Stammleser unseres Magazins wissen: Christian Falk, einst "Sport-Bild"-Chefreporter und selbsternannter Bayern-Insider, inzwischen zum Sport-Chef der "Bild"-Gruppe aufgestiegen, ist in meinen Augen nicht das sympathischste Exemplar unter den deutschen Sportjournalisten. Allzu selbstgefällig präsentierte er sich in seinen beiden ersten Büchern über seine Zeit als Bayern-Reporter (Besprechungen siehe hier und hier und hier). Missen möchte ich die beiden Werke indes trotzdem nicht, vermitteln sie doch wunderbare Einblicke in den Alltag eines Boulevard-Sportjournalisten, die Arbeit der "Sport-Bild"-Redaktion und Falks Interaktionen mit Funktionären und Spielern des FC Bayern.
Nun ist mit "Transfer-Insider: Die Geheimnisse hinter den Millionendeals" das dritte Buch des Journalisten erschienen. Nachdem wir hier vor kurzem Max Ropers Debüt "Deadline Day: Warum der Transfermarkt uns Fußball-Fans so fesselt" besprochen haben, stellt sich Falk mit seinem mehr oder weniger dem gleichen Thema gewidmeten Buch dem direkten Vergleich. Und - es schmerzt, aber Ehre, wem Ehre gebührt - er gewinnt dieses Duell leider deutlich. Das liegt in erster Linie daran, dass "Transfer-Insider" exakt das liefert, was ich bei "Deadline Day" vermisst habe: Nähe zu den Protagonisten und zum Geschehen. Hier sitze ich mit am Tisch, wenn Hasan Salihamidžić mit Real Madrids Sportdirektor José Ángel Sánchez über einen Wechsel des Marokkaners Achraf Hakimi verhandelt und geduldig beobachtet, wie es der Spanier mit dem ältesten Trick der Welt versucht ("Das kann ich nicht allein entscheiden. Dafür muss ich den Präsidenten anrufen.") So hat Brian Clough schon vor 50 Jahren Transferverhandlungen geführt. Ich bin dabei, wenn Bayerns Vorstandsvorsitzender Jan-Christian Dreesen mit dem Chef der Tottenham Hotspurs, Daniel Levy, im noblen Londoner "Arts Club" oder im Fünf-Sterne-Luxushotel "The Berkeley" um Harry Kane feilscht und sich später am Telefon des allzu dreisten Nachkoberns des Tottenham-Bosses erwehren muss. Genau diese Gespräche und Verhandlungen sind es, die den Transfermarkt in meinen Augen so faszinierend machen.
Aber der Reihe nach. "Transfer-Insider" startet nämlich keineswegs furios, sondern wenig vielversprechend mit einem öligen Grußwort von Philipp Lahm. Die auffällige Nähe Falks zum ehemaligen Kapitän des FC Bayern und der Nationalelf hat uns hier schon an anderer Stelle beschäftigt. Vermutlich würden es die beiden dem Grunde nach sogar unterschreiben, wenn ich sage, dass sich hier zwei aalglatte Karrieristen gefunden haben. Das macht die einleitenden Worte Lahms im Buch aber keineswegs sympathischer. In erster Linie sind sie eine nicht im üblichen Duktus des einstigen Verteidigers verfasste unangenehme Lobhudelei auf den Autor: "Ich kenne ihn aus analogen Zeiten, und seine Texte werden heute noch regelmäßig gedruckt. Seit Jahren checkt er zudem als 'Mr. True', wer beim FC Bayern und andernorts kommt und geht, welcher Trainer fliegt und wer auf ihn folgen wird. Er muss gute Kontakte haben – ich schätze, seine Trefferquote liegt nicht wesentlich unter 100 Prozent."
Aber gut, so viele Grußworte, in denen man kritische Worte über den Autor liest, gibt es dann auch wieder nicht. Also Augen zu und durch. Als nächstes stellt Falk den italienischen Journalisten Fabrizio Romano als Begründer und Guru des Transfer-Journalismus vor, nach meinem Eindruck aber in erster Linie, um sich mit einem geschickten Spiel über Bande - ein englischer Journalist ruft an, weil er eine Story über Romano und ihn, Falk, machen will - in der gleichen Liga der Insider einzuordnen. Seufz! Was dann folgt, ist indes eine wirklich spannende, lesenswerte Abfolge von illustrativen Transferanekdoten und Fragebogenantworten bekannter Transferinsider - von Romano bis Florian Plettenberg. Was das Buch für mich zusätzlich reizvoll macht, ist seine FC-Bayern-Lastigkeit. Denn natürlich berichtet Falk in erster Linie aus dem Biotop, in dem er zu Hause ist. Es geht um Enthüllungen hier und Falschmeldungen dort, die Wahrheit hinter diesem und jenem Transfer beziehungsweise diesem und jenem Transfergerücht. Auch das mochte ich: Falk widmet sich Wechseln, die nie stattgefunden haben, aber eben angedacht waren oder sogar bereits verhandelt wurden, dann aber gescheitert sind: Ronaldo und der FC Bayern, Haaland und der FC Bayern, Bellingham und der FC Bayern und so weiter. Ich finde so etwas hochspannend.
Nebenbei wird einem beim Lesen auch klar, wie ungeschickt der FC Bayern in den vergangenen Jahren auf dem Transfermarkt agiert und so sein berühmtes Festgeldkonto mutmaßlich arg dezimiert hat. Da sind gar nicht nur die großen sportlichen Fehlentscheidungen wie der 50-Millionen-Euro-Mann João Palhinha, für den der neue Trainer Vincent Kompany keine Verwendung hatte. Sondern eben auch Transfers wie der von Harry Kane, der sportlich zweifellos wertvoll, aber mit 100 Millionen Euro ein Jahr vor Vertragsende auch verdammt teuer war, wohingegen Spieler aus dem eigenen Kader oft erstaunlich günstig abgegeben wurden, siehe etwa Mathys Tel (45 Millionen statt der angestrebten 60 Millionen).
Gleichzeitig machen Falks Beispiele aber auch sehr schön deutlich, wie schnelllebig und unvorhersehbar und - siehe Woltemade - teils hysterisch der Transfermarkt ist: Im oben genanten Fall des Marokkaners Achraf Hakimi wollte Reals Maddrid unverschämt erscheinende 70 Millionen Euro Ablöse - der FC Bayern aber keinesfalls mehr als 45 Millionen zahlen. Der Deal platzte, die Königlichen hatten sich verzockt und ließen den Spieler kurz darauf für 43 Millionen zu Inter Mailand ziehen. Den Italienern aber wiederum gelang es, Hakimi nur ein Jahr später an Paris Saint-Germain zu verkaufen - für satte 68 Millionen Euro. Und keiner weiß, ob die Marktwertentwicklung ähnlich verlaufen wäre, wenn der Verteidiger bei Real geblieben oder zu Bayern München gewechselt wäre. Auch das macht die große Faszination des Transfermarktes aus, und Falk versteht es, diese Geschichten zu erzählen.
Zu mäkeln habe ich natürlich auch, aber gemessen daran, dass wir über ein Buch von Christian Falk sprechen, erstaunlich wenig. Als überflüssig und unnötig habe ich bei den Fragebögen die Rubrik "Wer sind für Sie die drei größten Fußballer aller Zeiten?" empfunden. Denn das hat mit dem eigentlichen Geschäft und vor allem der Expertise der Transfer-Insider rein gar nichts zu tun - hier sind sie Fans wie du und ich und im Grunde genauso unbedarft. Bei der Rubrik "Meine bittersten Falschmeldungen" nennen sowohl Falk als auch die von ihm befragten Kollegen bevorzugt Beispiele, die "eigentlich" ja gar keine Falschmeldungen waren, aber so richtig verdenken kann man ihnen das auch nicht. Und natürlich frage ich mich bei den geschilderten Dialogen mitunter, woher der Autor wissen will, was Hasan Salihamidžić wortwörtlich zu Thiago ob dessen Wechselabsicht nach Liverpool gesagt hat. Aber ein paar stilistische Freiheiten würde ich Falk im Interesse des Leseflusses hier schon zugestehen wollen. Beim abschließenden Verzeichnis der Spielerberater, das sich aufgrund der vielen Querverweise zwar etwas sperrig liest, aber aus gleichem Grund auch hochinformativ ist, fiel mir das Fehlen von Vizeweltmeister Karlheinz Förster auf, der als Spielerberater immerhin in einen spektakulären Rechtsstreit verwickelt war. Aber Falk sagt ja selbst, dass das Verzeichnis keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt - und irgendeiner wird immer fehlen.
Kurz und gut: Sympathisch ist mir Christian Falk immer noch nicht, aber auch sein drittes Buch lohnt sich. Klare Empfehlung!
Christian Falk: "Transfer-Insider: Die Geheimnisse hinter den Millionendeals", Riva Verlag