, Nantes, Auxerre Lyon, Paris Saint-Germain und so weiter. Und natürlich geht es da um Tapie, um Bez, um die fast 40 Jahre währende Trainer-Regentschaft von Guy Roux bei AJ Auxerre und zwischendurch auch immer wieder um die großen Siege und Niederlagen der französischen Nationalelf. Das ist alles recht interessant, das liest sich auch ganz gut, aber dennoch bleibt das Buch seltsam steril und blutarm. Zu selten werden Bilder in meinem Kopf erzeugt, zu selten so etwas wie Atmosphäre vermittelt, zumeist bleibt es dann doch eine routinierte, nüchterne Schilderung von Geschehensabläufen. Schade! Da war mehr drin!

Tom Williams: "Va-Va-Voom: The Modern History of French Football", Bloomsbury Sport

Freitag, 13. Juni 2025

Ernst Happel: Intimes, aber durchaus zwiespältiges Porträt

Neulich sprach ich mit einem Verleger über den typischen Verkaufszyklus eines Fußballbuches - und insbesondere das Momentum einer Neuerscheinung. "Die ersten sechs Monate sind die entscheidenden", meinte er, "danach ist das Buch praktisch weg vom Fenster." Früher sei diese Zeitspanne noch doppelt so lang gewesen. Gemessen daran dürfte bei Klaus Dermutz' bereits vor zwölf Jahren erschienener Ernst-Happel-Biographie "Genie und Grantler" (Verlag Die Werkstatt) derzeit nicht mehr viel passieren. Was sehr schade ist, denn es ist ein zeitloses, heute wie damals höchst lesenswertes Buch über einen der ganz Großen der Branche.

Klaus Dermutz, kein Mann vom Fach, sondern einer des Theaters, zeichnet mit viel Sorgfalt alle Stationen des "Wödmastas" nach, die Zeiten als Spieler bei Rapid Wien und Racing Paris, die Trainerjahre in Holland und Belgien, natürlich die Ära als Coach des Hamburger SV und dann Ende der 80er Jahre die Heimkehr nach Österreich als Trainer des FC Swarovski Tirol und schließlich der Nationalmannschaft, ehe er den Kampf gegen den Krebs endgültig verlor.

Mich haben an diesem Buch gleich mehrere Aspekte fasziniert. Zum einen hat Dermutz, wenn ich es richtig sehe, mit seinem Sujet (nur) zwei etwa anderthalbstündige Interviews geführt, eines 1986 in Hamburg und eines 1991 in Innsbruck. Im Übrigen basiert das Buch auf Gesprächen mit Weggefährten und vor allem Archivmaterialien. Drei Stunden mögen viel für einen Mann wie Happel sein, der Pressekonferenzen auch schon mal nach 30 Sekunden beendete. Aber für eine über 300 Seiten dicke Biographie? Ich habe schon mit Autoren gesprochen, die mit ihren Protagonisten die zehnfache Zeit zugebracht haben. Gemessen daran kommt Dermutz der Person Happel beeindruckend nahe - nach der Lektüre hat man ein intimes und rundes Gesamtbild des Menschen, Spielers und Trainers.

Auch wenn Dermutz seinem Landsmann mit unverkennbarer Sympathie und Bewunderung begegnet, spart er - auch das keine kleine Leistung - dessen Schwächen nicht aus. Stellenweise ist die Lektüre sogar ausgeprochen schmerzhaft. Ex-Spieler wie Felix Magath, Horst Hrubesch oder Manfred Kaltz sprechen bis heute nämlich mit größter Hochachtung von ihrem Ex-Coach und weisen immer wieder auf seine enormen menschlichen Qualitäten hin. Doch in seinen letzten Trainerjahren in Österreich, so Dermutz, entwickelte sich Happel, bereits gezeichnet von der Krebserkrankung, zu einem Despoten, der mit grausamer Härte regierte. Erfolge des FC Tirol waren stets sein Verdienst, Niederlagen (wie das legendäre 1:9 im Europapokal der Landesmeister 1990/91 gegen Real Madrid) die Schuld der Mannschaft. Er hintertrieb die Berufung seines argentinischen Ballkünstlers Nestor Gorosito in die Nationalelf, indem er ihn, wenn deren Späher nach Innsbruck kamen, einfach nicht aufstellte - weil er ihn "ausschließlich für seinen Klub haben will und nicht bereit ist, ihn für die langen und anstrengenden Reisen abzustellen". Er legte sich mit Stars wie Hansi Müller und Bruno Pezzey an, die teilweise in die zweite Mannschaft verbannt wurden. Dermutz: "Die Spieler versuchen mit Galgenhumor ihrer Angst Herr zu werden. Sie sehen sich der reinen Willkür ausgesetzt und schließen Wetten ab, wen als nächsten Happels Bannstrahl treffen wird. Der Trainer wird für sie zu einem völlig unberechenbaren Autokraten." Ähnlich unsympathische Züge legte Happel auch im Privatleben an den Tag - gegenüber irgendwelchen Wirtshaus-Spezln zeigte er sich großzügig und beglich in aller Regel die gemeinsamen Rechnungen, für seine letzte Lebensgefährtin, die "die sein Leiden bis zum bitteren Ende miterlebte, nur mehr Helferin, Krankenschwester war, seine Launen, genährt von seiner unheilbaren Krankheit, hinunterschluckte, oft verzweifelt: ›Ich kann das alles nicht mehr ertragen‹, klagte, dennoch bis zum letzten Atemzug bei ihm war, seine Hand hielt, bis er einschlief, hatte er nichts übrig. (…) Veronika musste zurücktreten in die zweite, ja in die letzte Reihe. Sie durfte nicht einmal beim Begräbnis an seiner Bahre stehen."

Fasziniert hat mich das Buch auch deshalb, weil es vielleicht das große Erfolgsgeheimnis des österreichischen Welttrainers offenbart, der in vier Ländern Meistertitel feierte und zweimal den Europapokal der Landesmeister gewann. Happel, der ein einzigartiges Kauderwelsch aus Deutsch, Holländisch, Flämisch und Wienerisch sprach, keine unnötige Zeit mit Grammatik verschwendete ("Aber Sie wissen, heutzutage mit die Medien [...]") und mitunter zu ausgesprochenen Derbheiten neigte, gilt ja bis heute als der wortkarge Grantler, der keinen einzigen Satz zu viel sagte. Ich frage mich, ob er womöglich deshalb so erfolgreich war, weil er vorzugsweise den Mund hielt und im Übrigen häufig nicht verstanden wurde. So blieb unentdeckt, dass Ernst Happel, wenn er denn mal sprach, mitunter hanebüchenden Unsinn und fürchterliche Plattitüden von sich gab. Beispiele gefällig? Nur zu gern: So sagte er über die WM 1986 in Mexiko: "Ich habe nicht gerechnet mit Argentinien, ich habe nicht gerechnet mit Deutschland." Frage: "Mit wem haben Sie gerechnet?" Antwort: "Mit Deutschland muss man immer rechnen." Aha. Auf die Frage, welche Fähigkeiten ein Spitzentrainer mitbringen muss, führt Happel aus: "Wenn ein Fußballtrainer nie Fußball gespielt hat, kann er nie ein Trainer werden. Das ist der Grundvorsatz, dass er selbst aktiv war, auf einem bestimmten Niveau gespielt hat." Soso. Und was ist beispielsweise mit Arrigo Sacchi, der mit dem AC Mailand von Erfolg zu Erfolg eilte, während Happel auf der Bank des FC Tirol unter dem österreichischen Fußball litt? Frage: "Was bringt ein technisch versierter Spieler für eine Mannschaft?" Antwort: "Er muss natürlich alles bringen, er kann nicht technisch gut beschlagen sein und im Zweikampf schwach, da hat man nichts, aber es ist natürlich ein großer Vorteil, wenn er technisch beschlagen ist [...]." Wer hätte gedacht, dass es im Fußball von Vorteil ist, wenn der zweikampfstarke Spieler auch noch technisch beschlagen ist?

Sehr gespannt war ich auf Dermutz' Ausführungen zu Wolfram Wuttke und Dieter Schatzschneider, die 1983 als hochgehandelte und ziemlich teure Nachfolger von Horst Hrubesch und Lars Bastrup zum HSV kamen, dort jedoch Schiffbruch erlitten. Wieso gelang es einem so begnadeten Trainer wie Happel nicht, diese beiden Spieler in die Spur zu bekommen, insbesondere Wolfram Wuttke nicht, dessen an guten Tagen schlicht geniale Art, Fußball zu spielen, ihn doch in Verzückung versetzen musste? Dermutz widmet dem Thema durchaus Raum, in Interviews mit Happel, mit Magath, in seinen Analysen, aber eine wirklich befriedigende Antwort findet auch er nicht. Auch die lebenslange Fehde Happels mit seinem einstigen Teamkollegen Max Merkel wird im Buch immer mal wieder aufgenommen, hätte aber ob der erstaunlichen Parallelen - beide Männer spielten bei Rapid, beide wurden Trainer in Holland, beide errangen Meistertitel in Deutschland - gern ausführlicher behandelt werden können. Aber das ist Geschmackssache.

Ebenfalls sicherlich Geschmackssache, aber in meinen Augen die einzige echte Schwäche der Biographie ist der Drang des Autors, wirklich alles zwischen die zwei Buchdeckel zu packen, was auf dem Tisch lag. Dermutz hatte mit Happel - wie gesagt - zwei längere Interviews geführt. Im Rahmen seiner Ausführungen zitiert er ausgiebig daraus, mitunter auch mehrfach, um dann jedoch die beiden Gespräche im Anhang noch einmal in voller Länge abzudrucken. Das mag einen gewissen sporthistorischen Wert haben, führt im Buch aber zu unschönen Redundanzen, was gerade bei den eher derben Passagen stört. Für meinen Geschmack lese ich etwas zu oft, dass Spieler ohne "Beistrich in der Unterhose" auftreten sollten oder ein Schiedsrichter, der Happel nicht genügend Respekt zollt, "kein kleines, sondern ein großes Arschloch" ist. Hier wäre weniger vielleicht mehr gewesen. Dies ändert indes rein gar nichts daran, dass "Genie und Grantler" ein großartiges Buch ist, welches eine echte Lücke gefüllt hat und das ich in meiner Bibliothek nicht missen möchte.

Klaus Dermutz: "Ernst Happel: Genie und Grantler", Verlag Die Werkstatt

Donnerstag, 5. Juni 2025

Stan Libuda: Geschichte eines sympathischen Verlierers


(KM) Heute greifen wir wieder mal zu einem der etwas älteren Bücher. Thilo Thielke, langjähriger "Spiegel"-Redakteur und leider viel zu früh verstorben, hat bereits 1997 im Verlag Die Werkstatt eine Biographie des legendären Schalker Dribbelkünstlers Reinhard "Stan" Libuda vorgelegt. Dass sich der Verlag 2002 zu einer Neuauflage entschied, sagt bereits einiges über den Erfolg dieses Werks.

Mich hatte an "'An Gott kommt keiner vorbei...' - Das Leben des 'Stan' Libuda" zweierlei gereizt. Da war zum einen das bisher nirgendwo näher beleuchtete Auslandsjahr Libudas bei Racing Straßburg. Nach dem Bundesliga-Bestechungsskandal 1971 - Libuda war darin in ähnlicher Weise verwickelt wie der Blinde zu einer Ohrfeige kommt - flüchteten etliche der beteiligten Spieler ins Ausland, nach Holland, nach Belgien, nach Südafrika oder - wie der Schalker - eben nach Frankreich. Zum zweiten hatte mich bereits eine kurze Leseprobe überzeugt, dass Thielke zu schreiben verstand und die sportliche und private Achterbahnfahrt des begnadeten Flügelläufers interessant präsentieren würde.

Man fragt sich, wie es der zwar durch und durch sympathische, aber eben hypersensible Libuda jemals in den bezahlten Fußball - schon damals ein ziemlich rauhes Geschäft - schaffte, dort immerhin auf 264 Bundesligaspiele und 26 Einsätze in der Nationalelf kam und Vizemeister, Europapokalsieger und 1970 in Mexiko mit dem DFB-Team WM-Dritter wurde. Denn Libuda erinnerte nicht  nur äußerlich mit seinen stets traurigen Augen an Buster Keaton, er war auch ein unfassbar scheuer und stets unsicherer Mensch, einer, den ein Gegenspieler bereits mit der Frage, ob seine (bildschöne) Ehefrau mal wieder fremdgehe, völlig aus dem Konzept bringen konnte. Immerzu von Selbstzweifeln und Minderwertigkeitskomplexen geplagt, starken Formschwankungen unterworfen, nie mit sich im Reinen - so schlängelte sich Libuda durch die Jahre in der Bundesliga, erst bei Schalken (oft unglücklich), dann bei Dortmund (öfter unglücklich), dann wieder bei Schalker (erneut unglücklich), ging anschließend nach Straßburg, ohne es wirklich zu wollen (wofür er aber immerhin 130.000 DM Handgeld kassierte), und versackte anschließend, nach dem Ende seiner Laufbahn, in einem 16 Quadratmeter großen Tabakladen am Gelsenkirchener Markt, einem "stinkenden Käfig", wie Ex-Trainer Rudi Gutendorf notierte. 

Libuda starb mit 52 Jahren an Kehlkopfkrebs, völlig verarmt, verbittert, im Leben gescheitert. Und der angeblich an eine Gelsenkirchener Hauswand gemalte Satz, den man bis heute mit ihm verbindet, demzufolge an Gott zwar grundsätzlich keiner, Libuda aber schon vorbeikomme, der war, wie Thielke enthüllt, nur die Erfindung eines Boulevardblatts. Thielkes Buch  ist eine zwar über weite Strecken deprimierende, aber dennoch hochinteressante Lektüre über einen, der fußballerisch an seinen besten Tagen zu den Größten des Spiels gehörte, aber eben nie so richtig in diese Welt passte. Lohnt sich!

Thilo Thielke: "'An Gott kommt keiner vorbei...' - Das Leben des 'Stan' Libuda", Verlag Die Werkstatt